Erstellt am: 30. 11. 2011 - 12:49 Uhr
Wear your Hair like Trifon
Wenn sie erfahren, dass ich aus Bulgarien komme, fragen mich viele in Wien, wie es Trifon Ivanow gehe. Dem einstigen eisernen Verteidiger von Rapid Wien und der bulgarischen Nationalmannschaft der "goldenen Generation", die bei der WM-Endrunde 1994 in den USA als krasser Außenseiter das Halbfinale erreicht hat, geht es gut. Er betreibt eine Kette von Tankstellen und einige Hotels in seiner Geburtsstadt Veliko Tarnowo. "Tunjo", wie ihn die Bulgaren liebevoll nennen, ließ einst gegnerische Stürmer durch seine Fußballerqualitäten, aber auch durch sein Aussehen eines bärtigen Auftragsschlägers vor Angst erstarren. Heute ist er dick geworden und hat nichts mehr mit Fußball zu tun. Und das ist auch gut so, denn der Fußball liegt in Bulgarien endgültig am Boden.
Schuld daran sind die gleichen, die mal Bulgarien unter die vier Besten der Welt geführt haben. 1993 qualifizierte sich Bulgarien im letzten Gruppenspiel gegen Frankreich mit einem Last-Minute-Tor für die WM-Endrunde in Amerika. Die Franzosen waren draußen, die Fußballwelt unter Schock. "Gott ist ein Bulgare!", schrie der exaltierte Kommentator im bulgarischen Fernsehen nach dem Tor von Emil Kostadinow in der neunzigsten Minute. Und das sollte nur der Anfang sein.
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Die Bulgaren um den Barcelona-Stürmer Christo Stoitchkow schlugen in den USA zuerst Vize-Weltmeister Argentinien im Gruppenspiel, Mexiko im Elfmeterschießen im Achtelfinale und als Höhepunkt den amtierenden Weltmeister Deutschland im Viertelfinale. Die Bilder von den Toren von Stoitchkow und von Yordan "Goldene Glatze" Letchkow gegen die Deutschen werden für ewig in der kollektiven Erinnerung der Bulgaren bleiben.
Der Erfolg der Nationalmannschaft brachte die Bulgaren, die zu dieser Zeit in der Anarchie des Übergangs vom Kommunismus zum Kapitalismus lebten, dazu, ihre Probleme zu vergessen und auf eine bessere Zukunft zu hoffen. Man stellte sich Stoitchkow, Balakow, Letschkow und Ivanow vor, wie sie vor dem Spiel gegen Deutschland statt zu trainieren in einem Swimming-Pool Zigarren rauchten und Whiskey tranken und dachte, dass Bulgarien niemand das Wasser reichen kann.
APA/Pfarrhofer
Die Spieler der Nationalmannschaft von 1994 wurden wie Volkshelden in Sofia empfangen. Jeder wollte sie berühren, jeder wollte an ihrem Erfolg teilhaben. Auch ich, der damals acht Jahre alt war, durfte mich mal mit den Spielern fotografieren lassen. Mein Onkel, der bei einer Zeitung in Varna arbeitete, rief zu Hause an und sagte, die Zeitung veranstalte ein Shooting mit den Spielern der Fußballnationalmannschaft. Mein Herz schlug wie verrückt! Ich rannte so schnell ich konnte zur Zeitungsredaktion. Leider wohnte meine Oma in Varna zu weit davon entfernt. Als ich ankam, waren Stoitchkow und Balakow schon weg. Nur einer war geblieben. Mit großer Angst nährte ich mich den verbliebenen Trifon Ivanow. Er begrüßte mich mit seinem netten Lächeln eines Kannibalen. Ich überstand das Shooting ohne Verletzungen. "Du bist ein mutiges Kind", sagte meine Mutter zu mir danach.
Mit dem Altern der "goldenen Mannschaft" stürzten sich die bulgarischen Fußballer immer tiefer in die Mittelmäßigkeit. Die Nachfolge-Generation rund um Manchester-United-Stürmer Dimitar Berbatow schaffte es nicht, an die Erfolge ihrer Vorgänger anzuknüpfen. Zum letzten Mal qualifizierten sich die Bulgaren für die EM-Endrunde in Portugal, da Balakow bei den Qualifikationsspielen immer noch mitspielte.
Nach drei Niederlagen in Portugal entschieden sich die "Vierten der Welt" das Ruder des heimischen Fußballs selbst in die Hand zu nehmen. Der ehemalige Torwart Borisslaw Michailow wurde Verbandschef, Letschkow und Kostadinow seine Stellverterter und Christo Stoitschow wurde zum Nationaltrainer ernannt. So gut sie als Spieler auch waren, erwiesen sich die "Goldenen Jungs" als schwache Fußballfunktionäre.
Korruptionsskandale und ein immer schlechteres Niveau des bulgarischen Fußballs diskreditierten sie bis Unendliche. Stoichkow wurde gefeuert, aber seine Nachfolger waren auch nicht besser. Bei der Qualifikation für die EM 2012 in Polen und der Ukraine erreichte die bulgarische Nationalmannschaft, mit dem Deutschen Lothar Matthäus als Trainer, den letzten Platz in einer Gruppe mit England, Montenegro, der Schweiz und Wales. Die Bulgaren schossen in der Qualifikationsphase nur vier Tore, davon nur eines im Nationalstadion „Vassil Levski“ in Sofia. Der Star Berbatow hat noch vor der Qualifikationsphase seine Karriere aufgrund medialen Drucks beendet. Allerdings hat das auch seiner Laufbahn in Manchester geschadet, wo er seit einer Weile die Ersatzbank drückt.
Bei der diesjährigen Auszeichnung zum Fußballer des Jahres in Bulgarien, der zum ersten Mal von den Fans online bestimmt werden darf, steht bis dato der bulgarische Premierminister Boiko Borissov an erster Stelle. Die Wahl von Borissov, der als Hobbykicker am Wochenende für einen Drittligisten spielt, ist einerseits eine Verarschung des bulgarischen Fußballverbands und andererseits von Borissovs Politik, der anstatt die Löhne im immer noch ärmsten EU-Land zu steigern, sich lieber auf seine Fußballkarierre konzentriert. Der selbstverliebte Borissov hat schon angekündigt, dass er, falls er tatsächlich gewinnt, den Preis entgegennehmen wird.
Ich habe "Tunjo" noch ein Mal gesehen. An der Bushaltestelle in Sofia hat er jemanden ein Päckcken für Freunde in Wien übergeben. Ich schaute ihm in die Augen. Jetzt sah er nicht mehr so furchterregend aus wie damals. Deshalb, wenn ihr mich noch einmal fragt, wie es ihm geht: Es geht ihm gut. Ob das aber auch für dem Fußball, für Bulgarien und für die Welt gilt, weiß ich nicht. Wenn ihr aber Trifon Ivanon zu sehr vermisst - ihr könnt euch im Internet für 19 Euro ein T-Shirt mit seinem Bild und der Aufforderung "Wear your hair like Trifon" kaufen.