Erstellt am: 1. 12. 2011 - 12:36 Uhr
Täglich zwei neue HIV-Infektionen
Die ersten AIDS-Hilfe-Organisationen wurden in Österreich 1985 gegründet. Im Zentrum ihres Angebots stehen seit damals der kostenlose, anonyme HIV-Test und die Beratung. Global betrachtet ist die Zahl an HIV-Infektionen seit 1997 um ein Fünftel zurückgegangen – aber sie steigt derzeit in den westlichen Industriestaaten wieder an. Zwei Menschen infizieren sich in Österreich täglich mit dem HI-Virus. Es gibt 2400 AIDS-PatientInnen und – inklusive Dunkelziffer – etwa 15000 HIV-Infizierte. Die AIDS Hilfe Wien als eine der größten Hilfsorganisationen berät und betreut am Tag etwa 35 Menschen. Die Ressourcen werden knapper, trotzdem weitet die AIDS Hilfe Wien ihre Aktivitäten aus. Es folgt ein Interview mit Sandra Diwoky, Leiterin der Betreuungsabteilung im AIDS-Hilfe-Haus.
Aidshilfe
Weltweit ist die Zahl der HIV-Neuinfektionen von 1997 bis 2010 um rund 20% auf 2,67 Millionen zurückgegangen. Gegenläufig ist der Trend jedoch in Osteuropa: Hier hat sich die Zahl von 2001 bis 2010 um 250% erhöht. 90% dieser Fälle entfallen auf Russland und die Ukraine, wo für vulnerable Gruppen und Menschen mit erhöhtem Risikoverhalten wenig bis keine Präventionsangebote existieren.
Welche Menschen kommen ins Wiener AIDS-Hilfe-Haus?
Einerseits die Menschen mit HIV. Unter ihnen gibt es solche, die erst kurz über ihre Infektion Bescheid wissen und psychologische Beratung brauchen. Dann gibt es Menschen, die über sehr geringe finanzielle Mittel verfügen und die Hilfe durch unsere Sozialarbeiter in Anspruch nehmen. Wir haben auch ein Tageszentrum, in dem es um die Freizeitgestaltung geht und darum, HIV-positive Menschen untereinander ins Gespräch zu bringen und zu vernetzen. Es kommen Menschen, die einen HIV-Test machen wollen. Und Menschen, die sich informieren wollen, also zum Beispiel eine unserer Präventionsveranstaltungen besuchen. Wir betreuen pro Tag etwa 35 Menschen.
Was hat sich in Österreich für Menschen, die mit HIV leben, in jüngster Zeit verändert?
Ich glaube, dass in Österreich die Menschen mit HIV immer besser leben können. Auch 2011 wurden die Medikamente wieder besser und die Nebenwirkungen geringer. Die Betroffenen berichten mir, dass ihre Lebensqualität steigt. Denn es ist ein Unterschied, ob man dreimal am Tag sechs verschiedene Tabletten einnehmen muss, oder die Einnahme auf einmal am Tag reduzieren kann, oder auch die Anzahl der Tabletten reduzieren kann. Auch die Lebenserwartung und die Leistungsfähigkeit steigen an.
In Westeuropa haben sich 2010 erneut 30.000 Menschen mit HIV infiziert. Die Entwicklung ist zwischen den verschiedenen Industrieländern sehr unterschiedlich: In Deutschland und Großbritannien stieg die Zahl der neu Infizierten um 50%, in Portugal oder Lettland ging sie um 20% zurück.
Wie genau zeigen sich steigende Lebenserwartung und Leistungsfähigkeit?
Unter guter medizinischer Kontrolle und bei guter Verträglichkeit der Therapie entspricht die Lebenserwartung von Menschen mit HIV in Österreich beinahe der Lebenserwartung eines gesunden Menschen. Die Leistungsfähigkeit zu erwähnen ist mir deshalb so wichtig, weil ganz oft davon gesprochen wird, dass Menschen mit HIV nicht arbeiten können – und das stimmt einfach nicht.
Berichten ihre Klienten über Stigmatisierung am Arbeitsplatz oder bei der Arbeitssuche?
