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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 11. 2011 - 23:40

Journal 2011. Eintrag 209.

... oder auch: Fußball-Journal '11-131. Mobbing, Bullying und anderer Selbstbetrug; oder: die Schiedsrichter als Ausländer.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer alten Verdrängungs-Geschichte.

Ob er es angesichts der aktuellen Situation noch ansprechen dürfte, wenn eine offensichtliche Fehlentscheidung wie ein Handspiel passieren würde, fragt der deutsche Sport-Moderator (vom Typ nassforscher Teflon, die österreichischen Privatsender bauen ihn gerade mit noch mäßigem Erfolg nach), und schafft es tatsächlich, noch treudoofer zu wirken als er sonst schon rüberkommt. Nein, sagt der Chef des Kicker, konstruktive Kritik sei immer sinnhaft; die Grenze wäre dort zu ziehen, wo die Suche nach Sündenböcken in Mobbing ausartet.

Dieser Dialog ergab im Zusammenhang mit der jüngsten Katastrophe im deutschen Fußball, dem Suizid-Versuch des Schiedsrichters Babak Rafati direkt vor einem Bundesliga-Spiel letzten Samstag.

Und er bringt die Frivolität der öffentlichen Rezeption auf den Punkt. Anstatt um die gesamtgesellschaftliche Erkrankung des systematischen Druck- und Gewaltaufbaus geht es um die rein populistische Das wird man ja noch sagen dürfen-Empörung, mittels derer sich eine von miesen Vorbildern gedrängte Ellbogen-Gesellschaft von jeder Mitschuld freizusprechen versucht.

Es geht nicht um Rafati oder Rangnick oder Enke...

Genau dieses Bullying und Mobbing des schwächsten Glieds der Kette geht aber jede Woche aufs Neue ab. In Deutschland wie gesagt nassforscher, aber auch mit größerem kritischen Resonanzraum; im österreichischen Bundesliga-Betrieb in einer gruselig-folkloristsischen Variante.

Denn natürlich ist die Jagd- und Hatz-Partie aus allzu leicht spontan empörten Fans, die betrogene Unschuld markierenden Spieler, Coaches und Funktionäre und die Informationspflicht heuchelnde Journaille des flächendeckenden Mobbings der Schiedsrichter-Kaste schuldig.

In Deutschland hat sich, nicht zuletzt wegen der deutlich sorgfältigeren Aufklärungs-Arbeit des DFB zumindest bei Coaches und Funktionären eine leise Besserung eingestellt. Und jetzt wird auch öffentlich die Forderung an die Spieler erhoben, massive Theatralik, die letztlich nur zur Beeinflussung bzw. Lächerlichmachung des Spielleiters eingesetzt werden, zu unterlassen.

Es geht nicht ums ritualisierte Anbrunzen der Referees...

Soweit ist man in Österreich nicht einmal ansatzweise.
Da die Referees hierzulande einem Generalverdacht höherer Intelligenz unterliegen (in bestimmten Fällen grundlos) gelten sie der hiesigen Szene generell als Freiwild. Was der FPÖ "die Ausländer" sind, ist den heimischen Fußball-Verrantwortlichen "die Schiedsrichter". Sie sind Schuld allen Übels.

Dass Schiri-Fehler sich über die Saison hinweg letztlich nie auf den Ausgang von Meisterschaften auswirken, bestätigen zahllose "wahre Tabellen" und andere Erfahrungswerte. In jedem Fall sind sie weder an der schlechten ökonomischen Planung, noch an der miesen Infrastruktur, der schwachbrüstigen Jugendarbeit, der hinterdreinstapfenden taktischen Ausrichtung noch an den vielen anderen Leiden des österreichischen Fußballs schuld. Die Schiedsrichter machen Fehler, bauen Scheiß, sind manchmal uneinsichtig - aber ihre Fehlerhaftigkeit bleibt deutlich unter der der restlichen Mitwirkenden.

Dass ihnen die Rolle des Sündenbocks zukommt (in Österreich auf einer derb-provinzielle, in Deutschland auf eine süffisante Art; hier ist es eher Bullying, dort eher Mobbing) hat ausschließlich Ablenkungs-Gründe.

Es geht nicht um den Muster-Abgleich mit den Populisten...

Wem die Befähigung, sich mittels Vertrauen auf eine eigene Sichtweise und einer gesunden Informationspolitik ernsthaft mit Fußball auseinanderzusetzen fehlt, der wird danach, streben die einfachste Lösung für alles emotionale Unbill zu akzeptieren. Wenn man ihm "die Schiris" als Sündenböcke serviert, wie das Kühbauer, Lederer, Gregoritsch (oder, aktuell besser: den ehemaligen Gregoritsch ) und Co, von ihrem Kumpeln bei Mainstream Media assisiert, ununterbrochen tun, dann werden sie die Chance ergreifen.

Wer weder Fähigkeit noch Interesse aufweist, sich mit der komplexen Problematik von Arbeits-Transfer und Migrations-Politik zu beschäftigen, wird geil auf das erstbeste gut klingende Angebot aufspringen. Wenn man ihm "die Ausländer" als Sündenböcke serviert, wie das die Rechtspopulisten in und um Österreich ununterbrochen tun, dann werden sie die Chance ergreifen.

Der Hintergrund ist in beiden Fällen derselbe: Mobber und Bullies handeln nicht aus Überlegung oder gutem Gewissen, sondern aus der Gewissheit von Unterlegenheit und aus Angst vor der Entdeckung ihrer durch strukturellen Druck eingeschränkten Analyse-Fähigkeit.

Es geht darum, dass Mobber und Bullies Opfer sind

Diese zunehmenden Gewaltausbrüche sind kein Zufall, sondern Ausdruck einer gesellschaftlichen Fehlentwicklung. Und wie immer geben Opfer, die sich ihres Opfertums zuwenig bewusst sind, diesen Druck an andere weiter.

Genau deshalb gibt es genau gar keine schlüpfrige Ausrede für Journalisten (nicht einmal für die im Sportbereich), sich einfach in diese Riege einzureihen.