Erstellt am: 22. 11. 2011 - 15:04 Uhr
Das schöne, wilde Leben
Christopher Owens singt Zeilen von verblüffender Schlichtheit. Die Lieder seiner Band Girls drehen sich in erster Linie um das gute alte Lieblingsthema Liebe, die bittere Sorte, die verlorene und aus eigener Schuld vergeigte. Owens trägt sein Herz auf den nach oben gedrehten Handflächen - für alle Menschen sichtbar - vor sich her und erzählt, ohne zynische Überhöhung, vom schönen Leiden, vom abgefuckten Leben und von den Drogen - und da und dort dann doch wieder von den wohligen, den so herrlich im Körper brennenden Sekunden, für die es sich lohnt, weiterzuexistieren.
Die Hölle und der Himmel, das sind immer noch die anderen und die Beziehungen mit und zu ihnen. Die Stücke der Girls nennen sich "Jamie Marie", "Carolina" oder "Laura": "Where did it start? We used to be friends/ Now when I run into you, I pretend I don't see you/I know that you hate me" heißt es da beispielsweise in dem frühen Hit der Gruppe Girls, das bei ihrem Konzert am Montag im Wiener WUK den Abend eröffnet. An den Mikrofonständern ranken sich Rosen.

Niko Ostermann

Niko Ostermann
Hier ist eine merkwürdige Band: Die Geschichte des Duos Girls aus San Francisco und die seines Erfolges ist eine der seltsamsten der letzten zwei, drei Jahre Musikgeschichte, gerade weil im Sound der Girls eben kaum Spektakuläres auszumachen ist. Hier wird kaum irgendwas mit irgendwas interkulturell verknüpft wird, es werden keine neuen Ordnungen ausprobiert und nichts postmodern weitergedacht.
Zwar hangeln sich die Girls durch diverse Styles, Epochen und Zeichenregister - am Ende steht jedoch eine eigene Signatur und, vor allem, die Essenz und die nackte Magie von Songwriting und Gitarre. Wer vom Authentizitätsfuror und Biedersinn von so "einem richtig guten, bodenständigen Rock and Roll" in der jüngeren Vergangenheit beinahe halb durchgedreht ist, kann mit den Girls wieder Hoffnung schöpfen. Folky Balladen und verrückt gewordene Surf-Gitarren, jingle-jangling Pop und hibbeliger Wave, Doo Wop, Phil Spector und schwülstig aus dem Ruder laufender Softrock-Bombast: Die Girls sind eine Band, die so sehr wie viele andere klingt, dass dadurch eine Identität entsteht. Eine Band, die man mit keiner Band der Gegenwart verwechseln wird können.

Niko Ostermann

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Die auf den bislang zweieinhalb veröffentlichten Alben zum Einsatz gekommene Kernbesetzung der Girls - neben Sänger, Songwriter und Gitarristen Owens, der Bassist, Multiinstrumentalist und Studio-Techniker Chet "JR" White - ist nach einigen Personal-Rochaden zu einer vergleichsweise stabilen Band - für Live-Auftritte immerhin - angewachsen: Fünf Männer stehen bei der aktuellen Tour auf der Bühne; die Bonus-Girls sind ein eindrucksvoll halb verschlafen dreinschauender, halb aufgekratzt durch die Stücke polternder Drummer, ein lustvoll das Instrument bestrafender zweiter Gitarrist, der sich auch gut in einer frühen Inkarnation der Bad Seeds gemacht hätte und ein - abgesehen von einem toll die Ohren schützenden Stirnband - verhaltensunauffälliger Mann an den Tasten.
Ein an optischen Sensationen und aufsehenerregenden Schauwerten sehr armes Konzert, im besten Sinne unspektakulär, das einzig den drögen, alten Spruch "Schau her, hör zu, es geht doch einzig um die MUSIK!" sensationell mit gutem Leben betankt. Die Girls haben viele, viele sehr gute Lieder. Ein bisschen muss Christopher Owens in Axl-Rose-Gedächntis-Montur bestehend aus rotem Karohemd, klobigen Sportschuhen und verkehrt herum aufgesetztem Leder-Käppi dann doch den zerbrechlichen Star aus dem Rinnstein, der er ist, darstellen.
Ein Mensch aber, der solch Zeilen wie "And I don't want to die without shaking up a leg or two / Yeah, I want to do some dancing too / So come on, come on, come on, come on, dance with me" aus dem Stück "Hellhole Rat Race" - einem sieben Minuten lang weinenden und dröhnenden Höhepunkt des Konzerts und des Girls-Oevres überhaupt - so glaubhaft die Seele erschütternd singen kann, ja, der darf das.

Niko Ostermann
Ein zwar ein wenig augenzwinkernd gemeinter, dabei aber durchaus treffender Blog-Eintrag hat dieses Jahr das Stück "Vomit" der Girls in Anspielung auf eine der besten und vor schmerzlicher Feierlichkeiten nachgerade berstenden Nummern von Guns'n' Roses "their November Rain" genannt. "Vomit", ein Stück des Jahres, das sich langsam aufbäumt, die nächtliche Wanderung auf der Suche nach Liebe thematisiert und in jubilierenden Gospel-Chören endet. Die Girls sind eine Band, die sich nicht irgendwie "ironisch" zum Musikarchiv verhält, sondern eine Band, in der sämtliche - auch solche, die anderswo wohl als komplett "uncool" konotiert wären - historische Versatzstücke unpeinlich und ohne Anführungszeichen zum Einsatz kommen. Emphase muss sein.
Auf der aktuellen Tour spielen die Girls jeden Abend mehr oder weniger diesselben dreizehn bis sechzehn Stücke, in der Abfolge jedoch immer wieder neu durcheinander arrangiert, ein dezenter Vorzug wird dabei klarerweise dem Material des aktuellen, sehr, sehr guten - mitunter aber doch eine Spur zu hochgepriesenen - Album "Father, Son, Holy Ghost" gegeben. Viele der Stücke sind hier eben nur untereinander austauschbar, weil sie sich durchgehend auf hohem, dabei unaufdringlichem Niveau abspielen. Ein Konzert, bei dem kaum Höhepunkte zu verzeichnen sind, ist ein einziger Höhepunkt. "My Ma" erzählt von der Liebe zu eigenen Mutter, "Lust For Life" davon, dass es zum Glück ab und zu doch nur Pizza und eine Flasche Wein braucht. Ein konstantes Glühen.

Niko Ostermann

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Das letzte Stück des Abends ist "Substance" von der "Broken Dreams Club EP", dem hinsichtlich Dramaturgie, Dichte, Konzept und schlicht Songwriting bislang über die ganze Länge zwingendsten Tonträger der Girls. "Substance" ist eines der besten Stücke der Band und eines der besten Stücke über "Substanzen" überhaupt. Hier finden sich in seltener Klarheit all die Freuden, der Schmerz und der Terror, die der übermäßige Genuss von im Song glücklicherweise nicht näher spezifizierten Genussmitteln welcher Sorte auch immer mit sich bringen kann: "I take the key in my hand and it takes the pain away / I take the key in my hand and it opens up the day, but if i had love i'd throw it all away"
Durch Christopher Owens, die Band Girls und ihre schönen Lieder entfaltet sich die diffuse Gewissheit, hier etwas Wichtiges über die Welt und die merkwürdigen Menschen, die in ihr wohnen, zu erfahren.