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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

27. 11. 2011 - 12:06

Ein Beweisverfahren

Verdacht, Verfolgung und Tiere: Die Doku "Der Prozess" bietet aktenstapelhohen Stoff für ein Justizdrama. Regisseur Igor Gerald Hauzenberger hat sich dagegen entschieden.

Die reale Geschichte hat alles, was einen Blockbuster ausmacht: Suspense, Drama und Tiere. Zu allererst sind es tiefblau angelaufene, tote Ferkel in den Händen von TierschützerInnen auf einem Gehsteig. Vorbeieilende Passanten verziehen angewidert ihre Gesichter. Ein junger Mann bleibt mit Abstand stehen und schaut traurig. "Der Prozess" von Filmemacher Gerald Igor Hauzenberger beginnt mit Aktionen einer Handvoll TierschützerInnen. Die ersten Verhaftungen gibt es 2008. Schließlich wird den TierschützerInnen das Gründen einer kriminellen Organisation vorgeworfen. Als Erste in Österreich werden sie nach Paragraf 278a angeklagt.

Der Prozess gegen die TierschützerInnen wird sich über ein Jahr bis Mai 2011 ziehen, und Gerald Igor Hauzenberger wird ihn mit der Kamera begleiten. Gerichtsfilm ist Hauzenbergers Dokumentation jedoch keiner geworden. Hauzenberger macht es spannend. Der Regisseur stellt eine Frage in den Mittelpunkt: Wird die Zivilgesellschaft zum Staatsfeind Nummer Eins?

TierschützerInnen protestieren nackt im Winter 2008

Thimfilm

Wer fürchtet sich vor wütenden Wildschweinen?

Martin Balluch ist der erste, der zu Wort kommt. Der Obmann des "Vereins gegen Tierfabriken" steht auf einem Feld vor einer Legebatterie-Anlage und diktiert seinen Mitstreitern via Funkgerät, wie sie das Protestplakat am Stall anbringen sollen. Schnell wird klar: Stets zur Stelle ist die Polizei. Dass Legebatterien per Gesetz verboten sind, interessiert die Beamten nicht. Sie wurden in der Causa Hausfriedensbruch gerufen.

Regisseur Gerald Igor Hauzenberger im Gespräch mit Irmi Wutscher über die Arbeit an "Der Prozess".

Die Protagonisten in "Der Prozess" sind mehrheitlich TierschützerInnen. Das wird sich Regisseur Hauzenberger nicht unbedingt selbst ausgesucht haben: Interviewanfragen an die Firma Kleider Bauer und an das Innenministerium wurden abgelehnt. Gerald Igor Hauzenberger thematisiert dieses Verneinen einer Auskunftsbereitschaft in einem Insert zu Bildern einer Modeschau und in einem Telefonat mit einer Pressesprecherin des Ministeriums. Die Ankläger halten sich bedeckt.

Staatsanwalt

Thimfilm

Lobby gegen Lobby

Telefonüberwachungen, Wohnungsdurchsuchungen und eine verdeckte Ermittlerin. Das volle Ausmaß der Verdächtigungen und Ermittlungen legt "Der Prozess" Stück für Stück frei, ohne einen als Zuschauer mit juristischen Fußnoten zu irritieren. Die Vorwürfe gegen sie lesen die angeklagten jungen Leute laut vor. In den Gerichtsgängen sitzt eine blasse, blonde junge Frau. Ein kräftiger Tiroler mit Rasta, der seinen Protest gern mit Performances oder Malerei verbindet. Ein großer Mann mit Kurzhaarfrisur. Wenn der Bauernbund mit Blasmusik für Wilhelm Molterer aufmarschiert, wird er nach 104 Tagen Untersuchungshaft erneut vor einem riesen Banner für Tierschutz und gegen Repression demonstrieren.

Ein Interview mit Martin Balluch von Robert Zikmund anlässlich des Filmstarts von "Der Prozess".

