Erstellt am: 28. 11. 2011 - 17:56 Uhr
Die Lücken im System
Die Nicht-Versicherten müssen im Notfall zwar im Krankenhaus versorgt werden, teure Medikamente und auch intensiv-medizinische Behandlungen gibt es aber nur gegen Rechnung. Für arme Menschen bedeutet das oft eine Spirale aus Krankheit und Armut. Die gemeinnützige Organisation Amber Med - unser diesjähriges Licht ins Dunkel-Projekt - hilft diesen Menschen kostenfrei und anonym.
dpa-Zentralbild/Jan Woitas
Nur ein bis zwei Prozent der Menschen, die in Österreich leben, haben keine Krankenversicherung. In kalten Prozentzahlen klingt das nicht viel. Jeder Einzelne zusammengezählt, ergibt die enorme Summe von 100.000 Betroffenen. Waren es früher vor allem Flüchtlinge, seien es heute auch immer öfter Österreicherinnen und Österreicher, die davon betroffen sind, sagt Carina Spak, die Leiterin von Amber Med. Die Einrichtung der Diakonie und des Roten Kreuzes liegt am Stadtrand von Wien. Bis zu 800 Patienten kommen jährlich hierher, um sich behandeln zu lassen.
Status Quo
Amber Med
Oberlaar Straße 300 – 306
1123 Wien
In Österreich hat nicht jeder Mensch automatisch vollen Zugang zum Gesundheitssystem. Die Krankenversicherung ist stark an die Erwerbsarbeit geknüpft. Diejenigen, die nicht arbeiten - also Kinder oder LebensgefährtInnen, die zu Hause bleiben - werden mitversichert. Damit wird ein Großteil der Bevölkerung gut abgesichert. „Es gibt aber auch Lücken im System, die schnell zum Verhängnis werden können“, sagt Sozialexperte Martin Schenk von der Diakonie. Es seien vor allem die Übergänge, also wenn sich Lebensverhältnisse ändern, die Menschen aus dem System fallen lassen.
Bei Jugendlichen sei das der Fall, wenn man mit der Schule aufhört, sagt Schenk. „Oder wenn sich die Lebenssituation nach einer Scheidung ändere, oder wenn man plötzlich keinen vollen Job mehr findet und sich in einem prekären oder geringfügigen Arbeitsverhältnis selber versichern muss, oder wenn man arbeitslos wird und noch nicht beim Arbeitsamt gemeldet ist“. Es komme häufig vor, dass Menschen ihren Versicherungsschutz vorübergehend verlieren und das zunächst gar nicht wissen, so der Experte. Ein Unfall ist dann aber oft existenzbedrohend.
Hürden für Asylsuchende
Bei den Asylsuchenden hat die Grundversorgung zwar eine Erleichterung gebracht, gleichzeitig aber auch neue Probleme geschaffen. „Das größte Problem ist, dass in einem kleinen Land wie Österreich zehn verschiedene Regelungen bestehen. Jedes Bundesland hat ein eigenes Gesetz und auch der Bund hat ein eigenes Grundversorgungsgesetz.“, sagt Christoph Riedl vom Flüchtlingsdienst der Diakonie. Die jeweiligen Vorschriften sind oft nicht miteinander vereinbar und verkomplizieren die Situation. Wenn ein Asylwerber dann durch einen Fehler aus der Grundversorgung ausscheidet, ist es sehr schwer wieder hineinzukommen und versichert zu sein.
Notfallversorgung vs. Krankenversicherung
In Österreich gibt es eine gesetzlich festgeschriebene Notfallversorgung. Jedem Menschen muss in einer lebensbedrohenden Situation medizinisch geholfen werden. Was jedoch ein Notfall ist und wie weit die medizinische Versorgung dann gehen muss, ist Interpretationssache. Bei einer Grippe mit Fieber liege es zum Beispiel in der Gnade und dem Belieben des Krankenhauses oder der Ärztinnen und Ärzte, ob man behandelt wird oder nicht, so Martin Schenk,. „Deswegen gibt es Ambulanzen für Nichtversicherte, weil Leute eben nicht gescheit behandelt werden“.Außerdem bekämen die Patienten nicht jede medizinische Versorgung und vor allem keine intensivmedizinische Versorgung. Für den Sozialexperten ist das eine der gravierendsten Lücken, die geschlossen werden sollte.
Drei Punkte für Reform
Für eine Reform der bestehenden Gesetzeslage hat Martin Schenk drei Vorschläge: Als einen ersten Schritt sollten die Lücken im bestehenden Krankenversicherungssystem durchforstet werden. „Man muss sich genau ansehen, wo es Lücken gibt, und warum die Leute durch das System fallen“. Als zweites sollen die Informationen verbessert werden, vor allem für MigrantInnen und AsylwerberInnen. „Und das Dritte ist das große Feld der schlechten, unsicheren und prekären Jobs. Es ist eine große politische Aufgabe, dass dieser Niedriglohnsektor nicht zu groß wird.“