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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

20. 11. 2011 - 19:52

Fußball-Journal '11-130.

Heimisches Spitzenspiel, kritisch aufgearbeitet.

Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch das heurige Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.

Heute mit einer analytischen Nachlese eines österreichischen Spitzenspiels, dem Bundesliga-Match zwischen Rapid und Red Bull Salzburg.

Siehe dazu auch: Fußball-Journal '11-129. Die Bundesliga bekommt ihren Platz in der hinteren Reihe zugewiesen; die Vernebler-Lobby kann es nicht verhindern.

Wenn eine hiesige Spitzenmannschaft eine andere regelrecht vorführt, dann erzählt das mehr als nur diese recht banale, punktuell festhaltbare Geschichte. Es erzählt auch eine allgemeingültige Geschichte über Geduld als Tugend, Teambuilding und taktische Wissensvermittlung.

Rapid 1

In einer hysterisierten Grundstimmung, die im österreichischen Fußball sowieso, bei den großen Vereinen verstärkt herrscht (und es ist eine durchaus bewusst angefachte Hysterie, aus Gründen der Ablenkung von der Abwesenheit einer zentralen Idee, einer Philosophie...), wird ergebnisorientiert und in flachen Schlagzeilen gedacht. Ein an simplen Geilheiten interessiertes Publikum, großteils unkundige, an Aufbauschung interessierte Medien und an ihrem eigenen Fortkommen interessierte Schein-Experten bedienen dieses Muster.

Das Resultat im Fall von Rapid: nach dem nicht unbedingt optimalen Saisonstart, der durch die groteske Situation mit den harten Fangruppen noch zusätzlich erschwert wurde, versuchte sich eine aus aktuell nicht in die Vereinsarbeit eingebundenen Alt-Rapidlern mit einem Boulevard-Gratisblatt verbündete Lobby-Gruppe in der Kunst des Campaigning.

Rapid 2

Ziel: den neuen Trainer Peter Schöttel, der zu seinem Amtsantritt viel von Taktik, Strategie und Philosophie sprach und damit alten Seilschaften weh tut, öffentlich madig machen. Man sprach ihm die strategische Kompetenz ab, kritisierte die Tatsache, dass er Kapitän Hofmann endlich dorthin stellte, wo er am effektivsten ist (in die Zentrale), und machte seine Stürmer-Auswahl lächerlich.

Schöttel probierte im ersten Dutzend Spiele gefühlte 20 taktische Varianten aus; zum einen, weil keine auf Anhieb wirklich hingehaut hat, zum anderen, um eine Findungsphase zu nutzen. Schließlich spielt Rapid ein Aufbau-Jahr, muss, auch angesichts der internationalen Absenz, sein Team neu formieren.

Rapid 3

Schöttel, der Anti-Pacult, hat diese Zeit also dringend gebraucht. Ihm in dieser Phase eins reinzuwürgen - eine Unverfrorenheit.

Natürlich ist die Entwicklung des neuen Rapid-Teams nicht abgeschlossen. Sowohl Heikkinen als auch Soma sind auf dem absteigenden Ast; was durchaus Probleme in der Zentrale nach sich zieht. Momentan hängt der Erfolg dort an der fragilen Konstitution von Thomas Prager; der neben Burgstaller und Pichler der Neue ist, der gut auf/eingebaut wurde. Dass Schöttel weder Prokopic noch Saurer sinnvoll einbauen und Alar nicht entwickeln konnte, ist allerdings kein Ruhmesblatt.

Rapid 4

Ganz schwach, wie schon in den letzten Jahren, ist die Durchlässigkeit für den eigenen Nachwuchs. Und auch die über ganz Österreich verstreuten Rapid-Amateure (Luxbaxcher, Jelenko, Kerschbaumer...) hat man nicht auf der Rechnung. Wiewohl: das liegt nicht unbedingt an Schöttels alleiniger Zuständigkeit. Und: er hat aktuell eben alle Hände voll zu tun, um die geduldlose Öffentlichkeit nicht nur mit Versuchen, sondern mit Erfolgen zu unterhalten.

Paradox: wäre so etwas wie "Geduld" eine fußballerische Kardinaltugend, würde dieser Aufbau stärker in die Tiefe gehen. Durch das bewusst niedergehaltene Level der Rezeption schaden Umfeld und Fans nicht nur "ihren" Vereinen, sondern behindern (indirekt) auch die Nachwuchs-Arbeit.

Salzburg 1

Die wird, nominell, in Salzburg, ganz groß geschrieben.
Heute waren interessanterweise genau die Jungen, Hinteregger und Teigl, nicht einmal im Kader; und im 30 Mann-Team von Red Bull ist keinerlei Schwerpunkt zu bemerken. Da lieber noch einen Anton, noch einen Bruins, demnächst einen Cristiano oder einen Ilic.

