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Mari Lang

Moderiert, beobachtet und probiert aus – neue Sportarten, Bücher und das Leben in der Ferne. Ist Ungarn-Fetischistin.

19. 11. 2011 - 16:54

Die Posie fehlender Deutschkenntnisse

Evelyn Schlag verwebt in ihrem aktuellen Roman "Die große Freiheit des Ferenc Puskás" den Ungarnaufstand 1956 höchst gelungen mit der Gegenwart.

Gleich nach der ostösterreichischen Grenze liegt Mosonmagyaróvár, der ungarische Ort mit dem wahrscheinlich kompliziertesten Namen. Keiner weiß, wie man ihn ausspricht, aber jeder war schon mal dort - zum Friseur- oder Zahnarztbesuch in "Moschon".

Früher gab es in Mosonmagyaróvár nicht viel, wofür sich ein Besuch gelohnt hätte. Kommunistische Planwirtschaft, ärmliche Verhältnisse und fehlende Meinungsfreiheit. 1956 fand, wie auch in Budapest, ein Aufstand der Ungarn gegen die kommunistische Regierung und die Sowjetbesatzer statt, der blutig niedergeschlagen wurde. Tausende flüchteten über die Grenze nach Österreich. Mit dieser realen Szene beginnt der aktuelle Roman von Evelyn Schlag.

"Die große Freiheit des Ferenc Puskás"

Mit dem ungarischen Fußballstar Ferenc Puskás, der von 1950-54 Kapitän der ungarischen Nationalmannschaft war, hat die Geschichte nur am Rande zu tun. Puskás ist die Identifikationsfigur der Hauptfigur, dem zehnjährigen Flüchtlingsbub Laci Földesch, der mit seiner Mutter und seinem Vater nach Österreich kommt. Der Vater, der noch an den Folgen einer Schussverletzung leidet, bleibt mit seinem schlechten Deutsch Hilfsarbeiter. Die Mutter steigt zur Sekretärin auf, und auch Laci wird bald zu einer Art Vorzeigemigrantenkind, das gute Noten in der Schule bekommt und verzweifelt versucht, dazuzugehören.

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Präzise beschreibt Evelyn Schlag die mühevollen Integrationsversuche der kleinen Familie Földesch. Den Versuch des Vaters, seine fehlenden Deutschkenntnisse mit Fleiß wettzumachen oder Lacis Bemühungen, bloß nicht mit seinem ungarischen Akzent aufzufallen. Vermeintliche Kleinigkeiten, wie die roten Schuhe der Mutter, werden mit einer unglaublichen Intensität und Symbolik aufgeladen. "Die Schuhe sind für Etelka, die Mutter, die Versicherung ihrer Weiblichkeit", sagt Evelyn Schlag, die beim Interview selbst roten Lippenstift und einen leuchtend roten Schal trägt. Gleichzeitig stehen die roten Schuhe für die Hoffnung, in einem neuen Land eine neue Heimat zu finden.

"Die große Freiheit des Ferenc Puskás" ist im Zsolnay Verlag erschienen.

Evelyn Schlag liest am 23.11.2011 in Waidhofen/Ybbs daraus und am 1.12.2011 in Krems/Stein.

Nicht nur durch die brisante Flüchtlingsthematik hebt Evelyn Schlag ihre Geschichte in die Gegenwart. Sie verwebt die Geschehnisse der 60er Jahre mit einer Parallelgeschichte im Jetzt und schafft damit eine Art Puzzlespiel, bei dem erst nach und nach klar wird, wie alles zusammenhängt. Zwei Männer begegnen einander an einer stillgelegten Tankstelle. Der eine, Laci Földesch, offenbar geistig verwirrt, der andere, Valentin Görtz, Rechtsanwalt und offenbar emotional verwirrt. Was wie ein leichtfüßiges Roadmovie beginnt, wird immer mehr zu einer düsteren Familiensaga, die vor allem durch eine bildhafte und manchmal geradezu unfassbar schöne, verschnörkelte Sprache besticht.

Manchmal sind es kindlliche Beschreibungen wie Der Strom verwandelt sich im Wasser zu einer giftigen Schlange, die nicht länger als eine Sekunde zubeißen muss, dann ist man tot, dann wieder Als meine Mutter sich unter die Erde legte, war sie nicht einmal vierzig - Poesie, die durch fehlende Deutschkenntnisse entsteht. Dafür und für die unzähligen Facetten menschlicher Beziehungen hat Evelyn Schlag definitiv ein Händchen.