Erstellt am: 26. 11. 2011 - 12:07 Uhr
Heldenwinter
Ein Schneesturm kommt auf. Es ist kalt in Skyrim.
Bethesda
- My Fantasy Kingdom: Die Fantasywoche auf FM4
Der Aufstieg ist gefährlich und mühsam. Weit unten, im Tal, wo die majestätischen Mammuts grasen und Schmetterlinge über Heidekräuter flattern, beginnt der unscheinbare Pfad. Doch mit jedem Höhenmeter wird es unwirtlicher, rauer, eisiger. Der Himmel verdunkelt sich, die Nacht bricht herein, aber von der unwirklichen Pracht der Aurora Borealis ist am sturmumtösten Gebirgshang nichts zu sehen. Schneestürme, geisterhafte Irrlichter und das monotone Knirschen meiner Schritte im verschneiten Eis sind meine Begleiter auf dem Weg immer weiter nach oben, dorthin, wo vielleicht eine riesige Ruinenfestung ist, ein unterirdisches Labyrinth voll mit Schätzen, aber auch tödlichen Fallen und gefährlichen Monstern. Vielleicht wartet oben ein Drache auf mich, ein Nest von Frost-Trollen, oder auch nur eine unglaubliche Aussicht. Egal: Ich will dorthin. Nichts zwingt mich, aber: Es ist ein weißer Fleck auf meiner Landkarte, und ich will es wissen. Freiwillig.
Bethesda
Let's get lost
Der fünfte Teil von Bethesdas Open-World-Rollenspielreihe "The Elder Scrolls" führt uns in den hohen Norden: Skyrim, die namensgebende Provinz der Fantasy-Welt Tamriel, ist eine skandinavisch, manchmal sogar alpin anmutende Schönheit, mit nebeligen Mooren, Tundra, Bergwäldern und vergletscherten Bergketten. Als Spieler bewegt man sich völlig frei in dieser riesigen Welt, und es gibt mehr zu entdecken, als man es je zuvor in den Spielen von Bethesda, als Macher der Serie und auch der letzten beiden "Fallout"-Titel Spezialisten für offene Rollenspielwelten, ohnehin gewohnt ist.
Bethesda
Die Basics sind bekannt: Nach der Charaktererstellung und kurzem, die Story anreißenden Tutorial findet sich der Spieler in der frei erkundbaren, bis in den letzten Winkel liebevoll von Hand gestalteten Welt wieder; neben der Hauptstory warten unzählige Nebenmissionen und -beschäftigungen. Das rollenspiel-typische Charakter- und Fertigkeitensystem ist radikal entschlankt, erlaubt aber trotzdem die Spezialisierung, und es macht spielerisch einen deutlichen Unterschied, ob man etwa als Magier mit Fokus auf Illusionszauber, als axtschwingender Schmied oder als meuchelmörderischer Bogenschütze loszieht, um nur einige der unzähligen möglichen Variationen zu nennen.
Die Fähigkeiten des Charakters verbessern sich wie in den Vorgängern durch Gebrauch; somit steht es dem Spieler frei, sich im jeweils bevorzugten Spielstil zu spezialisieren. Kenner der Vorgänger dürfen übrigens aufatmen: Das vielfach kritisierte automatische Leveling, also die aus "Oblivion" bekannte Anpassung der Gegnerstärke an den eigenen Charakterlevel, ist Geschichte.
Bethesda
Tu was du willst
Wie definiert Wikipedia so schön: Freiheit ist die Möglichkeit, ohne Zwang zwischen verschiedenen Möglichkeiten auswählen und entscheiden zu können. "Skyrim" brilliert darin, den Spieler mit Entscheidungsmöglichkeiten zu überhäufen und ihm die Wahl zu lassen. So liegt es ganz in der Hand des Spielers, auch abseits der Haupt-Story viel Zeit zu verbringen, Rohmaterialien für Alchemie, Schmieden, Kochen oder Verzaubern zu sammeln oder einfach auf Entdeckungsreise zu gehen und die Aussicht zu genießen. Die zufällig auftauchenden Drachenkämpfe lassen schon bereiste Gegenden spannend bleiben - wer also nur das aus "Oblivion" bekannte "Fast Travel"-System nutzt, verpasst so einiges.
