Erstellt am: 24. 11. 2011 - 19:03 Uhr
Occupy Wall Street
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Krisenportraits: We Are The 99 Percent
Occupy Wall Street Website
Day Of Action
Letzten Donnerstag an der Wall Street: Demonstranten blockieren den Zugang zur Börse. Rechts von mir an der Ecke Pine/Nassau Street ist es friedlich. Eine Marching Band lockert die Stimmung. Die AktitivstInnen haben vor den Sperrgitttern des NYPD Stellung bezogen. „Mayor Bloomberg be aware, Liberty Park is everywhere!“, singen sie. Wie von Occupy Wall Street intendiert, können viele Börsianer nicht zu ihren Arbeitsplätzen vordringen. Es sind jedoch vor allem die Sperrgitter und die Mauer aus Riot-Gear und Billy Clubs, die ein Durchkommen verunmöglichen. Die berühmte NYSE-Glocke sollte dennoch pünktlich um 9:30 den Tagesbetrieb der der Börse einleuten.
Christian Lehner
Christian Lehner
Inmitten des bunten Haufens entdecke ich den pensionierten Polizei-Captain Ray Lewis aus Philadelphia. Wie ca. 200 weitere DemonstrantInnen an diesem Tag sollte auch er Bekanntschaft mit den Verhaftungsmethoden der New Yorker Ex-Kollgen machen. Lewis zählt neben dem aus Österreich stammenden, honorigen Pfefferspray-Opfer Dorli Rainey aus Seattle zu den medial herumgereichten Märtyrern der vergangenen zwei, sehr gewaltsam verlaufenden OWS-Wochen. Am anderen Ende des Blocks, Ecke Pine und William geht es mittlerweile auch schon richtig zur Sache. Erst ein Herumschieben. Dann die in ihrer mittlerweile routinierten Art umso abstoßender und entmenschlicht wirkenden Fließbandverladungen von mit weißen Plastikbändern verzurrten AktivistInnen in die NYPD-Arrestswagen.
Christian Lehner
Verlorene Menschen und Bücher
Im Getümmel treffe ich auf Loran Heart. In einer Hand hält der katholische Arbeiteraktivist aus North Carolina ein Demoschild. In der anderen einen Trolley. Darin befinden sich die Habseligkeiten, die bei der Zwangsräumung am Dienstag vor einer Woche nicht verlorengegangen sind.
So wie viele auswärtige OWS-AktivistInnen hat Heart Unterschlupf in einer Kirche gefunden. Anderen schlafen bei Freunden oder in Notunterkünften, die von sympathisierenden Organisationen, Gewerkschaften und Unis zur Verfügung gestellt wurden. „Unsere Strategie für die Zukunft? Vorerst sind wir damit beschäftigt, unsere Sachen zu finden. Viele Leute haben sich aus den Augen verloren. Unsere Bibliothek wurde beschlagnahmt. Aber wir machen weiter und werden auch küftig für ein gerechteres Finanzsystem und gegen die Korruption der Politik kämpfen.“
Christian Lehner
Eineinhalb Wochen nach der Räumung des Zuccotti Parks hat sich die Situation für OWS in New York kaum geändert. Räumlich ist die Organistation zersplittert. Einzelne Besetzungsaktionen öffentlicher Plätze haben zu keiner dauerhaften Okkupation geführt. Im Park zwischen Broadway und der World Trade Center Site finden sich mal mehr, mal weniger AktivistInnen ein - je nach Wetter und Tagesaktion. Inzwischen hat die Polizei in Midtown eine Art Fundbüro eingerichtet. Dort kann man beschlagnahmte Habseligkeiten reklamieren. Doch die am Tag der Wall Street Blockade geäußerten Befürchtungen von Loran Heart sollten sich später bewahrheiten: „Ich glaube nicht, dass wir alles zurückbekommen werden. Und das, was zurückkommt, ist sicher großteils zerstört“. Gestern dann eine OWS-Pressekonferenz mit der Bestätigung, dass von der umfassenden People’s Library über 3000 Bücher bestätigt wurden.
