Erstellt am: 18. 11. 2011 - 20:59 Uhr
Fußball-Journal '11-129.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch das heurige Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit speziellem Augenmerk auf eine bislang wenig beachteten Konsequenz des Paradigmenwechsels, der dem österreichischen Fußball durch den Amtsantritt von ÖFB-Teamchef Marcel Koller widerfahren ist.
Siehe auch:
Die erste Koller-Nachlese. Der gewaltige Vorstoß in die Normalität und Herdplatten-Griffe
und Die Koller-Premiere. Der Live-Blog zum Testländerspiel gegen die Ukraine in Lviv
In der Nachlese zum ersten ÖFB-Spiel unter Marcel Koller spielte das Thema gar keine Rolle: es war schon vor dem Match, angesichts der Aufstellung, klar: der neue Teamchef verlässt sich auf die Legionäre. Die Bundesliga spielt fast gar keine Rolle.
Dass der einzige Liga-Kicker, der zum Einsatz kam, dann auch noch das schwächste Glied der neu zusammengesetzten Kette war, ist eigentlich ein Zufall, verstärkt aber das Symptom und bestätigt die Diagnose: die Akteure, die in der österreichischen Bundesliga auflaufen, sind fürs Nationalteam letztlich nur Ergänzungsspieler.
Nur ein Neuer und Unbelasteter wie Koller konnte das in dieser Deutlichkeit manifestieren. Seine Vorgänger, der mit seiner Rapid- und Austria-Vergangenheit belastete Hickersberger oder der von seinem Boulevard-Küchenkabinett gelenkte Constantini, hätten sich das nie getraut. In ihren Mannschaften mussten immer auch Eitelkeiten von Vereinen, Regionen, Seilschaften, Medien, Spielerberatern und auch der Bundesliga selber bedient werden.
Im 10 zu 1-System aufgestellt...
Als Karel Brückner seine erste Mannschaft auch in einem 10zu1 aufstellte, gab es nur deswegen kein Wutgeheule, weil man Italien auswärts damit ein Remis abgerungen hatte. Außerdem hatte Brückner fest durchgewechselt und dabei die in der Heimat Tätigen benutzt. Später steigerte sich Brückner auf 2-3 pro Spiel.
Constantinis Debut-Truppe begann dann mit sechs Bundesliga-Kickern, vor allem, um den hiesigen Seilschaften zu gefallen.
Trotz einer von revanchelüsternen Neidhammeln und weinerlichen Austro-Lobbyisten überschwemmten Medien-Situation, in der jedes Detail dazu benutzt wird, den Ungewollten madig zu machen, kam dieser Aspekt aber (so gut wie) gar nicht vor. Und wenn, dann wurde nicht widersprochen.
Die österreichische Fußball-Szene nahm also das Verdikt von Koller hin, durchaus demütig.
Sind die "Experten" und "Analytiker" in ihrem Core-Bereich, der strategischen Voraus- und Hinterhersicht so schwach, dass sie's übersehen hätten? Oder kann das mit einer echten Einsicht zu tun haben?
Die international nicht konkurrenzfähige Liga-Elf
Die Liga-Elf, die Koller hätte spielen lassen wollen/können, hätte so gelautet: Lindner/Pascal Grünwald; Klein, Schiemer/Margreitter, Ortlechner, Suttner; Mader, Manuel Weber; Trimmel/Jantscher, Junuzovic, Drazan; Kienast/Maierhofer.
Keine schlechte Mannschaft. Womöglich würde sie die Liga sogar gewinnen. Der Vergleich zur tatsächlichen ersten Elf (hinter der noch ein halbes Dutzend andere Legionäre stehen) macht aber sicher: international nur bedingt konkurrenzfähig.
Die Nicht-Reaktion auf diese durch die Aufstellung erfolgte (gerechtfertigte) Zurückstufung der Liga-Relevanz ist vor allem deswegen so interessant, weil das Schönschwatzen und Hochberichten der Bundesliga ein zentraler Faktor im Agitations-Netzwerk (wir sind eh nicht so schlecht; keine Nestbeschmutzung!) des hiesigen Fußball-Establishments ist.
Gemeinsam mit dem "Experten"-Geseier, dass Österreicher doch erst, wenn sie sich hier durchgesetzt hätten, ins Ausland gehen sollen (also der Leitgeb-, Junuzovic-, Peter Stöger-Weg...) und nicht als Teenies schon in die echte Fußball-Welt abhauen. Dass mit Pogatetz, Prödl, Alaba, Baumgartlinger, Harnik und Arnautovic die Mehrheit der Anfangs-Formation von Dienstag diesem Gebot nicht entsprechen, dass Karrieren wie die von Stranzl, Scharner oder Dag in der heimischen Liga unmöglich gewesen wären, das übersieht diese Lobby sonst gern - schweigt diesmal allerdings.
