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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

30. 11. 2011 - 10:53

Brisante Bilder

Das Filmfestival "This Human World" führt an Orte und zu Ereignissen, die nicht auszublenden sind.

Iranische Filme sind in der Kinowelt immer wieder erfolgreich. Zuletzt ging der Goldene Bär der Berlinale an Asghar Farhadi für "Nader und Simin - eine Trennung", während ein Jury-Stuhl leer blieb. Dem eingeladenen Regisseur Jafar Pahani wurde in seinem Heimatland Iran ein zwanzigjähriges Berufs-, Rede- und Ausreiseverbot auferlegt.

Jafar Pahani sprach sich offen und auf internationalen Festivals für die Grüne Revolution aus.

Jafar Pahani ist nicht allein. Regisseur Mohammed Rasolouf wurde zu einer Haftstrafe und zu Berufsverbot verurteilt, zu den Filmfestspielen nach Cannes ließen ihn die iranischen Behörden dieses Frühjahr aber reisen. Ende Oktober wurde die Schauspielerin Marzieh Vafamehr nach einer Verurteilung zu einem Jahr Haft und "neunzig Peitschenhieben" entlassen - sie spielte in der australischen Produktion "My Teheran For Sale". Indes wurden unabhängige Dokumentarfilmer, die für die BBC arbeiteten, inhaftiert. Auch der prominenten Regisseurin Tahmineh Milani ist das schon passiert. Gestern zog sie ihre Jurytätigkeit beim International Film Festival of India zurück, weil der Israeli Dan Wolman überraschend in die Jury kam.

Die Diskrepanz zwischen Wirkung der Kunst und realen Konsequenzen ist bitter. Die nächste Petition haben österreichische FilmemacherInnen zur Unterstützung iranischer KollegInnen aufgesetzt: Im Vorfeld zum Festival "This Human World".

Bis 10. Dezember zeigt "This Human World" in fünf Wiener Kinos täglich Filme, die eine Öffentlichkeit finden müssen. Die Dringlichkeit mag einmal weniger, dann mehr existenziell sein. "This Human World" ist ein internationales Filmfestival für Menschenrechte und zwar eines, das an der Halsschlagader der Gegenwart ansetzt.

Around the World-Ticket

Ruth Brauer Kvam mit Scheuklappen

This Human World

Die Herausforderung ist die, dass es aktuell so viele Herausforderungen sind. Am Besten: Erstmal nur schauen. Das Festival "This Human World" begegnet der unstillbaren Neugier auf die Welt und das, was der Mensch mit sich und seiner Umgebung alles anstellt, zum vierten Mal mit Dokumentar- und Spielfilmen zu fünf Schwerpunkten. Es geht um die großen Themen "this human riot und revolution", den menschlichen Körper, die Zukunft und "this human right".

Kino kann mit der Zeit jonglieren und sein Publikum in Sekunden an andere Schauplätze beamen. Was die Chinesen in afrikanischen Ländern zu tun haben, beobachtet Ella Raidel in "Subverses". Wonach sich junge Menschen in Afghanistan sehnen, fragt Martin Gerner die "Generation Kunduz". Eine junge Radiomoderatorin und einen Schauspieler hätte man im Brennpunkt zwischen internationalen Truppen und Taliban-Kämpfern nicht vermutet. Wenn der Blick zwischendurch auf das Mobiltelefon wandert: Nach "Blood in the mobile" kann ich schwer auf Unwissenheit plädieren. Der Film beleuchtet die Zusammenhänge zwischen Toten im Kongo und den so genannten "Blutmineralien". Dokumentarfilme überwiegen im Programm, eine Vielzahl davon wurde 2011 und im Vorjahr produziert.

"This Human World" zeigt 80 Dokumentar-, Spiel- und Kurzfilme.
30. November bis 10. Dezember 2011 in Wien.

Eine Empfehlung: Nie Gesehenes

Eine dringende Festival-Reiseempfehlung gilt für Burma und Nordkorea, diese unbekannten, abgeschirmten Länder, aus denen höchstens alle paar Monate Mahnbotschaften dringen.

