Erstellt am: 20. 11. 2011 - 16:45 Uhr
Mit eiserner Faust
„I am in Tahrir right now: Apperantly the police are back on action and having the time of their lives beating up people“. Meine Cousine Mariam Mekiwi hat mir diese Nachricht Samstag Mittag geschickt. Nach dem Freitagsgebet waren Zehntausende auf dem Platz, um der Militärregierung (SCAF) zu zeigen, dass sie sich nach den kommenden Wahlen endgültig von der Macht zu verabschieden haben.
Als gegen Freitagabend die Riot-Police mit althergebrachter und unvorstellbarer Härte gegen die wenigen Demonstranten vorging, die auf dem Platz übernachteten, eskalierte die Lage. Aus Solidarität und aus Angst davor, dass der militärische Rat seine Regentschaft auf unbestimmte Zeit ausdehnt, strömten wieder Hunderte auf den Platz. Dort kam es Samstags und Sonntags zu heftigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten.
ap
Auf den Straßen stehen die jungen Schläger, Steine werfend und Knüppel schwingend. Hinter Schreibtischen und auf Sesseln sitzen die Militärs und fordern die Demonstranten auf, den Platz zu verlassen. Nebenbei ordnen sie an, nach Belieben Gewalt einzusetzen. Tränengas, Schlagstöcke, Steine, Gummigeschoße. Ganz wie damals im Jänner.
Did anyone notice that there is no transitional in SCAF?
Vorausgegangen sind all dem friedliche Proteste nach dem Freitagsgebet. In den meisten ägyptischen wurde vereint gegen die Staatsmacht demonstriert. In Alexandria waren neben den liberalen Gruppen, den Sozialisten und den Salafisten (eine radikal religiöse Gruppierung) auch die Muslimbrüder auf der Straße. Diese Partei hat seit dem Sommer keine Proteste mehr unterstützt, da sie Demonstrationen als politisches Instrument nicht mehr nutzen wollte. Das Verhalten der Militärregierung zwingt sie aber nun wieder auf die Straße.
Was passiert am Wochenende vor den Wahlen?
Für den 28. November sind in Ägypten Wahlen anberaumt. Aus dem gewählten Parlament soll auch die verfassungsgebende Versammlung hervorgehen. Und genau davor scheint sich das Militär zu fürchten. Denn in einer neuen Verfassung wird auch die Rolle der Armee festgeschrieben werden. Deshalb auch der Vorschlag einiger Generäle, eine Art „Über-Verfassung“ zu schreiben, die das Militär als Staatsorgan über die konstitutionelle Gerichtsbarkeit stellt.
Dabei hält das Militär auch weiterhin faktisch alle Macht in Händen. Die ägyptische Armee zählt zu den zehn größten der Welt. Sie ist der größte und mächtigste Arbeitgeber des Landes. Besitzt Hotels und Land und kontrolliert weite Teile der (Staats)Wirtschaft. Die Fragen, die sich nun innerhalb der Militärführung stellen, drehen sich daher vor allem um Machterhalt und Ausbau der Einflussmöglichkeiten.
epa
Dabei stehen dem Militär drei Möglichkeiten offen: Es könnte sich in seine Kasernen zurückziehen und darauf warten, von den Geschichtsbüchern als Befreier und Retter der Revolution gefeiert zu werden. Nach den Übergriffen an der israelischen Botschaft im September, der Tötung von Demonstranten (vorwiegend Kopten) im Oktober und den heftigen Einschnitten in Pressefreiheit und Demonstrationsrecht, sowie der ausufernden Militärgerichtsbarkeit, der Ausdehnung der Notstandsgesetze und der anhaltenden Folter, ist diese Möglichkeit in weite Ferne gerückt – erst recht nach den Ereignissen vom Wochenende.
Die Armee könnte aber auch führende Generäle entlassen und als Zivilisten in den politischen Prozess eingliedern. Eine durchaus denkbare Option, vor allem wenn die kommende Verfassung ein Teilnahme von aktiven Militärs im politischen Alltag verbietet.
Eine weitere Möglichkeit wäre eine Lösung à la Pinochet: Privilegien für die Armee, eigener Haushalt, eigene Abgeordnete, die nicht gewählt werden müssen und das faktische Recht zu intervenieren, wenn es aus Sicht der Generäle notwendig ist.
Folter als politisches Mittel
Die Selbstverständlichkeit, mit der Gewalt in Ägypten eingesetzt wird, ist erschreckend und abstoßend. Die Tatsache, dass Folter und Gewalt bereits so tief in den Habitus, das Denken und das Handeln von Polizisten und Militärs eingedrungen sind, besorgt auch Heba Morayef, Leiterin des Human Rights Watch Büros in Kairo. Für sie sind Folter und Gewalt das erste, mit dem Ägypten abschließen muss:
Die Obrigkeit hat es nicht geschafft Folter zu beenden, geschweige denn, die bekannten Fälle von Folter nach den Ereignissen im Januar zu verfolgen. Sie haben auch keinen Aussöhnungsprozess eingeleitet, um mit den letzten 30 Jahren von Folter umzugehen. Mubarak und (sein ehemaliger Innenminister Habib el) Adly stehen vor Gericht, und dennoch wird keiner der beiden dafür belangt, Folter als politisches Mittel eingesetzt zu haben. Dadurch wurde Folter so alltäglich. Es ist eine „gewöhnliche“ Verhörmaßnahme, die von durchschnittlichen Polizisten am Revier angewendet wird.
Folter und Gewalt werden auch weiterhin gegen Demonstranten, Journalisten, Zivilisten und Blogger eingesetzt.
alahram
Der Blogger Maikel Nabil, der im April von einem Militärgericht zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, befindet sich seit dem 23. August im Hungerstreik. Der bekannte Blogger Alaa Abd al Fattah wurde im Oktober festgenommen, weil er sich nach den Gewaltexzessen des Militärs weigerte, als ziviler Zeuge vor einem Militärgericht auszusagen. Daraufhin wurde er verhaftet und sitzt seither im Gefängnis. Sarah Carr und Sarrah Abdelrahman haben seinen letzten Blogeintrag ins Englische übersetzt.
Rückeroberung des Tahrir
Auch wenn der Platz heute wieder in Hand der Demonstranten ist, bleibt fraglich, wie die kommenden zehn Tage ablaufen werden. Die SCAF hat über zehn Monate auf den Erhalt ihrer Macht hingearbeitet. Und doch sind die kommenden zehn Tage entscheidend für die Zukunft des Landes. Thora tani thora tani. lautet der neue Schlachtruf der Demonstranten: Eine neue Revolution, eine weitere Revolution brauchen wir.
Jeden Tag um 14:10 hebt eine Maschine von Egypt Air von München nach Kairo up. Thora tani. Count me in.