Erstellt am: 30. 11. 2011 - 15:09 Uhr
Rechter Terror in Österreich?
Seit dem Auffliegen der neonazistischen Terrorzelle in Zwickau stehen Polizei und Verfassungsschutz in Deutschland heftig in der Kritik: Obwohl die rechte Szene von V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt ist, bekamen die Behörden offenbar Jahre lang nichts von der Existenz einer Terrorbande mit.
Die österreichische rechtsextremistische Szene ist mit der in Deutschland recht gut vernetzt. Hinweise auf Kontakte der Terrorzelle nach Österreich haben sich zwar nicht ergeben, doch stellt sich die Frage, wie groß die Gefahr des Rechtsextremismus hierzulande ist – und ob sie von den Behörden auch richtig eingeschätzt wird.
Karl Öllinger von den Grünen wirft auch den österreichischen Behörden vor, auf dem rechten Auge blind zu sein. Als Beleg dafür führt er unter anderem die Einstellung eines eigenen Rechtsextremismusbericht im Jahr 2001 an, oder die wenig konkreten Verfassungsschutzberichte, in denen zum Beispiel im Kapitel Rechtsextremismus der WKR-Ball nicht auftaucht, die antifaschistischen Gegendemonstranten im Kapitel Linksextremismus allerdings schon.
Deutsch-österreichische Verbindungen
"Obgleich es Verbindungen zwischen den rechtsextremen Szenen in Deutschland und Österreich gibt, insbesondere ist evident, dass österreichische Rechtsextremisten auch bei Veranstaltungen in Deutschland auftreten, sind die Verhältnisse in Deutschland in dieser Form nicht direkt auf Österreich übertragbar. Die Sicherheitsbehörden beider Länder arbeiten sehr eng und erfolgreich zusammen, schreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in einer Stellungnahme für FM4.
Und zur Frage, welche Schlüsse das Bundesamt aus den Vorfällen in Deutschland zieht: "Für die österreichischen Behörden ist wichtig, stets wachsam zu sein und keine Szene zu vernachlässigen. Neben der internationalen Zusammenarbeit gilt es aber auch das Niveau der nationalen Zusammenarbeit weiter zu heben und Bewusstsein im Hinblick auf das jeweilige Phänomen zu bilden ohne in Hysterie zu verfallen."
Das Verbotsgesetz als Trumpf
Der Trumpf in der Hand der österreichischen Behörden, so heißt es aus dem Innenministerium, sei das Verbotsgesetz, das es in Deutschland in dieser Form nicht gebe. Deswegen sei die österreichische Szene ganz anders organisiert und im Vergleich zu Deutschland deutlich in der Defensive. Der Rechtsextremismusexperte Heribert Schiedel vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) sieht die Sache differenzierter:
"Das Verbotsgesetz wäre ein gutes und geeignetes Instrumentarium, um neonazistische Betätigung zu bekämpfen und das Vorfeld dieser neonazistischen Betätigung im Auge zu behalten. Es müsste aber auch entsprechend angewandt werden, und das ist immer eine politische Frage. Weder die Beamten noch das Innenministerium schwirren im unpolitischen Raum herum, das wäre eine Idealvorstellung. Natürlich werden hier immer parteipolitische Aspekte zu berücksichtigen sein. Je stärker die FPÖ ist – von 2000 bis 2005 war sie ja sogar in der Regierung – desto schwieriger haben es die Beamten, das Verbotsgesetz anzuwenden beziehungsweise dem legalen Vorfeld, sprich Burschenschaften, Augenmerk zu schenken."
"Die FPÖ will Dankbarkeit"
Rainer Springenschmid: Heißt das, dass wir in Österreich eine ähnlich gefährliche neonazistische Szene haben wie in Deutschland?
Heribert Schiedel: Grundsätzlich ja, was die Gewaltbereitschaft betrifft. Was sie ein bisschen weniger gefährlich macht, ist, dass sie nicht so einen Organsationsgrad enwickelt hat wie vor allem in Ostdeutschland. Denn in Österreich gibt es im Gegensatz zu Deutschland schon lange eine relativ erfolgreiche Partei am rechten Rand, das Dritte Lager hat sich nach 1945 weitgehend rekonstituiert. Das gab es in Deutschland nicht. Dort waren Neonazis angehalten, sich eigenständig zu organisieren. Die FPÖ sagt: Weil es uns gibt, gibt es weniger neonazistische Gewalt als in Deutschland. Das ist nicht ganz unrichtig. Natürlich muss man sagen: Es gibt auch bei uns rassistische Gewalt und Tote durch Neonazis, mehrheitlich Obdachlose und sogenannte "Ausländer". Aber die Zustände sind nicht so schlimm wie in Deutschland, vor allem in Ostdeutschland. Das Problem ist aber die versteckte Drohung, die in solchen Aussagen steckt: "Solange es uns gibt, sind die Neonazis brav". Das heißt gleichzeitig auch: Wir könnten sie jederzeit wieder loslassen. Und man will Dankbarkeit: "Wegen uns verzichten die Neonazis darauf, Migranten zu ermorden und Ausländerheime abzufackeln". Der Preis dafür ist aber die Normalisierung des Rechtsextremismus.