"Skyrim" ist wahrscheinlich das größte, aber mit Sicherheit "üppigste" Sandbox-Spiel aller Zeiten; wer den Ehrgeiz hat, wirklich alles zu sehen, wird wohl bis zum Sommer in dieser Spielwelt beschäftigt sein. Zu tun gibt es genug: Es ist möglich, sich mit Vampirismus zu infizieren oder zum Werwolf zu werden, ein Pferd oder ein Haus zu kaufen und einzurichten, im Spiel zu heiraten oder einfach in den hunderten, über die Spielwelt verstreuten Büchern zu schmökern. Wer Lust hat, kann sich auch mit obskureren Tätigkeiten die Zeit vertreiben, wie etwa sein Haus mit Kohlköpfen vollzustopfen oder Skillshots zu üben. Und wieder einmal ist es leider nur PC-Besitzern vorbehalten, ihre Wanderungen im Heldenwinter per Screenshot festzuhalten - in wenigen Spielen war diese Art des Video Game Tourism bisher so lohnend.
Bethesda
"Skyrim" bietet wie erwähnt nicht nur eine gelungene, wendungsreiche Haupt-Story in einer leider zu wenig vom Fantasy-Klischee abweichenden Welt, sondern unzählige mehr oder weniger wichtige Nebenmissionen, die sich nahtlos in die Welt einfügen und zum Teil der Haupthandlung die Show stehlen: Ob man sich für die Magier-Gilde bewirbt, in einem Dorf das Rätsel um ein abgebranntes Haus löst oder einer in einem Buch gefundenen Legende auf den Grund geht, stets laden kleinere, aber auch durchaus aufwendigere Abenteuer dazu ein, noch weiter in die Details der eisigen Welt einzutauchen - und angesichts der liebevollen Detailarbeit verzeiht man dann auchdie Fantasy-Generik. Durch die Nebenquests ist es beinahe so, als wären neben der an sich schon epischen Hauptgeschichte um Drachen, Bürgerkrieg und Prophezeihungen noch Dutzende abgeschlossene Kurzgeschichten in den Fantasy-Teppich von "Skyrim" mit eingewoben - und immer hat der Spieler die schwierige Aufgabe, seine ganz eigenen Prioritäten zu setzen und sich zu entscheiden, wohin die Entdeckungsreise weiter führt.
Kleine Schönheitsfehler
Dass diese überwältigende Unzahl an Möglichkeiten auch ihre Nachteile hat, ist logisch: Wer ein "cineastisches", also durchinszeniertes Spielerlebnis sucht, wie es etwa die "Uncharted"-Reihe oder auch die "Mass Effect"-Spiele bieten, wird sich in "Skyrim" wie auch schon in den Vorgängern angesichts all der Offenheit etwas verloren fühlen. Die Nichtlinearität hat außerdem den Nachteil, dass narrativer Aufbau und Spannungsbogen unter Umständen die zweite Geige spielen. Hier muss der Spieler selbst zum Regisseur werden - dafür gibt es aber nicht nur ein einziges, optimiertes Spielerlebnis, sondern viele.
Bethesda
"The Elder Scrolls V: Skyrim" ist für PC, Xbox360 und PS3 erschienen.
PC-Spieler werden sich mit den erweiterten grafischen Möglichkeiten und der traditionell starken Mod-Community über die zum Teil für Konsolen angepasste Steuerung hinwegtrösten.
Ein weiteres altbekanntes Problem der "Elder Scrolls"-Reihe: Skyrims hübsche Welt wirkt hin und wieder etwas steril und leer, und auch die Charaktere glänzen oft nicht gerade durch Unverwechselbarkeit - hier hatte "Fallout 3" mehr zu bieten. Abstürze sind nicht nur auf Windows-PCs, sondern leider auch bei den Konsolenversionen hin und wieder zu erwarten.
Trotzdem: Setting und Story von "Skyrim" mögen oft uninspiriertes Fantasy-Klischee sein, die AI teils lachhaft stumpfsinnig, das User-Interface eher stylisch als praktikabel, die Dialoge manchmal auf dem Niveau von "Herr der Ringe"-Fan-Fiction. Unter dem Strich, und das macht seine Größe aus, ist all das aber vollkommen nebensächlich. Denn "Skyrim" schafft es wie lange kein Titel, den Spieler in seiner offenen Welt sein eigenes Abenteuer erleben zu lassen - und das macht die schon 15 Jahre alte Rollenspielreihe so verlässlich wie zu Recht beliebt.
Alle Spieler, die sich in ohne Händchenhalten und mit maximaler Entscheidungsfreiheit in einer riesigen, liebevoll gestalteten Parallelwelt verlieren wollen, kommen an "Skyrim" nicht vorbei. Ein Spiel des Jahres für Entdeckernaturen.