In der Beratung werden wir immer wieder gefragt: „Soll ich am Arbeitsplatz sagen, dass ich HIV-positiv bin?“ Davon raten wir eher ab. Denn bei ganz normalem zwischenmenschlichen Umgang – und auch im medizinischen Bereich – kann keine Übertragung stattfinden. HIV-positive Menschen sind also auch nicht von verschiedenen Berufen ausgeschlossen, es gibt keinen Grund, sich da Sorgen zu machen. Es ist aber trotzdem in den Köpfen der Menschen drin, dass sie sich überlegen: „Kann jemand mit HIV überhaupt arbeiten, ist der vermittelbar? Gibt es bestimmte Bereiche, in denen diese Person vielleicht nicht arbeiten kann?“ Dem ist nicht so. Doch HIV-positive Menschen haben Angst darüber zu sprechen, weil sie Diskriminierung fürchten oder weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. In erster Linie ist es also so, dass die Menschen eine HIV-Infektion am Arbeitsplatz nicht erwähnen.
Trotz immer besserer Behandlungsmöglichkeiten darf man AIDS nicht als chronische Krankheit betrachten. Die exakte Einnahme der Medikamente ist schwierig, Überdosierungen führen zu Problemen, die Resistenz mutierter Viren verringert die Wirksamkeit der Behandlung. Mehr dazu hier.
Wo sonst erleben mit HIV lebende Menschen Diskriminierungen?
Überraschenderweise oft im medizinischen Bereich. Man glaubt das kaum, weil man davon ausgeht, dass das medizinische Personal ganz besonders gut Bescheid weiß, wie man sich mit HIV ansteckt und wie nicht. Unsere Klienten geben mir aber oft die Rückmeldung, dass das nicht so ist: Ambulanzkarten werden mit rotem Filzstift gekennzeichnet „Achtung, HIV positiv!“, obwohl es z.B. nur um eine physikalische Behandlung geht. Oder Menschen werden erst am Ende der Behandlungskette drangenommen – dabei muss man doch Hygienestandards immer einzuhalten, bei jedem Patienten.
In den achtziger Jahren waren Homosexuelle sehr stark von AIDS betroffen. In den Nuller-Jahren infizierten sich mehr heterosexuelle Menschen mit HIV. Wie sieht es heute aus?
Die Hälfte der Menschen, die in Österreich HIV-positiv getestet werden, sind homosexuelle Männer, oder MSM, wie wir sagen (Männer, die Sex mit Männern haben). Die andere Hälfte steckt sich zumeist über heterosexuellen Kontakt an.
Wie reagiert die AIDS-Hilfe auf diese überdurchschnittliche Betroffenheit schwuler Männer?
Unser Test- und Präventionsangebot richtet sich zu einem großen Teil an MSM, das ist ein Schwerpunktgebiet für uns. Seit 2011 gehen wir auch hinaus, wir hatten heuer erstmals Beratung und HIV-Tests vor Ort in schwulen Szenelokalen. An den bisher 29 Testtagen wurden 202 Menschen beraten und getestet. Das sind durchschnittlich 7 am Tag. Im AIDS-Hilfe-Haus betrug die durchschnittliche Anzahl im gleichen Zeitraum 4 MSM pro Tag. Es kam durch die zusätzlichen Aktivitäten in den Lokalen also nicht zu einer Verlagerung der Tests, sondern es wurden deutlich mehr MSM erreicht.
Die Zahl der Infektionen steigt, sie weiten ihre Beratung aus. Hat die Finanzkrise Auswirkungen auf die AIDS-Hilfe Wien?
Unsere Ressourcen werden knapper. Wir sind stark auf private Sponsoren wie den Life Ball angewiesen.
Together 2011
Einmal im Jahr lädt das AIDS-Hilfe-Haus zum „Together“-Event ein. Auch diesen Samstag ist wieder Tag der offenen Tür. Das Seminarzentrum und das Tageszentrum werden in große Partyzonen umgestaltet. Der Comiczeichner Ralf König hält eine Lesung und signiert Bücher, und auf zwei Floors gibt es DJs und Liveacts. Samstag, 3. Dezember 2011 ab 20.00 Uhr im Aids Hilfe Haus, Mariahilfer Gürtel 4, 1060 Wien