Erstellt am: 24. 11. 2011 - 22:50 Uhr
Journal 2011. Eintrag 212.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer Zufalls-Fortsetzung zum gestrigen Journal.
Büro.
Alltagssituation.
Mensch A (um das so neutral wie möglich zu halten; um Positionen und Personen geht es nämlich gar nicht, auch nicht drum ob ich das erlebt oder erzählt bekommen habe) stellt fest, dass in seinem Arbeitsalltag etwas nicht klappt; nennen wir's ein Zulieferproblem.
Mensch A pfeift Mensch B, der das hätte checken sollen, deshalb an. Mensch B hat das wahrscheinlich übersehen, pfeift aber zurück, dass diese Tätigkeit gar nicht seine Aufgabe wäre - der allen bekannten Tatsache, dass es in seine Zuständigkeit fällt, zum Trotz. Mensch A widmet sich weiter grollend der anstehenden Arbeit.
Mensch B sucht die Menschen C und D, zwei an diesem Arbeitsprozess völlig Unbeteiligte auf und klagt die eben passierte Situation ein. Mensch C und D haben nur den Tonfall, nicht aber die Ursache des Vorfalls mitbekommen, spielen aber trotzdem bei der Fragestellung von Mensch B mit. Die lautet etwa so: wenn Mensch A mit dem falschen Fuß aufgestanden ist, soll ers nicht an mir auslassen. Und überhaupt ist der zurzeit komisch.
Die Besprechung endet mit der Einigung dass Mensch B von Mensch A eine Entschuldigung verlangen wird.
Mich interessiert an dieser alltäglichen und hochabsurden Situation nicht die trickreiche Verlagerung von Inhalt zu Form, sondern auschließlich ein Punkt: die automatisierte Zuschreibung.
Wenn Mensch B sich nach der als Attacke gefühlten, aber inhaltlich begründeten Bellerei von Mensch A nur über den Zugang der Emotionalisierung einer Tatsache retten kann (um vor sich selber das Gesicht zu bewahren) dann ist das daneben, aber nachvollziehbar.
Wenn aber die Menschen C und D da wie von selber mitspielen, ohne die Geschichte dahinter überhaupt kennen zu wollen, dann spricht das für einen kollektiven Zugang.
Ich halte den für prototpyisch.
Nicht unbedingt für österreichisch.
Er ist durch unsere deutlich erhöhte Wehleidigkeit und die anerkannt niederige Diskussions-Kultur zwar ausgeprägter als sonstwo.
Letztlich handelt es sich aber um eine reflexhafte Situation, die auf dem simplen Grundsatz des Honi soit qui mal y pense beruht.
Weil man davon ausgeht, dass man selber einen emotionalen, also stammhirntechnisch niedereren Grund für ein Vorgehen haben und auch ausspielen würde, traut man allen anderen auch nicht mehr zu.
In wenig reflektiven und von starkem Obrigkeitsdenken geprägten Gesellschaften wie der unseren wird diese Vorgangsweise nicht nur gebilligt, sondern allenthalben vorgelebt.
Von Role Models jeglicher Statur, von Politik, Wirtschaft und Medien. Weshalb dieser Modus auch wie selbstverständlich in unser aller Alltag einfließt und gar nicht mehr hinterfragt wird.
Wir wissen:
Niemand kann für ein unangenehmes oder widerstrebendes Anliegen einen anderen Beweggrund haben als einen nieder gesinnten.
Keiner kann für eine Sache eintreten ohne da einen persönlichen Benefit oder einen Betroffenheits-Background zu haben.
Alles, was sich uns in einer fordernden Gestalt entgegenstellt und Aufmerksamkeit, Nachdenken, Zugeständnis benötigt, muss zuerst den reflexhaften "das macht der doch nur, weil..."-Filter durchlaufen.
Das ist ein Muster, das aus uns kaum rauszukriegen ist.
Und letztlich ist das Leben ein lebenslanges Kampfgebiet um genau sowas zu überwinden.
Weil man sich durch diese Konstruktionen nämlich jeglichen Erkenntnisgewinn verbaut, und so in seiner Menschwerdung im allzu Simplen steckenbleibt wie der Schneck im Haus.
Schönes Beispiel:
gestern habe ich mich an dieser Stelle zu einer Bushido-Aussage geäußert, in der er, am Beispiel der bewußten Diss-Verwendung des Begriffs "schwul" als moralischer Dünnbrettbohrer erwiesen hat.
Ich weiß nun nicht, was da im Forum abgeht (ab einer gewissen Postinganzahl lese ich das nicht mehr; in vertraue auf eine ausgewogene sich selbstregulierende Kraft der User) aber ich kann von anderen Reaktionen berichten, die (ganz im Sinn der Mensch B-Krise) da nur eine Frage beschäftigt: ob denn der Blumenau selber schwul sei, weil er so arg auf dem Thema rumreitet. Als ob das was am Inhalt, an den Fakten und an der Philisophie dahinter ändern würde. Als ob es schwulen oder nicht-schwules Denken geben würde. Alles Apartheid also, in der Annahme.
Vor ein paar Tagen wars dasselbe zum Thema Bullying.
Anstatt sich mit den bewußt pronocierten Inhalten zu beschäftigen, die meiner Ansicht nach, genug weitere Fragen und Debattenstoff aufwerfen (deshalb mach' ich den ganzen Scheiß ja...), verheddern sich dann immer wieder einige (zu vielen) in der Küchenpsychologisierung ihrer selbst, um die obstrusen Erkenntnisse dann, per Fern-Diagnose, per hatscherter Konstruktion dem Anderen umzuhängen.
Man muss nicht schwul sein um zu spüren wie Scheiße das ist, von schnöselig-geschniegelten Wannabe-Pimps aus der Seitenblicke-Schickeria als der letzte Dreck pathologisiert zu werden. Das kann jeder Mensch.
Und ich kann solchen Prototypen in überspitzter Emotionalisierung ihre Drecksackigkeiten zum Vorwurf machen, ohne dabei die Frage der direkten Betroffenheit stellen zu müssen; auch wenn die im Mensch B-Denken automatisch daherkommt, wie der Rülpser nach dem guten Essen.
Weil das eine mit dem anderen nix zu tun hat.
Ich muss auch keinen tagesbefindlichen Grund dafür haben; im Gegenteil - gute Laune und Mandarinenfressen hilft mir bei solchen Raps enorm. Der Ärger über die Zustände, das Aussprechen der Ungerechtigkeit frißt ja nicht den Aussprecher auf, sondern das gesellschaftliche System und die, die sich nicht dagegen wehren.
Ich bin ja nicht persönlich auf Bushido angefressen.
Der Typ ist mir putzegal; vielleicht ist der sogar ganz lieb, whatever.
Es geht um die Sache.
Wer die kleinreden will, weil er sich vor lauter Angst vor den eigenen Ängsten über die Verpackung, übers Formale, über eine unziemliche Betroffenheit ins Ausreden-Terrain flüchtet; wer seine Aufnahmefähigkeit ausschließlich über Konstruktionen des "Anderen", die immer nach dem Selbstbild funktionieren, filtert - der untergräbt seine eigene Wehrhaftigkeit und macht sich selber zum Rädchen in der Vorhalte-Gesellschaft, zum Opfer der eigenen Passiv-Konstrzuktion. Und er hat eines: mein Mitleid.