Erstellt am: 26. 11. 2011 - 20:15 Uhr
Fußball-Journal '11-133.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch das heurige Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit ein paar Anmerkungen zu einem Kurzzeit-Tabellenführer.
Heute Nachmittag, um 17 Uhr 49, war die SV Ried Tabellenführer der österreichischen Bundesliga. Zumindest für etwas mehr als zwei Stunden.
Das ist trotzdem eine Sensation, und zwar deshalb, weil es nicht das erste, sondern das bereits xte Ausrufe-Zeichen einer Mannschaft bzw eines Vereins ist, die/der eine solche Position von Standing, Qualität, Potential und Struktur gar nicht erreichen kann.
Das führt automatisch dazu, dass als Fußball-Journalisten verkleideten Laiendarsteller jetzt öffentlich dieselbe Frage stellen, die ihnen auch in den schwächeren Phasen der Rieder (zu Saisonbeginn etwa, nach vier sieglosen Spielen und einem letzten Platz) über die Lippen kam: die "Ja, wie ist denn das möglich!?"-Frage.
Danach kommen (von anderen als Journalisten und als Experten Verkleideten) punktuell ansetzende Antworten, die nach wenigen Wochen, angesichts der nächsten, wieder gleichen Fragestellung, (zurecht) schon wieder vergessen sind. Weshalb man sie dann voll Inbrunst wieder stellen kann; Weshalb dann auch nie ein Konnex hergestellt werden kann.
Im Fall von Ried nämlich hat der schwache Start dieselben Ursachen, wie der jetzt ganz brauchbare Lauf; letztlich sind die höchst unterschiedlichen Ergebnisse der letzten Jahre (neben Cupsieg oder Herbstmeistertitel gab es ja auch ein Fast-Abstiegs-Halbjahr) allesamt Bausteine ein und derselben Räumlichkeit. Und die versteht man nicht, wenn man nur einmal zu einer Party vorbeikommt.
Rieds "Geheimnis" liegt im Konzept des Konzept-Vereins.
Mit einem Konzept-Trainer, dem Marcelo Bielsa Österreichs.
Auf welcher Basis kann Gludovatz bielsaen?
Die Zutaten: Ein uneitler Präsident, ein ruhiger Vorstand, ein Stadion in Vereinsbesitz, eine funktionierende und bewusst forcierte Fußball-Akademie, ein umsichtiger Manager, ein erfahrener Trainer, ein eingespieltes Coaching-Team, eine Mannschaft von Außenseitern.
Das ermöglicht vor allem eines: Ruhe, keine Aufgeregtheiten.
So was kann sich, vor allem in einem kleinstädtischen Umfeld negativ niederschlagen und in stammtischiger Versumpfung enden.
Im Fall von Ried hat Manager Stefan Reiter auf dieser Basis aber eine Vereins-Philosophie gezimmert.
War Ried vor fünf Jahren noch Anlaufstelle aller lässigen Burschen aus Ried, dem Kreis, dem Land Oberösterreich, hat sich dieser regionale Aspekt mittlerweile zugunsten anderer Schwerpunkte verschoben. Ried ist heute Anlaufstelle von anderswo untergebutterten Jung-Talenten, Mitt-Zwanzigern, deren Qualität noch nicht erkannt wurde, Eigengewächsen und ein paar den Duft der weiten Fußball-Welt einbringenden Spaniern.
Da gibt es keinen hohen Glam- oder Starfaktor, deswegen auch keine unruhestiftende Medien-Lage und deshalb die Möglichkeit, das, wovon alle nur reden auch wirklich durchzuziehen: den langfristigen Aufbau.
Derlei hören wir in den fußballerischen Sonntags-Predigten andauernd.
In Wien-Hütteldorf etwa, wo man sich erst vor ein paar Wochen dazu durchgerungen hat, die eigene Akademie nicht weiterhin als lästiges Hundstrümmerl zu betrachten.
Oder im Reich des Heinz Hochhauser in Salzburg, wo man dann lieber huschhusch panikartig einen abgetakelten Holländer holte, anstatt den Jungen zu vertrauen.
Bei Ried spielen diese Jungen: Karner, Riegler, Meilinger...
Das System löst das Problem...
Ried ist das Team, das seit Saisonbeginn die größten Verluste aus dem Stamm aufzuweisen hat: Glasner, Mader, Royer.
Dass Trainer Gludovatz den Ausfall solch wichtiger Korsett-Stangen innerhalb von wenigen Stunden kompensieren kann, liegt an seinem Konzept, an seinem Spielsystem.
Bei der U20-WM in Kanada, seinem Durchbruch in eine größere Öffentlichkeit hatte Gludowatz noch auf ein jeweils an die Gegner angepaßtes 4-5-1 zurückgegriffen und sich hauptsächlich über einen herausragenden Matchplan als echter Coach etabliert.
Als er im Juli 2008 zur SV Ried wechselte, dauerte es einige harte Wochen, ehe sich nach viel Herumprobiererei dann das heute noch gültige 3-3-3-1 als Heilbringer herauskristalliserte - hier die erste Erwähnung samt Analyse.
Letztlich ist es immer noch dieses Spielsystem, das die SV Ried (sportlich) so weit oben hält. Es ermöglicht nämlich Stabilität trotz einer immer stärker werdenden Fluktuation; die Aufrechterhaltung eines Levels. Denn auch eine spielerisch schwächere, unroutiniertere und mit womöglich sensibler zu handelnden Spielern besetzte Mannschaft kann durch ein gut auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes System stärken werden als die einzelnen Teile.