Ain't got no home?
OWS verlangt Entschädigung von Bloomberg. Der Bürgermeister hat seit der Räumung des Zuccotti Parks eine eher schwere Zeit. Zuerst getrieben von einer im wahrsten Sinn des Wortes schmutzigen Anti-OWS Kampagne des Murdoch Boulevard-Blattes New York Post, muss sich Bloomberg nun unangenehme Frage zu Polizeiübergriffen, der Legitimität der gewaltsamen Räumung und der systematischen Aussperrung der Medien „zu deren Sicherheit“ gefallen lassen.
Miami Herald
Ohne festes Zentrum, ohne einen Platz, wo man zusammenkommen kann, fragen sich nun viele, wie es langfristig weitergehen wird mit OWS. Zwei Ansätze kursieren durchs Web und bei verschiedenen Versammlungen. Einer ist: Man besetzt Plätze ohne ein Camp zu errichten. Kleinere Gruppen wechseln sich alle vier Stunden ab. Ein kurzer Blick in den Zuccotti Park diese Woche bestätigt, diese Methode funktioniert nicht oder noch nicht oder wurde einfach noch gar nicht ausprobiert.
Christian Lehner
Der zweite Vorschlag kommt von dem kosumkritischen Magazin Adbusters, das federführend an der Initation von Occupy Wall Street beteiligt war. Die Anregung wurde noch vor der Räumung des Zuccotti Parks formuliert. Die Bewegung solle einen vorläufigen Sieg erklären, sich über den Winter zurückziehen und im Frühling mit frischen Ideen zurückkehren. Die physischen Okkupationen hätten ohnehin ihren Zweck erfüllt. Sie wären nur eine der Methoden, nicht das Ziel.
Dass dieser Vorschlag dem starken, sozialutopisch/anarchisch orientierten Flügel der Bewegung nicht schmeckt, der jedes konkrete politische Einlassen mit dem System kategorisch ablehnt und den Sinn von OWS in der gesellschaftlichen Neuorganisation sieht, wie sie in den Lagern vorgelebt wird, ist nachvollziehbar. Der auch nicht schwache, mittelständisch/reformativen Teil des Movements, der konkrete Forderungen wie die Taxierung der Reichen fordert oder sich in Spezialistengruppen um die kritische Prüfung von Gesetzesvorlagen kümmert, wird damit vermutlich eher kein so großes Problem haben.
Christian Lehner
Wie die langfristige Strategie von Occupy Wall Street lautet und ob in New York jemals wieder ein neues Camp entstehen wird, diese Fragen sind aber vielleicht auch gar nicht so wichtig. Die vergangenen Wochen haben nämlich eines gezeigt: OWS hat das Bewusstsein und den politisch/ökonomischen Diskurs in den USA über Wochen erfolgreich besetzt. Selbst nach dem Ziehen der Wurzel wächst die Bewegung weiter. Die vielfach auch gegen die Intentionen von OWS laufenden Debatten und Memes sind es, aus denen konkrete Politik entstehen kann. Sie sind ein Fundament, auf dem sich Mehrheiten jenseits von Lobbies und special interest bauen lassen. Das haben die Polls gezeigt, die am Höhepunkt der Zustimmung fast ein Drittel der US-Bevölkerung als Sympathisanten ausgewießen haben.
Christian Lehner
Die landesweite Verlagerungen der Proteste in die Unis, die Politikonfrontationen via People’s Mic, die starke social media Aktivität und täglich neue Aktionen und Ideen zeigen ja, dass der Ort einer Bewegung nicht unbedingt an einen konkreten Platz gebunden ist. Der lebt übrigens heute zu Thanksgiving erneut auf. Laut Ankündigung sollen 3000 TG-Meals im Zuccotti Park ausgegeben werden. Ob es sich dabei um Veggie-Turkeys handelt? #OccupyXMas ist next.