Erstellt am: 22. 11. 2011 - 19:32 Uhr
Journal 2011. Eintrag 210.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute über eine neue Variante eines zeitgemäßen Frauenbilds.
Das war schon beim ersten Mal so: Conny Mey schafft mich.
Conny Mey ist eine fiktionale Figur, eine Krimi-Figur, eine deutsche Krimi-Figur noch dazu.
Trotzdem.
Jetzt, letzten Sonntag, bei ihrem zweiten Erscheinen wieder. Obwohl ich ja wusste, was kommt.
Conny Mey ist Tatort-Kommissarin in Frankfurt, eine recht neue, wird von Nina Kunzendorf gespielt. Sie ist wohl Ende 30, aber grell, mädchenhaft, trägt tussige Outfits, Hüftjeans, singt Whitney Houston-Hooks beim Joggen, fettnapft in unpassenden Situationen und verliert trotzdem nie einen Millimeter ihrer Würde.
Die trägt sie in aller Offen- und Verletzlichkeit vor sich her, schamlos.
hr
Die Figur der Conny Mey erstaunt mich deshalb so, weil sie komplett rausfällt aus allen medialen und öffentlichen und künstlerischen und theatralen und dramatischen Frauen-Typen, die im Mainstream, aber auch in der Fransenkultur so herumschwirren.
Da gibt es zwar eine Menge Stereotype, die die Leichtigkeit und grelle Tussigkeit auch ausstrahlen - denen fehlt aber dann entweder Scham oder Würde.
Oder sie handeln nach einem (bereits etwas überwuzelten) feministischem Umdrehungs-Bild, einer Quasi-Parodie auf den überblickslosen Macho, einer beliebten Mir-ists-wurscht-Tussen-Figur der 90er.
Conny Mey ist eine Post-Variante, eine recht spezielle. Sie existiert in dieser selten angetasteten Sperrzone zwischen Intellektualität und Intuitivität, in die sich kaum jemals dramaturgische Kunst reintraut. Denn obwohl eine Menge Menschen im echten Leben genau so gebaut sind, schafft es die Kunst (vor allem die des Mainstreams, aber letztlich ist das ein alle betreffendes Problem) nicht, sich von den allzu simplem Bild der Gegensätzlichkeit und Unvereinbarkeit dieser Bausteine zu trennen.
Es geht nur entweder oder.
orf/hr
Entweder gebrochen und verinnerlicht und über Reflexion getrieben und in schürfender Sinnsuche emotionalisiert; oder reines törichtes Gefühlswesen, dem alles darüber hinausgehende fremd ist.
Das ist nicht nur ein Problem des Frauenbildes - eine ganze Menge an Männer-Charakteren wird exakt genauso dargestellt; in Deutschland hat dieser Typus seit Jahren Hochkonjunktur. Aber an Frauen lässt sich das leichte, lockere, doofe, das uns allen innewohnt, aber anhand übertriebener Einfärbung so leicht simplifiziert wird, über keine Figur besser darstellen als eben die Tussi.
Conny Mey ist eine Tussi.
Aber eine, die ihr männliches Umfeld nicht belustigt oder nervt oder übertülpelt, sondern schlicht überfordert, wie es die FAZ unlängst schrieb.
Conny Mey, das sagt der Freitag ist "buchstäblich – sie kennt keine zweite Ebene, ist also eine unironische Figur."
Natürlich hat sie einen zerrüttet-gebrochenen Partner, älterer Mann, kommunikationsuntüchtig bis zur Verweigerung, eine klassische Tatort-Biographie.
Eh schön.
Aber: Conny Mey würde überall funktionieren, in jeder Geschichte.
orf/hr
Und dann schreibt der Freitag noch einen Satz und verwendet dabei einen meiner liebsten Begriffe, die nicht im Duden stehen und auch bei Google kaum Treffer bringen: den der "sexual politics": Die Sexualpolitik von Conny Mey ist wahrlich beeindruckend, weil es Kunzendorf gelingt, die Figur zwischen Attraktion, Kalkül und Gefühl auszubalancieren.
Genau das meinte ich vorhin.
Diese in der Realität durchaus vorhandene Figur, die genau diese Balance hält (und mir fallen da jetzt aus dem Stand eine Handvoll Menschen meiner Umgebung ein, you know who you are...) gibt es. Durchaus und nicht zu selten.
In der öffentlichen Darstellung gibt es sie nicht.
Weil sie zu komplex zu zeichnen sind; weil sich entlang solcher Charaktere keine einfachen Geschichten, keine Debilo-Drehbücher, keine Holzschnitt-Klamotten entwickeln lassen.