Ich kann mich erinnern, dass ich nach dem ersten, mehr als verblüffenden Gludovatz-Jahr in Ried vor dem Saisonstart 09/10 erwartet hatte, dass der Zirkusdirektor seiner Truppe noch einen zweiten Trick beibringt.
Denn natürlich wäre Ried, wenn es neben dem 3-3-3-1 auch noch ein anderes System (sagen wir einmal ein 4-2-3-1) so perfekt beherrschen würde. So ausgerüstet wäre man in der taktisch immer noch recht unterentwickelten heimischen Liga ganz weit vorne.
Die alte Ajax-Zauberformel: 3-3-3-1
Das ist bis heute nicht flächendeckend passiert - auch wenn Gludovatz manchmal, sogar in kritischen Spielen, zuletzt war das in der Euro-League Qualifikation der Fall, auf eine Vierer-Abwehr umstellt).
Gludovatz ist womöglich Marcelo Bielsa, aber er hat nicht dessen Arbeitsbedingungen. Der hatte bei großen Vereinen in Spanien und Argentinien sowie bei Nationalmannschaften andere Möglichkeiten: technisch und physisch besser ausgebildete Akteure und ein grundlegenderes Verstöändnis für die Bedeutung von Konzept-Fußball.
Genau wie Bielsa arbeitet Gludovatz auch bei Verbänden oder Vereinen mit einem philosophischem Bekenntnis am effektivsten. Mit Chile, die Überraschungs-Mannschaft der letzten WM, oder Athletic Bilbao kann Bielsa vergleichsweise einfacher die Systeme switchen, komplexe Umdenk-Prozesse während des Spiels in Gang setzen.
Bei Ried ist jetzt einmal das eine System so verinnerlicht worden, dass Reifeltshammer, Hadzic und Meilinger die Positionen von Glasner, Mader und Royer problemlos füllen können.
Alles darüber hinausgehende, das Bielsa-mäßige, wäre jetzt eine Zugabe. Eine, die deswegen noch auf sich warten lassen wird, weil der Konzept-Verein Ried noch etwas anderes ist: ein Ausbildungs-Verein.
Leute wie Rotpuller, Zulj, Ziegl und alle bereits Genannten werden über kurz oder lang das Interesse ausländischer Vereine auf sich ziehen; und dann verkauft werden wie Schrammel, Nuhiu, Radlinger und alle bereits Genannten.
Die Tabellenführung holte sich Ried mit einem durchaus glücklichen Sieg gegen Wacker Innsbruck, wo Walter Kogler, der nach Gludovatz zweitbeste Taktiker trainiert. Kogler hat seiner, ebenfalls von Standing, Struktur und Potential weit über dem eigentlichen Limit spielenden Mannschaft ein sehr spezielles 4-1-4-1 verpasst, dessen Geheimnis vor allem in der Mittelfeld-Zentrale sitzt. In der Vorjahres-Hochblüte waren das Prokopic und Schreter, aktuell versuchen sich Merino und Hackmair, dazu kommt der vom ÖFB total vergessene große fußballerische Hoffnungsträger Momo Ildiz.
Seit wann dürfen Systemfragen überhaupt gestellt werden?
Peter Schöttel befindet sich in seiner Erprobungs-Phase auf einem guten Weg. Und Karl Daxbacher setzt sein (gutes) Material auch recht okay ein.
Der Rest erfüllt die Ansprüche nicht: Moniz blieb als Taktiker enttäuschend; Foda und Kühbauer können das flache 4-4-2 nicht schmackhaft aufwärmen; Lederer schließt dort gerade ins aktuelle Jahrhundert auf, Gregoritsch hat aufgegeben. Und Peter Stöger, der die allerbesten Vorrausetzungen (nämlich keine Chance) hat, verstand es noch nicht eine Handschrift zu entwickeln.
Aktuell werden diese Leistungen öffentlich vor allem an Ergebnissen festgemacht (was dann zur ungesundenÜberhöhung führt); in den letzten, kollerkonfliktgeprägten Monaten ist aber die Frage des Systems immerhin eine, die auch gestellt wird.
Im Herbst 2008, als Ried Gludovatz' 3-3-3-1 allwöchentlich vorführte, gab es genügend Experten (und noch mehr Journalisten darstellende Laien), die dieses System entweder nicht erkennen konnten oder nicht erkennen wollten; es wurde in jedem Fall als schiere Interpretation von ein paar Theoretikern weggeredet. Auch weil Gludovatz da, schlauerweise, mitspielte - um sich seinen Clou zu bewahren.
Dieselben Trainer/Experten die damals die Existenz eines eigenständigen Systems leugneten (und weiter die Lulu-Phrasen von Kampf, Einsatz und Wille predigten) sind heute gezwungen sich damit auseinanderzusetzen. Dieselben Übertragungs-Anstalten und Live-Reporter, die 2008 noch (entgegen jeder Augenfälligkeit) falsche Positionsbezeichnungen ganze Spiele durchhielten, sind heute gezwungen sich auch damit zu beschäftigen.
Auch das ist ein Verdienst von Gludovatz; und damit der SV Ried, dieses Konzept-Vereins mit System und Philosophie. Möge man in Innkreis weiterhin nie den Kopf verlieren.
PS:
Um 20 Uhr 24 haben die Austria und Rapid Ried als Kurzzeit-Tabellenführer überholt. Morgen abend ist Ried dann womöglich Vierter. Immer noch toll.