Das Beispiel mit Butcher und Piermayr
Da fällt mir etwas ein, was ein höchst inselaffiner Funkhaus-Kollege unlängst von Thomas Piermayr erzählt hat. Der spielte seit diesem Sommer bei Inverness Caledonian Thistle FC, dem Tabellenletzten der schottischen Premier League.
Sein Trainer dort ist der ehemalige englische Teamverteidiger und Teamkapitän Terry Butcher, ein berüchtigter Eisenfuß, UEFA-Cup-Sieger und zweifacher WM-Teilnehmer mit England.
Eine Figur der alten Schule, der man alles nur erdenklich Üble durchaus zutrauen würde, Knochenbrecher-Tricks, primitive Männlichkeits-Rituale und überaus simple taktische Ansagen der Hans Krankl-Schule der Unbrauchbarkeit.
Piermayr bekommt jeden Wochenanfang ein zweifingerdickes Dossier über den nächsten Gegner, das jeder Position spezielle Aufgaben zuweist. Unter der Woche, beim Training, checken Butcher und sein Team dann ab, inwieweit die Spieler die Aufgaben bereits verinnerlicht haben. Wer erkennen lässt, sich nicht mit dem Studier-Ziegel beschäftigt zu haben, kann seinen Platz auf der Tribüne schon vorwärmen lassen.
Was dem schottischen Tabellenletzten und einem Trainer/Ex-Kicker der alten Schule der 90er-Generation recht ist, scheint den österreichischen Äquivalenten zu billig.
Warum die Bundesliga Red Bull Salzburg für Arme ist
Hierzulande gilt die punktgenaue Analyse der Gegner immer noch als (verzichtbarer) Luxus; und hierzulande hat sich die Verinnerlichung von komplexen Anweisungen in den meisten Spielerköpfen nicht einmal ansatzweise durchgesetzt.
In vielen Bereichen ist es mit der Bundesliga so wie mit Red Bull Salzburg: sobald Spieler dort einen supergutdotierten Vertrag bekommen, sinkt die Motivation/Ambition ins Bodenlose - und steckt auch die ausländischen Legionäre an, die sich da gern runternivellieren lassen.
Für viele Kicker reicht schon der Vertrag bei einem Bundesliga-Verein aus, um ihren Ehrgeiz zu killen. Was auf die Aufnahmefähigkeit drückt und das Level automatisch sinken lässt.
Während ich das tippe, läuft nebenher das Spiel Altach - Vienna. Altach-Coach Adi Hütter darf und muss ich, wie schon öfters erwähnt, von vielen pauschal anmutenden Vorwürfen ausnehmen.
In Kombination mit einer wenig ambitionierten Trainerkaste sorgen diese Spieler-Mehrheiten dann dafür, dass sich in der Liga nur durch Zufall etwas bewegt. Wenn etwa ein Klub aus finanziellen Gründen auf die junge (und neugierige und hungrige) Garde setzen muss; oder wenn ein Ausnahme-Kicker wie Nacer Barazite kommt und seine Mitspieler mitreißt.
Diejenigen, die "mehr" wollen, müssen raus.
Und dieses "Mehr" bedeutet nicht besseres oder vermehrtes Training, unbekannte Tricks oder andere Wunderwuzzigkeiten: es bezeichnet den über den normalen Einsatz hinausgehenden Ehrgeiz eines Vereins, seines Stabs, seiner Spieler die entscheidenden paar Prozente rauszukitzeln, die im modernen Fußball eben den Unterschied machen.
Und diese Mehr-Woller sind es, die es ins Ausland drängt. Einige sind Frühstarter, andere Spätstarter. Einige werden mit diesem 'Mehr' nicht fertig und scheitern; andere holen sich den entscheidenden Schliff.
Der Unterschied ist jedenfalls ein eklatanter, auffallender. Und er schlägt sich aktuell durchaus zurecht in der Aufstellung der Nationalmannschaft nieder, auch, weil endlich jemand dafür verantwortlich ist, der nicht zur Partie der Nebelgranaten-Werfer gehört, die sich in der Behaglichkeit des schwächelnden Mittelmaßes gut eingerichtet haben, und die Pfründe an ihrer Haberer weitergeben wollen.
Um auch dem Positiven Raum zu geben: die alljährliche Recherche von 90minuten.at zu den Finanz-Jahres-abschlüssen der Bundesligisten zeigt einen positiven, ökonomisch mitdenkenden Trend an.
So hat Marcel Koller, ohne ein Wort darüber zu verlieren, die Bundesliga dorthin gestellt, wo sie ohne Zweifel hingehört: in die hintere Reihe, auf die billigeren Plätze. Diese Deutlichkeit ist im übrigen die einzige Chance auf Besserung: denn nur durch das neugeschaffene Bewusstsein wird es möglich sein, daran zu arbeiten.
Absurderweise wird genau das Marcel Kollers Hauptbeschäftigung in den nächsten Monaten, in denen er ja nur einmal spielen darf, sein. Insofern könnte sich sein Engagement auch auf Bereiche, für die er gar nicht geholt wurde, niederschlagen.