Die Conny Meys bedingen eine komplexe Geschichte. Und die will keiner erzählen, weil die herrschende Dramaturgie-Ideologie das für unverträglich erklärt hat. Nicht einmal im Theater, wo es eh echt wurscht wäre, wird das aufgebrochen. Auch dort laufen viel mehr kontexualisierte Textabspülerinnen als echte Menschendarstellungen herum.
Komisch, dass sich dann auch die Künstler drüber wundern, dass die Menschen im echten Leben immer mehr Mühe haben sich darzustellen und ebenso immer mehr Rollen abspulen. Da kann man die Kunst-Kaste nicht von gesellschaftlicher Mitschuld freisprechen.
Zurück zu Conny Mey.
hr
Die hat natürlich in all ihrem Tussitum etwas Selbstbestimmtes, das wir, sagen wir bei Amy Winehouse auch gesehen haben. Dort halt im Kontext der Selbstzerstörung, der Destruktion, des Leidens, weil es etwas Spezielles hervorzubringen gilt.
In der Menschendarstellung geht es aber nicht um das Besondere, eher um das, was da ist; und nicht zufällig, sondern zeitbedingt da ist.
Deshalb hat Conny Mey auch nichts destruktives an sich; im Gegenteil: da schwingt auch in allem Wissen um das Elend der Welt der positive Ansatz mit; dass man es mit ein bisschen Farbe und Hello-Kitty-Freundlichkeit besser machen kann.
Conny Mey hat auch unpackbare Nägel; mit aufgemalten und -klebtem Wirrzeug.
Und genau diese Nägel habe ich dann, ein paar Stunden nach dem Tatort wieder gesehen, in einem Video auf einem Musikkanal, beim Zappen.
Zugegeben, nur die Nägel hätten mir nicht gereicht um hängenzubleiben; es war dann auch die Ästhetik des Videos, mit den schwarz-weißen Amateur-Clips. Und es war die musikalischen Zurückgenommenheit des Stückes; und der beständig sonore Unterton des Gesangs. Aber es war natürlich auch das immer wieder dazwischengeschnittene Bild der mir unbekannten Sängerin.
Eine Tussi.
Style, Aufmachung, Nägel - alles wie Conny Mey, nur zehn, fünfzehn Jahre jünger. Musik ist der Bereich, in dem die Jungen reüssieren können, am ehesten, dort lässt man sie.
Hier die erste Erwaähnung von Lana natürlich von Christian Fuchs, am 22.10. des Jahres.
Lana del Rey heißt sie, nicht wirklich, aber mit bewusst zusammengeklaubtem Künstlernamen, kommt aus Lake Placid, aber eigentlich New York und macht seit ein paar Jahren zurückgenommene Songs.
Ihre letzten wurden via Pitchfork entdeckt und gehypt; jetzt hat sie den Winehouse-Lidstrich und die Tussi-Frisur - die waren vor zwei Jahren, das zeigen die paar Live-Clips, die sich finden lassen, noch nicht da.
Da hat auch jemand gerade erst ganz bewusst diese Figur erschaffen, gezeichnet und mit Leben erfüllt.
Lana/Lizzy sind 25, Conny/Nina sind 40.
Aber sie stellen eine mehr als ähnliche Person dar.
Eine Figur ohne Ironie und zweite Bedeutungs-Ebene, aber auch gänzlich ohne die Showbiz-Verzweiflung, an die die starke Tussi der Marke Winehouse bislang gekettet war.
Die Balance zwischen Kalkül und Gefühl sitzt auch bei Lana del Rey wie ein türkiser Pullover, der viel vom Dekolleté zeigt.
Das merkt man nicht so sehr beim aktuellen Video zu Video Games aber vor allem bei ihrem Auftritt vor ein paar Wochen im deutschen Fernsehen:
Natürlich sprechen beide Figuren ganz gezielt Bedürfnisse und Sehnsüchte an; letztlich beutet aber jede Darstellung, jede Kunst genau das im Rezipienten auch aus.
Entscheidend ist aber, dass diese Figur einen zuletzt sehr blinden Fleck auf der Landkarte weiblicher Prototypen färbt und mit Leben erfüllt: die nicht-intellektuelle Tussi, die sich über ihren direkten Zugang zum Leben definiert und damit in einer Gesellschaft, die funktionierende Anpassler bevorzugt eh schon hart genug tut - weshalb sie die Anforderung nach gendergerechter Korrektheit und höherer Selbstreflektion gar nicht erst erfüllen mag.
Sie, die Conny Mey, die Lara del Rey, pumpt ihre Kraft in eine konstruktive Darstellung eines mit der Gegenwart um einen Teil des Glücks ringenden Real-Typus. Gegen alle Widerstände der simplen Typologisierung aus dem Dramaturgie-Fundus.