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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

19. 11. 2011 - 10:47

In der Hölle des Rock’ n Roll

Alle fanden's schlimm, aber keiner wollte was sagen: Françoise Cactus und Brezel Göring alias Stereo Total haben ein Musical gemacht.

„Wir werden alle im Theater enden“, so reden Musiker ab und an miteinander, und in Berlin hat ja zuerst die Volksbühne, dann das Hebbeltheater Pop- und Rockmusik auf die Bühne gebracht.

Und wenn man die Leute nicht gerade zum Tanzen bringen will, ist ein Theaterauftritt eine feine Sache: Das schöne, gediegene Ambiente macht immer was her. Das sonst eher theaterferne Publikum genießt doch dann und wann einen Ausflug in die subventionierten Stätten der Hochkultur, sitzt gern auf weichen Polstern und ist gewillt, zuzuhören.

stereo total

stereototal

Gefangen in der Hölle des Rock'n'Roll: Stereo Total

Konzerte in Theatern geben ja inzwischen fast alle Bands, seit dem Skandalerfolg von „Andi“, als 1987 der Regisseur Peter Zadek das Publikum mit dem Auftritt der Einstürzenden Neubauten vergraulte, lässt jeder Regisseur von Rang auch gerne mal eine wilde Boyband als bereicherndes Verfremdungs- und Schockelement auf der Bühne lärmen. Der nächste Schritt ist dann folgerichtig der vom Musiker zum Regisseur, zum Stückeschreiber.
Schorsch Kamerun, Peterlicht, Rocko Schamoni und Heinz Strunk schreiben Stücke fürs Theater, Kante liefern gerne die Musik, Deichkind haben sich mit dem Machwerk „Deichkind in Müll“ an das Genre der Diskurs- Operette gewagt, Peaches inszeniert sich theatralisch in One-Woman-Shows... es war also nur eine Frage der Zeit, wann sich der nächste Musiker auf dem Theaterfeld versucht.

Die Berliner Elektropunkgrößen Françoise Cactus und Brezel Göring, bekannt als das dynamische Duo Stereo Total, haben schon viel für die Berliner Ausgehgesellschaft getan und mit ihren Konzerten und szenischen Lesungen, Filmmusiken und ihrer Auflegerei viel Freude verbreitet.

So zog man also am Donnerstag zum Theater „Hebbel am Ufer“, wo das Stereo-Total-Musical „In der Hölle des Rock'n'Roll“ zur Aufführung kommen sollte. Viel erwartete man bei aller Sympathie für die Band nicht, aber doch so etwas wie kurzweiliges Trashical mit bekannten Hits und vielen Musikerfreunden. Der Abend blieb dann leider unter den niedrigen Erwartungen. Wo soll man anfangen?

Ein wenig Inhalt, Sinn und Handlung hätten der Sache gut getan.

Also: Es ging um die Hölle des Rock'n'Roll, einem Begegnungsort für alle Musiker, die eines unnatürlichen Todes gestorben sind: Kurt Cobain, Freddie Mercury, Michael Jackson, Marlene Dietrich, Falco, Nico, Sid Vicious, Elvis Presley oder John Lennon und wie sie alle heißen. Sämtliche Berliner Elektroclashpersönlichkeiten standen auf der Bühe, einzelne Figuren waren
großartig wie Julia Wilton(Bierbeben, Poptarts) als John Lennon, der immer wieder "Imagine" anstimmt , oder Chris Imler (Jens Friebe Band, Driver& Driver) als Falco.

Brezel Göring hatte ein paar trashige Beats gebastelt, aber das ewige Vollplayback nervte, nur wenige Male wurde live gesungen, es fehlten die Übergänge. Nach einem kurzen Songzitat standen die Figuren orientierungslos im Raum und wussten nicht, wohin mit sich.

stereo total

stereo total

Dazwischen begrüßte der Höllenhund Zerberus die Neuankömmlinge, schmuggelte sich die untote Courtney Love ein, während ihr Ex Kurt Cobain immer wieder aus seinem Abschiedsbrief las. Vielleicht wäre es doch gut gewesen, ein Dramaturg hätte ab und an mal vorbei geschaut und Tipps gegeben, oder darüber aufgeklärt, dass "Blackfacing" auf der Bühne heutzutage zurecht verpönt ist und es auch recht plump wirkt, wenn ein schwarz angemalter Bob Marley mit einem meterlangen Joint und einer Reggaekappe ein "Hey, No Woman, No Cry!" in den leeren Raum ruft.

Mephisto konnte als Conferencier das völlig diffuse Geschehen nicht zusammenhalten, ein paar Teufelchen tanzten wie Playboy-Bunnies im Kringel herum, die spärlichen Dialoge versandeten nach einem "Wie war es so früher bei dir, Sid?"... so wurde die Zeit recht lang und man hoffte auf das Ende.

Erst ganz am Schluss, als Brezel Göring zur Gitarre und Françoise Cactus zum Mikrofon griffen und "Ex-Fan des Sixties" von Serge Gainsbourg anstimmten, kam Atmosphäre auf.

Befreit, aber auch ratlos trat man danach in die kühle Novembernacht hinaus. Alle fanden's schlimm, aber keiner wollte was Böses sagen. Zu Recht - denn wer weiß, vielleicht enden wir ja wirklich alle mal beim Theater und machen dann dieselben Fehler, unterschätzen die Bühne und ihre Wirkung und fabrizieren ein musikalisches Schülertheaterstück nach dem anderen?