Das Projekt Red Bull Salzburg ist nicht zu retten.
Das ist eine von Anfang an verkackte Angelegenheit, da liegt die Crux in den künstlich generierten Genen.

Salzburg 2

Der Weg, den die ebenfalls von Red Bull bezahlten Rasenballer in Leipzig gehen, der der Entwicklung einer Mannschaft aus den unteren Ligen heraus, ist (Pacult zum Trotz) ein weitaus sinnvollerer. In dieser Regionalliga-Mannschaft spielen mit Borel, Lagerblom, Laas, Thiago Rockenbach, Timo Rost und den beiden Ex-KSVlern Lewerenz oder Kocin Leute mit Potential für die zweite deutsche Liga. Dorthin sollen sie vordringen, dann werden erstklassige Kicker dazukommen und beim Bundesliga-Aufstieg in sechs Jahren wird dann eine Mannschaft an den Start gehen, die sich etwa so wie das andere künstlich aus dem Boden gestampfte Team, Hoffenheim, agieren wird.

Salzburg 3

In Salzburg wurde auf der grünen Wiese alles neu hingestellt, nichts Gewachsenes aus Austria-Zeiten übernommen, und bis heute kann die Red-Bull-Fußball-Struktur zwischen Fuschl und Wals nichts mit den viel zu großen Schuhen anfangen, mit denen sie herumlaufen.

In so einer praktisch unrettbaren Situation dürfen auch Traps und Huubs, Cos und Loddars und jetzt auch Ricardo Moniz scheitern.

Salzburg 4

Wobei der zunehmend unverständlicheres Gurgeldeutsch parlierende Holländer sich auch selber ordentlich im Weg steht: wenn er in der Defensiv-Zentrale durchwegs Akteure aufstellt, die ordentlich in der Krise sind (Gustafsson, Pasanen, Schiemer, Sekagya...) und wenn er ununterbrochen seine Außenverteidiger wechselt (zuletzt Schwegler - Hinteregger, jetzt Hierländer - Ulmer), dann kann keine sichere Abwehr rauskommen; wenn die gerade wieder fit gewordenen Leitgeb, Zarate und Leonardo das ganze Spiel über kaum zu sehen sind, dann kann die Offensive nicht beseelt werden; wenn ein Svento lieblos hin- und hergeschoben wird, dann muss er schwächeln; wenn der gefühlte Halbjahre verletzte Mendes da Silva in der Halbzeit auf den Platz kommt und die 25 Minuten, in der er die Mittelfeld-Zentrale übernimmt, plötzlich frischer Wind im Aufbau-Spiel herrscht, dann war seine Nichtaufbietung ein Fehler. Und auch, ihm dann die Notaufgabe als Ersatz-Rechtsverteidiger zuzuschieben.

Salzburg 5

Dazu kommt, dass Salzburgs Spieleröffnung wegen übergroßer Ängstlichkeit und Vorsicht nicht an internationales Niveau heranreicht. Die ängstlichen Innenverteidiger kuscheln sich im Zentrum aneinander, locken so die Außenverteidiger, die sich eigentlich offensiv anbieten sollten, nach hinten - so fällt es einem halbwegs gut organisierten Gegner recht leicht, die Passwege zuzustellen, auch ohne irrsinnig starkes Pressing.

Rapid 5

Aber auch Rapids Aufbau passt sich dem B-Klasse-Level der heimischen Bundesliga an, wirkungsvolles Verschieben findet auch hier nicht statt.
Wobei die Gründe aber nicht - wie im Fall von Salzburg - in der Versagensangst und der daraus resultierenden Unsicherheit liegt, sondern in der Dringlichkeit, mit der Trainer Schöttel sein Team sofort auf Liga-Level etablieren muss.

Den tatsächlich nötigen Sprung, den vom "heimischen Spitzenteam" zu einem Player, der international aufgrund seiner taktischen Ausgebufftheit, seiner strategischen Reife oder seiner systemischen Raffinesse Beachtung findet, können aktuell weder Salzburg noch Rapid schaffen.

Rapid 6

Wobei der kleine Freistoßtrick, mit dem Nicht-Stürmer Guido Burgstaller den Beginn seines Hattricks markierte, da Hoffnung macht. Wenn ein Co-Trainer (Thomas Hickersbeger, der Stoppelglatzkopf, auf den die Spieler nach dem Tor zuliefen) mit solchen Extras beginnt, herkömmliche Denkstrukturen aufzulösen, ist international nötige Kreativität zumindest schon in Sichtweite.