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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

19. 11. 2011 - 22:14

Journal 2011. Eintrag 208.

Der journalistische Zivildiener - wie Demographie und eine Branchenfehlentwicklung für eine gräßliche Schieflage sorgen werden.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem zunehmend dramatischer werdendem Mißverhältniss.

Der durchschnittliche FM4-Hörer ist so alt, dass er bequem in die Kernzielgruppe (16 - 35) passt. Trotzdem werden eine Menge deutlich älterer Radio-Hörer mitbedient (ob das im Netz davon abweicht, dazu fehlen die spezifischen Daten...); Hörer, die ein auf sie zugeschnitteneres Programm gar nicht wollen würden, weil sie genau wegen des juvenileren Aspekts zuhören.

Das war immer schon so, auch zu Vorgänger-Medienzeiten in den 70ern und 80ern, bei Musicbox, ZickZack oder dem TreffpunktÖ3; und es ist eine Ausnahme.

Der Normalfall geht so: ein (auch altersmäßig) bewusst segregiertes und segregierendes Publikum will zielgerichtete Berichterstattung/Information/Unterhaltung.
Und im wesentlichen geht sich das aus: Jeannée und Staberl, Brandstätter und Polly Adler, Fellner und Fellner, Rainer und Gansterer, Sepp Forcher und Karl Moik...

Wo Überalterung die Journalismus-Krise trifft

Mittlerweile machen zwei Merkmale dieser Logik dieser Realität aber einen Strich durch die Rechnung: zum einen die Demographie; zum anderen die ökonomisch-inhaltliche Krise des Journalismus.

Die eine (die Demographie) sorgt für immer ältere Medien-User.
Die andere (die Krise) sorgt für immer mehr junge (also: billige) JournalistInnen.

"Junge Journalisten für alte Leser. Der Redaktionshang zum günstigen Junior entspricht nicht dem Bevölkerungstrend zum wertvollen Senior – und was das für die Zukunft der Medien bedeutet.", überschreibt die Fachzeitschrift "Der österreichische Journalist" in einer Vorabaussendung eine ihrer Geschichten (das nicht online verfügbare Heft habe ich nicht gelesen) - und haut voll rein in eine böse Wunde.

Denn natürlich geht das nicht zusammen: eine junge Intelligenz, die "was mit Medien" machen will, im ewigen Praktikumsfeuer oder im Elend der Billiglohnarbeit landet und für die klassischen Medien ein deutlich älteres Publikum bedienen muss.

Günstiger Junior bedient wertvollen Senior

Denn abgesehen von Special Interest-Medien im Printbereich, und dem von den Jungen deutlich stärker genutzten Netz befindet sich das Durchschnittsalter der Mainstream-Medien deutlich im 50Plus-Bereich.

Unter anderem deswegen blendet auch das neue ORF III alle Jüngeren ganz bewusst aus und stürzt sich auf die klassischen Senioren-Interessen. Immerhin mit einem gemischtaltrigen Team.

Wenn man davon ausgeht, dass der Journalismus neben seinen unabdingbaren Aufgaben als Informierer, Analyst, Aufdecker und Verknüpfer auch noch als Seismograph für gesellschaftliche Tendenzen dient (also relevante Veränderungen vorzeitig erspürt), wird das demographische Gefälle für einen systematischen Verfall dieser Fähigkeiten und ein echtes strukturelles Problem sorgen.

Wenn, wie bereits jetzt, künftig noch verstärkt, ein seiner Aufgabe zunehmend zynischer gegenüberstehendes Neo-Proletariat unterbezahlter Lohnsklaven-Autoren für die Information und Aufrüttlung eines zunehmend vergreisenden Publikums verantwortlich wird, kann die Bezugslosigkeit zwischen Produzent und Konsument zu echten Katastrophen führen, oder zumindest echte Gräben aufwerfen.

Die Verzivildienerung der Mediengesellschaft

Im weniger schlimmen Fall findet eine Verzivildienerung der Gesellschaft statt: die Rentner-Gang bekommt ihre mediale Pillendose vom mitleidigen Rot-Kreuz-Freiwilligen.

Im worst case wird genau die Diskrepanz zwischen mehrheitskumulierenden Oldies und zunehmend entwürdigten Jungen in den Medien die Plattform für den großen Showdown im Sozialkampf um den Überlebenskuchen finden. Auch, weil die sich als Manipulations-Maschinen besser eignen, als alles andere (Social Networks inklusive).

Da Politik und Gesellschaft punkto Demographie nichts zu tun gedenken (Zu- und Einwanderung gilt in weiten Kreisen ja immer noch als Tabu), bliebe die Medien-Branche, die ihre ökonomisch bewusst gesetzte Überjüngung überdenken müsste. Die Absicht, ihre Medien-Zukunft mit einem Heer an leicht auszubeutenden Schul/Studiums-Abgängern zu bestreiten, wird zwar nirgendwo ausgesprochen - die schiere Praxis spricht aber eine andere, klare Sprache.

Zwei Opfergruppen im künstlichen Konflikt

In den vielen sinnhaften Debatten wird das Thema ebensowenig zur Kenntnis gebracht wie in den gezielten High Business-Bekanntgaben.

Mir als typisch-deutlichem 35Plus-FM4-Hörer sind gezielt hindesignte Medien-Produkte eher suspekt als willkommen; ich schätze den anderen Blickwinkel anderer Gruppen eher als die Bestätigung dessen, was in der eigenen Peer-Group eh unumstößlich ist. Aber um mich und die anderen Profi-Medienkonsumenten geht es nicht; sondern um die Masse.

Und die läuft durch die über uns hinwegrollende Schieflage durchaus Gefahr, Opfer dieser absurden Diskrepanz zu werden; ebenso, wie die junge Journalisten-Generation Opfer einer unsäglichen, von ökonomischen Schein-Zwängen getriebenen Entwicklung wird.