In Deutschland beobachtet der Verfassungsschutz auch Parteien: Die Linke und auf der rechten Seite die NPD, beides zugelassene Parteien, die auch in Parlamenten sitzen. Bei der FPÖ werden, auch wenn sich die Partei jedesmal laut davon distanziert, immer wieder Kontakte ins rechtsextreme Milieu bekannt. Beobachtet der österreichische Verfassungsschutz die FPÖ?
Heribert Schiedel: Es finden sich in den offiziellen Verlautbarungen des Innenministeriums keine Hinweise, die auf eine solche Beobachtung schließen lassen würden. Das burschenschaftliche Milieu wurde hingegen sehr wohl beobachtet. In den Lageberichten zum Rechtsextremismus wurde darauf hingewiesen, welche Bedeutung die Burschenschaften haben, dass eine unterschwellige, rechtsextreme Ideologieverbreitung, eine Schönfärbung des Nazismus stattfand. Das konnte man alles in Publikationen des Innenministeriums lesen, bis 2001. Im Jahr 2001 gab es offensichtlich Interventionen beim Innen- und beim Justizministerium – das wurde auch in den Zeitungen der FPÖ so angekündigt – die "Bespitzelungen" des dritten oder freiheitlichen Lagers einzustellen. Jetzt wissen wir aber, dass die Burschenschaften sich nicht gemäßigt haben, sondern wir merken gerade bei den Jungen eine Radikalisierung. Es haben sich also nicht die Burschenschaften verändert, sondern die Republik.
Wobei das Innenministerium in seiner Stellungnahme sagt, sie beobachten alles, ganz unabhängig von Organisationsformen. Kann es nicht sein, dass die Burschenschaften aus dem Bericht heraußen sind, sie aber dennoch unter Beobachtung stehen?
Heribert Schiedel: Das wäre zu hoffen, tatsächlich kann man ja gar nicht umhin; wenn man die Neonazi-Szene beobachtet wird man ja geradezu auf die FPÖ gestoßen. Man braucht nur prominentere Neonazis ein paar Tage beobachten und schauen, wo die überall im Vorfeld der FPÖ andocken, wen sie treffen. Da werden sich sicher vielfältige Verbindungslinien finden lassen, sie sollen ja auch bei Gottfried Küssel bestehen bzw. bestanden haben.
Kann man allgemein sagen, dass die Behörden in Österreich auf dem rechten Auge ähnlich blind sind wie die in Deutschland?
Heribert Schiedel: Mit so pauschalen Urteilen tue ich mich schwer. Gerade in letzter Zeit, ab 2007, ist erfreulicherweise die Anzahl der Verfahren und der Urteile nach dem Verbotsgesetz wieder gestiegen – und das hängt sicher auch mit personellen Veränderungen im Justizministerium 2006 zusammen. Das Justizministerium scheint mir, obwohl noch immer Kritik an zu langen Verfahrensdauern angebracht ist, die Sehschwäche am rechten Auge ein bisschen korrigiert zu haben. Bei der Polizei ist es länderweise unterschiedlich. Aber auch hier ist es so, dass die Polizei nicht im luftleeren Raum agiert. Das heißt, auch die, die wollen, können unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht so, wie sie wollen. Natürlich gibt es, wenn man sich die Verfassungsschutzberichte ansieht, grobe Verharmlosungen, die zu kritisieren sind. Aber ich glaube nicht, dass das Ausdruck einer Blindheit am rechten Auge ist, denn die Beamten wissen sehr genau, was sich rechts tut, und je weiter man hinunter geht in der Hierarchie, desto realistischer werden die Szene-Beschreibungen. Nur die politischen Bewertungen, also das was im Verfassungsschutzbericht drinsteht, das erfolgt, so ist mein Eindruck, nach politischen Vorgaben. Und da wird dann halt verharmlost, schöngeredet, kleingeredet – zum Teil auch im Widerspruch zu den eigenen Zahlen. Wir haben wirklich eine rasante Zunahme an Anzeigen, und gleichzeitig wird gesagt Rechtsextremismus sei kein Problem.
Mehr Taten oder mehr Aufmerksamkeit?
