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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

28. 11. 2011 - 17:11

Designter Elektroniksternenstaub

Wenn Trip Hop inspirierte Beats zu schweben beginnen, und Synthesizermelodien wie Sternschnuppen den Electro-Himmel überziehen. Das zweite Album "Dive" von Tycho alias Scott Hansen.

Eine kleine Synthesizermelodie. Damit fängt meist alles an.

Erst langsam gesellen sich tiefe Basstöne und ein oft schleppender Beat dazu. Mit eigens produzierten Samples oder im Freien aufgenommenen Feldaufnahmen verpasst Scott Hansen alias Tycho dann seinen Tracks genau diese mystische und hypnotische Stimmung, die einen in das Tycho-Universum hineinsaugt und lange nicht mehr ausspuckt.

Scott Hansen alias Tycho on his synthesizer in his studio

Scott Hansen/Tycho

Die Gefühlswelten von Design und Musik

Bereits als Kind hat Scott Dinge entworfen. Klar, designen hatte es damals niemand genannt, wenn er auf der Schreibmaschine des Vaters "amtliche Dokumente" erfunden hat. Aber seine kreative Ader und sein Interesse an Ästhetik waren damals schon sehr ausgeprägt.

Poster des Musikers und Künstlers Tycho alias ISO50 alias Scott Hansen

ISO50/Scott Hanesn

Unter dem Pseudonym ISO50 kreiert er unter anderem wundervoll verträumte Plakate für seine Konzerte und entwirft die Cover seiner EPs, Singles und Alben alle selbst. Inspiration sind dabei die Bilder seiner Elterngeneration, Scott bedient sich also meist Typographien und Sujets aus den 1960iger und 1970iger Jahren. Er schafft es jedoch, daraus etwas Kontemporäres und gleichzeitig Zeitloses zu machen. Überhaupt verschmilzt die Welt des Designers oft mit der des Musikers Scott Hansens. Denn hinter beiden künstlerischen Ausdrucksformen steht dieselbe Intention, nämlich Gefühle zu vermitteln. Mit Musik lässt sich das laut Scott viel leichter bewerkstelligen. Tracks sind schließlich viel komplexer als designte Bilder und vielleicht liegt es auch daran, dass die Klangwellen einen unmittelbareren Zugang zu unseren unbewussten Gefühlsebenen aufbauen können, ohne über die visuelle Abstraktionsebene gehen zu müssen.

Tycho Single-Cover "Coastal Brake"

ISO50/Scott Hansen

Tychos selbst designtes Cover zur Single "Coastal Brake"

Sowohl als ISO50 als auch in Form von Tycho hat die Kunst von Scott Hansen etwas melancholisches, oder besser sehnsüchtiges an sich. Inspiration dafür holt sich Scott Hansen neben den offensichtlichen, musikalischen Referenzen wie den Schotten Boards Of Canada aus seiner unmittelbaren Umgebung, meist bei langen Spaziergängen. Es ist das Gefühl, das Scott beim Betrachten der Natur empfindet, etwas zu sehen, was größer, umfassender ist, als das eigene Leben. Man denke da nur an die größten Bäumen der Welt, die die Küste von Kalifornien säumen, vor denen stehend man sich wirklich winzig und unbedeutend vorkommt.

Klangmeer und Elektroniksternenstaub

Dass sich Scott Hansen für seine Musik den dänischen Astronom Tycho Brahe als Namensgeber ausgesucht hat, kommt nicht von ungefähr. Der Familienstamm seines Vaters hat seine Wurzeln in Dänemark, aber darüber hinaus fühlt man sich beim Hören der Musik wirklich in ein weit entferntes, anderes Musikuniversum versetzt. Das tychonischen System auf der Klangebene folgt nicht einem mosaikartigen Aufbau, dem sich die meisten Elektronikproduzenten bedienen, sondern eher einem sich stetigen Fluss. Dabei gibt es sowohl Stromschnellen, wie das pulsierende "Coastal Brake", als auch stillere Kehrwasser, wie dem zarten "Melanine", das in den knapp drei Minuten vollkommen ohne Beats auskommt. Dafür schmiegt sich eine akustische Gitarre zu den verhallten Synthiemelodien, gespielt von dem befreundeten Musiker Zac Brown (der auch bei dem Downbeat- und Elektronikprojekt Dusty Brown mit Basis Sacramento mitspielt).

Gitarrist Zac Brown in Tychos Studio in San Francisco.

Tycho/Scott Hansen

Gitarrist Zac Brown in Tychos Studio in San Francisco beim einspielen federleichter Riffs für das neue Album "Dive".

"Music is my first love", meinte Scott Hansen vor ein paar Jahren beim Design & Technology Event FITC in Toronto. Und das ist wohl noch immer so. Auch wenn das Designen die Miete und das Leben finanziell absichert, so schlägt das Herz des Produzenten für seine sphärischen Soundteppiche, die verschleppten Beats und die vermehrt eingesetzte Gitarre, die bei Scott immer auch im Büro in greifbarer Nähe ist. Denn steht ein Design-Projekt am Programm, muss der musikalische Schaffensdrang in den Hintergrund rücken. In den Kreativ-Pausen lässt Scott trotzdem die visuelle Welt hinter sich und kanalisiert seine Ideen mit den sechs Saiten zu besagten Skizzen, die in seinem Studio in San Francisco dann ausproduziert werden.

Tycho Albumcover "Dive"

ISO50/Scott Hansen

Das zweite Tycho Album "Dive" ist auf Ghostly International erschienen.

Mit dem zweiten Album "Dive" ist dem amerikanischen Designer und Musiker ein soundtechnisch enorm dichtes, vielschichtiges und unglaublich einnehmendes Werk gelungen. Selbst die ruhigsten Momente, wie der einsame Bassgitarrenlauf in "A Walk", die wabbernden Synthieflächen von "Hours", die akustischen Akkordzerlegungen von "Daydream" oder das weiße Rauschen in "Adrift" generieren eine unglaubliche Spannung unter der harmonischen Oberfläche die einen dran belieben lässt. Bis zum letzten Ton, der titelgerecht beim Schlussstück "Elegy" im unendlichen Hallraum ausklingt. Ein Album, dem man sich - hat man es erst einmal in seine Kopfhörer gespeist - nicht mehr entziehen kann.