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29. 11. 2011 - 12:45

„Briefe an Emma Bowlcut“

Bill Callahans erster Roman bedient sich der Briefform. Man kann ihn sich als leicht rätselhaftes Konzeptalbum vorstellen.

Ein Roman in Briefform? Wie unzeitgemäß ist das denn? Abgesehen davon, dass heute kein Schwein mehr Briefe schreibt, ergehen sich zeitgeistige Dichterlinge doch längst in Email-Epen und SMS-Sagas. Es bedarf also schon einer gewissen Dickschädeligkeit, um sich heute noch dieser im 18. Jahrhundert als bürgerliche Romanfiktion hochgeschätzten Gattung zu bedienen. Dickschädeligkeit, aber auch Kennerschaft um diese spezielle Form von serieller Kurzprosa. Aber davon kann man bei einem literarischen Singersongwriter beziehungsweise singenden Poeten wie Bill Callahan schon ausgehen.

Bill Callahan

Bill Callahan/Drag City

Bill Callahan

Bill Callahan begann 1991 als Smog Alben von großer poetischer Dichte zu veröffentlichen und erwarb sich schnell auch einen Ruf als Sänger von ungewöhnlich arrangierten Stücken, die vor allem in der damaligen Postrock-Szene rund um Jim O’Rourke und Tortoise ob ihrer gekonnten Schieflage geschätzt wurden. „Letters To Emma Bowlcut“ ist Callahans erster „Roman“ und soeben auf Deutsch im Milena-Verlag erschienen.

Die 62 Briefe an Emma Bowlcut - sie haben auf knappen 95 Seiten Platz - könnte man sich ganz gut auch als ein leicht rätselhaftes Konzeptalbum vorstellen, so wie auch umgekehrt viele Songs von Callahan als Kurzgeschichten mit Instrumentenbegleitung daherkommen. Es herrscht also eine große Literarität im Output dieses Künstlers, ohne dass da einer mit dem „Achtung Dichtkunst“-Taferl wacheln würde. Zu beiläufig und im guten Sinn undramatisch werden hier seltsame Dinge verhandelt.

Am spitzen Absatz des Tages brauche ich mein Glas Wein. Christbaumkerzen fürs Gehirn. Ich will eigentlich nichts kaputt machen. Aber ich will wissen, was ich kaputt machen kann.

Vieles ist nebulös, vieles bleibt nebulös in diesen Briefen eines nicht unverschrobenen Mannes an eine Frau, dessen Bekanntschaft der Kauz kurz zuvor auf einer Party gemacht hat. Bald weiß man, dass er auf Boxen abfährt und selber boxt, auch, weil er einem unsympathischen Anwalt gern eine aufs Maul hauen würde.

Ich bin sicher der einzige Scheißkerl im Publikum, der bei so gut wie jedem Kampf, den er sieht, mit den Tränen kämpft. Ein Boxkampf ist wie eine Hochzeit. Oh, es ist wunderschön.

Buchcover "Briefe an Emma Bowlcut"

Milena Verlag

Haare und Körperbehaarung beschäftigen den Sonderling auch sehr - was schon ein wenig befremdlich kommt in Briefen an eine ihm eigentlich noch Unbekannte. Und voll eingenommen wird sein Alltag von einem meteorologischen Phänomen, einem geisterhaften Wirbel, den er Vortex nennt, der aber ebenso diffus bleibt wie vieles andere. Komisch diffus, als hätte Franz Kafka - auch so ein manischer Briefschreiber - seinen diversen Geliebten ausschließlich von ihm undeutbaren Träumen berichtet, in denen er wieder einmal maßlos an allem Möglichen gescheitert sei. Das entbehrt dann nicht einer gewissen Komik, auch ob der Einseitigkeit des Briefwechsels: Kommt doch zwischen den Zeilen kaum etwas zurück von der entrückten Geliebten, ja, man kann sich nicht einmal sicher sein, ob diese Geliebte tatsächlich existiert oder nur als geliebtes Hirngespinst im Kopf des namenlosen Lovers nistet.

Ich weiß nicht, wo wir stehen. Das könnte ewiges Leben für uns bedeuten. Ein Gefühl, als würde man alle Luft aus seiner Lunge lassen, um auf den Grund eines Sees zu sinken, im Schlamm herumzuwaten und dann mit sauberen Füßen ans Ufer zurückzukehren. Was ich sagen will: Wir stehen auf dem Grund eines Sees, halten Händchen und wackeln mit den Zehen. Und eines Tages werden wir ans Ufer schwimmen, mit sauberen Füßen. Wie geht’s deiner Harnröhre?

„Briefe an Emma Bowlcut“, übersetzt von Carl Weissner, Evelyn Steinthaler und Vanessa Wieser ist im Milena Verlag erschienen

Man muss Bill Callahans Büchlein nicht germanistisch zerpflücken. Es ist, was es ist: eine poetologische Versuchsanordnung, ein Schreiben in einer potentiellen Werkstatt für Literatur, das sich dem allzu Konkreten verwehrt und lieber im Phantastischen fischt. In jenem Gewässer, in dem auch das Absurde und das Groteske herumdümpeln - und die Andeutung, die die eigene Phantasie erst in Schwingung versetzt.

Nicht zuletzt aber finden sich in den Briefen an Emma Bowlcut auch sehr zeitgemäße und praktische Liebeserklärungen, mit denen ihr euren Schatz per SMS sicherlich schwer beeindrucken könnt. Z.B. mit einer wie der da:

Ich hoffe, dass jemand einen Kartoffelsack voll Geld an deiner Tür ablädt.

Wem da nicht warm ums Herz wird, der verdient eure Liebe gar nicht.