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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

30. 11. 2011 - 23:02

Journal 2011. Eintrag 216.

Die Selbstverständlichkeiten struktureller Beugsamkeit.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit zwei Beispielen einer aufhaltbaren Tendenz: der sinkenden Widerständigkeit in Machtmissbrauchs-Situationen.

Gestern Abend hat mir (anlässlich einer Veranstaltung, die assoziativ zum Erzählen solcher Geschichten implizit eingeladen hat) ein Bekannter von einer Beobachtung/Erfahrung berichtet, die ihn nachdenklich gemacht hat. Für ein nicht unbedeutendes Projekt hatte ein Mächtiger firmenintern einen Nachdenk-Kreis eingeladen, die etwas entwickeln sollte. Es handelte sich um einen offen-kreativen Prozess, der Mächtige stellte aber in der ersten Wortmeldung zwei Vorgaben in den Raum, zwei Conditio-sine-qua-nons im personellen Bereich. Der wichtigste infrastrukturelle Bereitsteller von außen: ein Kumpel; ein anderer: ein Familienmitglied.

Mein Bekannter berichtete, dass es kaum Gemurre über diesen klaren Fall der Ausnützung einer Machtposition gab. Zum einen, weil derlei in dieser speziellen Branche nicht unüblich ist. Zum anderen aber, und das war der Punkt der ihn so beunruhigte, weil die Unerhörtheit dieser Vorgangsweise kaum jemandem im Kreis wirklich aufgefallen war. Er selber habe es erst bei einer Erzählung und der befremdeten Reaktion eines Außenstehenden bemerkt.

Nun ist eine solche Vorgangsweise in der Tat Normalität. Menschen, die Entscheidungen beeinflussen können (und da ist es ganz egal, ob es sich um den öffentlichen oder den privaten Bereich handelt - strukturelle Korruption existiert überall); betreiben das zu ihrem persönlichen Vorteil.
Und jeder nimmt es hin.

Das demutsvolle Hinnehmen von unverschämter Raffgier

Als gewissermaßen selbstverständlich.
So wie man jahrzehntelang das hingenommen hat, was vom Kirchenfürsten, vom Adel, vom Herrenbauern oder vom Lohnherrn kam.
Die Bezeichnungen haben sich geändert, die gefühlte Abhängigkeit von den Wichtigen und Mächtigen ist dieselbe geblieben.
Natürlich untersagen es die Firmenrichtlinien dem Mächtigen in unserem Beispiel solche Aufträge freihändig zu vergeben - wenn er aber von einer Interessensgruppe oder Partei installiert wurde, wird trotzdem niemand eine Hand rühren. Mit Beispielen in öffentlichen Institutionen will ich erst gar nicht beginnen.

Das ungute Gefühl meines Bekannten rührt allerdings weniger von der Dreistigkeit der Beschaffung oder der Raffgier her, sondern speist sich aus dem Erkennen dass die eigene Wehrhaftigkeit eine sehr geringe ist.
Wohl weil sich die meisten Österreicher mit diesen Strukturen abgefunden haben. Weil man, allerspätestens nach den Erfahrungen Anfang des Jahrtausends auch davon ausgehen kann, dass die, die zuvor am lautesten Skandal! geschrien haben, sich - kaum in power - am allerunverschämtesten bedienen.

Es gibt Medien, die sich dem Herrschaftswillen widersetzen?

Heute habe ich zufällig in der NÖN geblättert, dem in so vielfacher Hinsicht mit Blickfiltern versehenen wichtigsten Medium des wichtig-mächtigen Bundeslandes Niederösterreich.
In einer "Politik inoffiziell"-Kolumne wurde das eine kuriose Geschichte erzählt: der SPÖ-Bürgermeister einer nicht unbedeutenden NÖ-Gemeinde wurde im Mai in der Profil-Geschichte mit ein paar deftigen Worten gegen "Pröllistan" zitiert, wo er dem politischen Gegner die Demokratische Gesinnung absprach.

Jüngst erhielt die nämliche Gemeinde auf Betreiben des Landeshauptmanns eine wichtige Finanzspritze, was den Bürgermeister dazu veranlasste einen Leserbrief ans Profil zu schreiben um seine frühere Aussage quasi zurückzuziehen. Es wäre jetzt so sachlich und fair abgegangen, dass ihm das Leid täte.

Menschlich nachvollziehbar, politisch mit Geschmäckle.
Unerwarteterweise veröffentlichte das Profil den Leserbrief aber nicht. Was für Empörung und öffentliche Verlesungen, zumindest im Landtags-Club sorgte; und für ein Gschichtl in der NÖN, das dann auch den gewünschten Effekt transportiert.

Klar, so was ist man weder als Bürgermeister noch als Landtagsabgeordneter gewohnt: dass sich ein Medium dem politischen Willen widersetzt und nicht auf Zuruf reagiert.

Normalerweise funktioniert das ja; und außerdem kann man ja durch gefakte Leserpost nachhelfen.

Das Absurde an diesem Fall ist nicht das etwas plumpe Vorgehen, sondern die Tatsache, dass einzig die Nicht-Bereitschaft des Profil, also der widerständische Akt für Erstaunen sorgt.

Wo ist der widerständische Akt hin verschwunden?

Letztlich steht dahinter die exakt selbe Geisteshaltung wie im ersten, ganz anders gelagerten Fall.

Die einen gehen davon aus, dass Usancen, die weit jenseits eines gesellschaftlichen Rechtsbewusstseins stehen, normal sind, und wie selbstverständlich bereitzustehen haben. Egal ob es sich um Jobs für die Familie oder Zugang zu Medien handelt.

Die anderen gehen davon aus, dass dieses dauerhaft begangene Unrecht eh nicht zu verhindern, auf- oder hintanzuhalten ist und beschließen, aus einer Art moralischem Selbstschutz, das ganze einfach nicht mehr zu bemerken.

Die einen zerstören den zivilgesellschaftlichen Konsens durch ihre strukturelle Korruption, die anderen durch das Aufgeben jeglicher Wehrhaftigkeit.

Nur eine dieser beiden fehlgeleiteten Gruppen kann ihr Verhalten relativ rasch und deutlich ändern.