Zu den steigenden Zahlen schreibt das BVT: "Seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wurde viel in die Sensibilisierung der Polizei im Hinblick auf Rechtsextremismus und seine Merkmale investiert. Dies zeigt sich auch dort in einem höheren Problembewusstsein. Gleichzeitig gibt es in der Bevölkerung ein höheres Bewusstsein für diese Form des politischen Extremismus und haben sich Inititiativen in der Zivilgesellschaft gebildet, die rechte Aktivitäten beobachten und auch den Behörden anzeigen. Diese Faktoren tragen insgesamt zu der steigenden Anzeigenzahl bei, was nicht zwingend heißt, dass die Zahl der Ereignisse angestiegen ist. Allerdings steigt nicht nur die Zahl der Anzeigen sondern auch die Aufklärungsquote. Diese betrug im Jahr 2010 48,6 Prozent."
Eine hohe Dunkelziffer
Kann es sein, dass in Österreich terroristische oder Terrorismus-ähnliche Taten von Neonazis stattgefunden haben, die aber einfach nicht bekannt geworden sind?
Heribert Schiedel: Durchaus, das ist zu befürchten. Und dort wo sie bekannt geworden sind, sind die Ermittlungen oft schleißig geführt worden und die Sache dann juristisch im Sand verlaufen, Stichwort SS-Kampfgemeinschaft Prinz Eugen. Es ist zu befürchten, dass manche dieser Taten nie aufgeklärt worden sind, und manchmal passieren dann doch noch Wunder wie in Klagenfurt. 2008, ein Brandanschlag auf ein Asylwerberheim während der EM, ein Toter. Die Polizei geht wie immer davon aus, dass es ein Kurzschluss ist, ein Unfall, keine Brandstiftung. Das ist in den seltensten Fällen politisch motiviert, das kann oft auch Faulheit sein, man will halt nicht ermitteln, und es sind - da kommt wieder der Rassismus durch - "eh nur die", die tot sind. Also ich glaube, der Ermittlungseifer bei bekannteren, "wichtigeren" Personen ist ein größerer. Aber das ist ein strukturelles Problem, das hat wenig mit der Politik zu tun. Und es ist zu vermuten, dass es mehr Fälle gibt, auch mit Toten.
Es gab auch in Wien-Floridsdorf einen Brandanschlag auf ein Wohnheim, in dem Ausländer gewohnt haben, in zeitlicher Nähe zu dem Brandanschlag auf den Mistkübel vor dem AMS in Wien. Beim AMS-Mistkübel entstand nur Sachschaden, trotzdem sind Ermittlungen nach §§278ff eingeleitet worden und Leute in Untersuchungshaft genommen worden. Beim Wohnheimbrand waren Menschen in Lebensgefahr und sind massiv bedroht worden. Da wurden zwar Ermittlungen eingeleitet, man hat wohl auch einen Verdächtigen gefunden, von Verhaftungen ist aber nichts bekannt.
Edition Steinbauer
Heribert Schiedels aktuelles Buch "Extreme Rechte in Europa" ist bei Edition Steinbauer erschienen.
Heribert Schiedel: Hier sieht man eine Struktur dahinter - weniger einen Plan, aber eine Struktur: Immer wenn von links oder vermeintlich links etwas passiert, und sei es eine Kleinigkeit, dann wird das behandelt wie die größte Staatsbedrohung. Sofort wird ein Kollektiv dafür verantwortlich gemacht, eine ganze Szene aufgerollt, Leute in Untersuchungshaft genommen, das ist auffällig. Auf der rechten Seite ist man, auch wenn sich die Gewalt nicht gegen Sachen richtet, sondern gegen Menschen, nicht so schnell und so gerne bei der Hand mit all den rechtsstaatlichen Methoden, die man zur Verfügung hätte. Das scheint mir nach wie vor so zu sein, dass der Feind links steht, dass das Ende des Kalten Krieges noch nicht ganz durchgesickert ist. Und man muss auch sehen, dass es strukturell eine Nähe gibt - Ähnlichkeit wäre zuviel gesagt, aber eine Nähe - zwischen Menschen, die dazu angehalten sind, Recht und Ordnung umzusetzen, und Menschen, die Law and Order-Ideologie verbreiten, also den Rechtsextremen. So gab es in den 1990er Jahren ein Flugblatt einer "Notwehrgemeinschaft der Sicherheitswachebeamten", also Rechtsextreme innerhalb der Behörde, und die haben sinngemäß geschrieben: "Warum sollen wir diese sogenannten Neonazis verfolgen und verhaften, wenn die doch eh dasselbe wollen wie wir: mehr Polizei, kriminelle Ausländer raus". Das zeigt, dass der Staat angehalten wäre hier besonders aufmerksam zu sein, gerade in der Aus- und Fortbildung. Man war es auch in den Neunziger Jahren, nur ist in den Jahren nach 2000 hier viel Bewusstsein verloren gegangen, auch von Seiten der Politik.