Es ist diese unerschütterliche Vehemenz, die ihre Gegner derart fürchten müssen. Eindringlich und ohne lange Gesprächspassagen vermittelt die Doku den durchaus äußerst kreativen zivilen Ungehorsam der TierschützerInnen. Zwei Doktortitel und dieser Aktivismus, das erzeuge Abwehr, erklärt sich Martin Balluch die Verfolgung seiner Person. Das der Tierethiker ein Charisma hat, das andere bitter vermissen, stellt Hauzenberger nicht aus. Er konzentriert sich nicht allein auf jenen Mann, der in der Anklage als Kopf hingestellt wurde. Als ZuschauerIn ist man neugierig: Wie ticken diese TierschützerInnen?

"Der Prozess" macht aus den angeklagten Aktivisten einer NGO keine HeldInnen. Es geht nicht darum, ihren Einsatz für Schweine und Füchse gut zu heißen, oder dieses Engagement zu psychologisieren. Pelztragen oder vegan leben, für diese Debatten ist im Film kein Platz. Ein Wildschwein ringt im Todeskampf. Die Gewalt spielt sich auf einer anderen Ebene ab: Es ist die Auseinandersetzung Staatsgewalt und Bürgerrecht, die diesen Prozess bestimmt.

Eine Tierschutz-Aktivistin mit Rucksack auf der Straße

Thimfilm

Durchdachte Filmarbeit

Hauzenbergers Erzählstil ist prägnant. Der Regisseur hat sich mit Dominik Spritzendorfer die Kameraarbeit geteilt. Es ist kein Draufhalten im Moment des Ereignisses, sondern wohl durchdachte Filmarbeit. Keine Angst vor langwierigen Erläuterungen des Verfahrens: Szenen vor Gericht werden mit Zeichnungen des Angeklagten Chris Moser bebildert. Ja, dieser Film ist auch Unterhaltung. Bei der Viennale gab es den Wiener Filmpreis für den besten Dokumentarfilm. Sich selbst bezeichnet Hauzenberger als sozial engagierten Filmemacher. Frei assoziieren können die ZuschauerInnen. Die Deutungsrichtung ist klar.

Ein Höhepunkt ist der Besuch des Jägerballs, der direkt auf eine Aussage des Justizsprechers der Grünen, Albert Steinhauser folgt: "Die Tierschützer haben politisch einer starken Lobby wehgetan. Der Pelzindustrie, den Jägern. Und diese Lobbys haben sich zur Wehr gesetzt. Und dann hat man sozusagen eine scharfe Waffe gezogen, um gegen die Tierschützer vorzugehen und - ich sage es jetzt knallhart - ihnen das Garaus zu machen." Uwe Scheuch und Josef Pröll stimmen ein "Auf, auf zum fröhlichen Jagen" an, Heinz-Christian Strache kommt grinsend in den Ballsaal, Alfons Mensdorff-Pouilly amüsiert sich und zwischendrin im Gewühl steht ganz ruhig Peter Graf, Chef der Firma Kleider Bauer, und blickt sich um. Die damalige Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, Christian Konrad - in einer dreiminütigen Sequenz bewegt sich das Kinopublikum wie ein Ballbesucher durch den Trubel. Inserts mit Namen und Profession übernehmen die Vorstellungsrunde, sollte einem ein Gesicht unbekannt sein.

Protestierende Tierschutzaktivisten kauern nackt in einem Käfig

Thimfilm

Keine kriminelle Organisation

"Der Prozess" läuft seit 25. November 2011 in Kinos in Wien und Linz. Ab 1. und 2. Dezember ist die Doku auch in Innsbruck und Graz zu sehen.

Drei Wochen vor Prozessbeginn bekommt auch noch eine junge Flyerverteilerin einen Strafantrag. Sie sei "Mitglied in einer kriminellen Organisation". Wie der Prozess ausgeht, ist bekannt. In den ersten Maitagen 2011 wurden alle Angeklagten in allen Punkten freigesprochen.