Nordkorea faszinierte schon in der Fußballerinnendokumentation "Hana Dul Sed". Nun ist "Kimjongilia" erstmals in Österreich zu sehen. NordkoreanerInnen, denen die Flucht aus dem wohl isoliertesten Land der Welt gelang, erzählen von totaler Unterdrückung und gottgleicher Verehrung für Kim-II Sung und seinen Sohn, Kim Jong-il. Sie berichten von Verfolgungen über drei Generationen für nicht genannte Vergehen, Straflagern und Millionen Hungerleidenden. Das alles ist so unfassbar, dass ich die essayistisch gehaltene Bildsprache aus Archivbilder-Sequenzen und grafischen Animationen akzeptiere. Nicht zuletzt packt Regisseurin N. C. Heikin die jüngere Geschichte Nordkoreas in 74 Minuten.

Ebenfalls Premiere hierzulande hat das Porträt Aung San Suu Kyi - Lady Of No Fear. Die Widerstandskämpferin gegen die Militärjunta, die 1991 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, darf sich in ihrem Land Burma seit März nach fünfzehn Jahren Hausarrest wieder frei bewegen. Bei den nächsten Wahlen will Aung San Suu Kyi antreten.

Noch eine Empfehlung: Beach Life

Eröffnet wird das "This Human World"-Festival mit "Bombay Beach". Beim Anschauen des Trailers geht mir mein cineastisches Herz auf.

Filmstill aus "Bombay Beach": Mutter spaziert mit Kind, das eine rosa Perücke trägt, in öder Landschaft

Alma Har'el

Original music by Beirut: Der Eröffnungsfilm "Bombay Beach" verbindet dokumentarischen Zugang mit Choreographien.

Das kalifornische "Bombay Beach" ist eine der ärmsten Gemeinden Amerikas. In diesem lang vergessenen American Dream lässt die israelische Regisseurin Alma Har'el ihre ProtagonistInnen zwischendurch immer wieder tanzen: Zu Filmmusik von Zach "Beirut" Condon und Liedern von Bob Dylan.

Weiters empfohlen

The Revolution on screen: Die Österreich-Premiere von "Tahrir 2011: The Good, The Bad And The Politician" findet am 2. Dezember, 20:30, Topkino Wien statt.

Direkt zurück in die letzten Jännertage nach Kairo führt Tahrir 2011: The Good, The Bad And The Politician". Wie die ÄgypterInnen ein Datum für ihre Revolution ansetzten, und warum es in dem Land aktuell Unruhen bei den ersten freien Parlamentswahlen gibt, macht der Film mit Leichtigkeit verständlich. Die drei jungen FilmemacherInnen Tamer Ezzat, Ayten Amin und Amr Salama zeigen die Revolution in einem rasanten Tempo. Zugleich erzählen sie viel über den Staat unter Hosni Mubarak, den sie nicht länger ertragen wollten.

Ägytischer Mann vor einem Gebäude mit dem Graffiti "The End"

Amana Creative

122 ist die Nummer der Polizei, doch im Notfall rief Ayten Amin den ersten Freund in ihrem Telefonbuch an. Sie befragt in "Tahrir 2011" die verhasste Polizei zum Einsatz von Gewalt. Ein junger Polizist schildert die historischen Tage, in denen er Kaninster voll Tränengas in die Menge warf und in die Luft schoss. "Tahrir Square was like a goal. When they reach it, the country falls".

Auch Sammy Khamis berichtet über den Wandel in Ägypten.

Die persönlichen Berichte der jungen ZeitzeugInnen des alten und des neuen Ägyptens wechseln mit Videoaufnahmen der Demonstrationen. "Oh my country, to you all my love and heart", skandieren ÄgypterInnen, die ihre Mobiltelefone und kleine Kameras hochhalten. "Tahrir 2011" ist ein clever angelegtes Filmprojekt.

Nur nicht still stehen

Elf Tage lang bespielt This Human World fünf Programmkinos in Wien. Zum Abschluss, am Tag der Menschenrechte, werden auch zwei Preise vergeben: ein Publikumspreis, der unter allen gezeigten Filmen und eine Jurypreis, der unter MenschenrechtsexpertInnen wie Irene Brickner, Karl Markovics oder Manfred Nowak ermittelt wird. Die Preisverleihung findet am 10. Dezember im Museumsquartier/Ovalhalle statt. Die Party ist mit John Megill in guten DJ-Händen.