Erstellt am: 23. 11. 2011 - 14:07 Uhr
Das Mädchen im Flugzeug
Meistens quäle ich mich vierzehn Stunden lang im überfüllten Bus mit Leuten, die entweder so arm sind wie ich oder etwas zu verstecken haben.
Neulich hat meine Mutter zwei Flugtickets für mich gebucht. Ich erreichte Sofia in einer Stunde. Ich ließ mich zuerst von meinen Eltern bestaunen und danach aufgrund meines mangelnden beruflichen und finanziellen Fortschritts anschreien. Ich traf mich mit allen meiner Freunde und wurde auf jede mögliche Party, die es in Sofia so gab, mitgenommen. "Es war schön, aber ich freue mich, dass es endlich vorbei ist", dachte ich mir, während ich auf meinem Rückflug nach Wien wartete.
Noch vierzig Minuten bis zum Abflug. Das nagelneue Terminal des Sofioter Flughafen ist fast menschenleer. Mein Flug ist der letzte für diesen Abend. Die müden Kellnerinnen im einzigen Cafe in der Wartehalle vor den Boarding-Gates beschäftigen sich mit letzten Reinigungsarbeiten vor dem Feierabend. "Passagiere nach Wien, bitte zum Gate kommen", erklingt plötzlich in der Wartehalle. Die freundliche Frauenstimme bringt mich aus meiner Rückblenden-Trance, in der ich immer noch meine Eltern predigen höre, dass die meisten Menschen in meinem Alter schon Millionäre seien. Ich mache mich auf dem Weg zum Flieger.
A MAGIC
Ich setze mich ans Fenster. Neben mir nimmt ein wohl gleichaltriges Mädchen Platz. Zuerst schaut sie wie verzaubert auf ihr iPhone-Display und bemerkt mich kaum. Erst nachdem wir über Belgrad sind, verlässt sie die Welt von Steve Jobs und schaut mich an. "Hallo, ich heiße Sarah", sagt sie auf Deutsch. "Ich bin Todor". "Ah, du bist Bulgare, für Bulgaren heiße ich Petja", sagt sie noch mal auf Bulgarisch und kichert leise. Sie fragt mich nach meinem Beruf. Ich erzähle ihr, dass ich Geschichten schreibe, um irgendwie über die Runden zu kommen. "Meine Familie glaubt ich bin Kellnerin", erzählt sie, "Ich bin aber Prostituierte in Salzburg. Ich glaube sie vermuten es schon, aber wenn ich ihnen solche Geschenke mache", sie zeigt auf ihr Handy, "dann fragen sie nicht weiter."
Ich weiß nicht, was ich nach dieser Offenbarung sagen soll. Petja oder Sarah zeigt mir ihren linken Arm. Dort ist der Name "Stantcho" mit gotischer Schrift tätowiert. "Das ist der Name von meinem Freund", sagt sie. "Wohnt er mit dir in Salzburg?", frage ich. "Nein, er ist in Burgas und kümmert sich um unser Kind", sagt die junge Frau ohne sich traurig anzuhören. "Ihm geht es gut, ich habe ja viel gearbeitet und ihm einen BMW geschenkt."
"Stancho soll glücklich sein, so eine Freundin wie dich zu haben", sage ich, "willst du nicht bei ihm und deinem Kind sein?" - "Ja, irgendwann, aber ich muss erstmals noch eine Weile arbeiten, so dass wir uns ein größeres Haus kaufen. Dann werden alle neidisch auf uns sein."
Während sie mir über Stancho und ihr zukünftiges Haus erzählt, sehen wir schon die Lichter von Schwechat. Unser Flieger bereitet sich auf die Landung vor. Am Flughafen wird meine neue Bekannte von einem Mann in einem blauen Trainingsanzug der italienischen Fußballnationalmannschaft abgeholt. Bevor sie sich in einem großen Auto setzen, dreht sich Sarah/Petja um und lächelt mich an. Ich lächle zurück und mache mich auf dem Weg zur S-Bahn Station.
In meinem Kopf klingt die Stimme meiner Mutter: "So ein Taugenichts bist du! Deine Altersgenossen fahren BMW, du wirst lebenslang auf der Bushaltestelle warten!". Was soll ich ihr erklären?