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Sammy Khamis

Are you serious...

23. 11. 2011 - 10:38

Nächster Halt: Demokratie

Die ägyptische Revolution wird nicht unter die Räder geraten. Wegen den Menschen auf dem Tahrir und Dank des Freiheitsbuses.

Es ist Montagabend. Ein Mann, elegant gekleidet und auffallend attraktiv tritt mir gegenüber. Ich, bleich, übermüdet und mit dicken Augenringen stehe vor ihm. Nervös; fast hysterisch. Die schlechteste Kombination, um ein Interview zu führen. Der Mann, der mir seine Hand reicht heißt Ashraf Sharkawy. Er ist Ägypter, in Deutschland aufgewachsen und seit sechs Monaten Busfahrer in Ägypten. Dort kutschiert er aber nicht Menschen oder Schulkinder umher, sondern die Demokratie und all ihre Ideen. Ashraf ist der Busfahrer des Freiheitsbuses.

Der Freiheitsbus

Sammy Khamis / Radio FM4

Die Pissnelken sollen endlich abhauen

Nervös frage ich ihn nach dem, was am Wochenende und seither jeden Tag geschehen ist: Weißt du, dass bereits 33 gestoben sein sollen? Wann spricht der Premier? Was macht das Militär? Warum macht es nichts? Der Kanon der Besorgnis sprudelt aus mir heraus. Unaufhörlich. Ashraf hört zu, nickt. Er versteht wie ich mich fühle. Ihm muss es ähnlich gehen. Erkennt man es in seinen Augen? Noch bevor sich dieser Gedanke breitmacht, kommt sein großen Lächeln: "Das Wichtigste ist, dass die Pissnelken endlich abhauen." Mit Pissnelken meint Ashraf da die Militärführung, die seit zehn Monaten in Ägypten feinsäuberlich die Gegenrevolution etabliert.

Der Freiheitsbus: Ein Bus mit Demokratie im Gepäck

Die letzten Tage haben die Demonstranten auf dem Tahrir all dem Wut, Steine, ihre Körper und ihren Willen entgegengesetzt. Ashraf hat andere Methoden. Seit Monaten durchkreuzt er den ländlichen Teil Ägyptens, um mit seinem Freiheitsbus (Utubes al Horeya) die Demokratie zu den Leuten zu bringen. Seinen Bus hat er seit März auf die staubigen Landstraßen geschickt. Ashraf ist natürlich nicht der Fahrer der Busses. Er ist Initiator, Antreiber und Visionär in diesem Projekt. Mit ihm ist eine Gruppe ägyptische Studenten unterwegs. Aufgerüttelt von der Revolution und begeistert von der Idee, Politik selbst mit gestalten zu können, unterstützen sie Ashraf in seinem Vorhaben dem Begriff Demokratie mit Bedeutung aufzuladen.

Das Team des Freiheitsbusses

Sammy Khamis / Radio FM4

Nicht nur Kopf auf und Infos rein

Bleibt der Bus in einem Dorf stehen, dann haben die Menschen eine Woche Zeit, um sich in einem Zelt mit den Organisatoren auszutauschen oder sich Lehrfilme anzuschauen.

"Was ich dort erlebe ist das große Interesse. Die Leute wollen etwas wissen. Die Leute fragen. Sie sind froh, dass jemand da ist, der ihnen erklärt was der Unterschied zwischen einer Parlament- und einer Bezirkswahl ist. Oder Fragen klärt wie: Warum ist Gewaltenteilung wichtig? Warum ist es wichtig, dass wir wählen? Die Interaktion mit den Leuten ist sehr wichtig. Das ist auch wichtig, weil wir auf Dialog bauen. Wir sagen auch nicht: Mach mal Deinen Kopf auf, wir schütten dir Information rein."

Diskussionsrunde

Sammy Khamis / Radio FM4

Entweder Wahlzettel ein- oder Steine werfen

Ashraf meint, dass sein Bus noch zehn Jahre fahren müsse, bis greifbare Ergebnisse aus seinem Engagement zu sehen sind. Er betont, dass die junge ägyptische Bevölkerung, ein riesiges Kapital im Übergang zur Demokratie darstellt. Auch wenn ihr noch einige Dinge fehlten.

"Bildung. Dieses kritische Hinterfragen, das so wichtig ist in der Bildung, das fehlt auf breiter Basis. Ein sehr kritischer Punkt ist auch der Umgang mit Religion und der Umgang mit Pluralismus in der Religion."

Wer das Bus-Projekt finanziell unterstützen will:

Mayadin al-Tahrir e.V.
Sparkasse Marburg-Biedenkopf
Kontonummer: 10004942
BLZ: 53350000
Verwendungszweck: Bus-Projekt

Auf der anderen Seite meint er, dass die ägyptische Gesellschaft mit ihren Traditionen und einem Alltag, der sich durch menschliche Nähe auszeichnet, über eine Grundlage verfügt, auf der eine demokratische Gesellschaft aufbauen lässt. Dafür wird er bestimmt noch Jahre fahren müssen. All dies erzählt er mir mit Euphorie und seinem breiten Lächeln. Anfangen wird er damit am Montag, nachdem er seinen Wahlzettel in die Urne gesteckt hat.

Ich stelle Ashraf eine letzte Frage: Was passiert, wenn nun ein General sagt 'Das mit der Demokratie, das lassen wir jetzt wieder!'? "Dann haben wir alle verloren", meint Ashraf. "Dann brauchen wir den Bus nicht. Dann geht es wieder darum, auf dem Tahrir Platz das Militär zur Hölle zu schicken. Und das sieht man im Moment auch."

Wir werden uns am Wochenende treffen. Ashraf und ich. Hoffentlich kann er seinen Wahlzettel in Frieden einwerfen. Wenn nicht werden wir gemeinsam auf dem Platz das Militär zu Hölle schicken müssen.