Erstellt am: 24. 11. 2011 - 06:17 Uhr
Tagebuch zum Jahr des Verzichts (34)
marc carnal
2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenter Gruppendruck unter den Mitstreitern.
Sonntag, 13. November
■ Wie man aus einem uninteressanten Satz einen schrecklichen macht:
uninteressant:
"In Wien feierte Niki Lauda mit Harald Krassnitzer, Mirna Jukic und Richard Lugner im U4 seinen Geburtstag."
schrecklich:
"In der Bundeshauptstadt ließ Rennfahr-Legende Niki 'Nationale' Lauda in der legendären Kult-Disco U4 gemeinsam mit Tatort-Mimen und 'Bergdoktor' Harald Krassnitzer, Schwimm-Beauty Mirna Jukic und Society-Löwen Richard 'Mörtl' Lugner (74) bis spät in die Nacht die Sektkorken knallen."
■ Nachdem es anscheinend nicht möglich ist, ein seriöses, günstiges und verlässliches Umzugsunternehmen in Wien zu finden, müssen die Lebensabschnittswegbegleiter herhalten und Billy-Regale, Röhrenfernseher und Kartons schleppen, auf denen nicht „Stuff“ steht, was die Gesamtbevölkerung ansonsten gerne auf Umzugskartons schreibt.
An dieser öffentlichen Stelle ein privater Dank an die helfenden Hände!
Montag, 14. November
■ In „brand eins“: Portrait des russische Mathematikers Grigori Perelman, der vor einigen Jahren eines der sieben Milleniums-Probleme der Mathematik gelöst hat und dafür weder die ihm zustehende Fields-Medaille noch das Preisgeld von einer Million Dollar annimmt und stattdessen lieber bei seiner Mutter am Stadtrand von St. Petersburg wohnt.
Was für ein Romanstoff!
■ Die meisten Menschen sind ziemliche Koffer.
■ Der Verzicht auf Fleisch fällt mir immer leichter. Während mich in den ersten Tagen hin und wieder ein kurzer Schnitzeleberkäschweinsbraten-Impuls übermannte, ist die Tier-Abstinenz mittlerweile Routine.
Dienstag, 15. November
■ Neues Film-Genre: Pornodarsteller-Biographien in Form eines Pornos.
■ Die mittlerweile wieder fast geschlossene Interessensgruppe Verzicht ist sich übrigens einig, dass man bei der Paragraphenreiterei die Zügel ruhig locker lassen darf – so ist es beispielsweise kein Regelverstoß, mit Rindsbrühe zu kochen.
■ Schraub-schraub-such-such-putz-putz-hämmer-hämmer-schlepp-schlepp.
Mittwoch, 16. November
marc carnal
■ Ikea-Großeinkäufe sind deshalb so zehrend, weil man in drei Stunden gefühlte vierhundert Entscheidungen treffen muss, die mitunter für Jahre gültig sind. In Trafiken oder Konditoreien ist das eher selten der Fall.
Donnerstag, 17. November
■ Die Mitarbeiter auf den ohnehin mustergültig organisierten und wunderbar übersichtlichen Wiener Mistplätzen sind durch die Bank freundlich, hilfsbereit und kompetent.
■ Der beste Modeblog von hier bis Texas: guccibanana.blogspot.com
■ Besuche mit Kollegen Spreissler das vegetarische Restaurant Formosa in der Barnabitengasse, wo beispielsweise Chickenburger-, Schnitzel- oder gar Martinigansl-Substitute in fleischloser Form feilgeboten werden. Das Personal spricht kaum Deutsch und sagt ohne jeden Anlass pausenlos „Danke“, das Essen ist durchaus köstlich. Selbst das Cola ist Bio (und schmeckt entsetzlich).
Freitag, 18. November
■ Die größte Ehrfurcht vor jenen Künstlern, die am Höhepunkt ihrer Schaffenskraft einfach aufhören. Und woher wissen, dass der Höhepunkt erreicht ist? Ganz einfach: Das erste Produkt, das der Qualität des bisherigen Oeuvres nicht mehr standhält, nicht mehr veröffentlichen.
■ Größte Herausforderung des Verzichts-Monats bestanden: Umzug bravourös ohne Leberkas-Semmerl absolviert.
■ In gut drei Wochen kommt schon der Krampus und ich war wieder so schlimm. Bereite mich schon auf eine Tracht Hauswatschn vor.
Samstag, 19. November
■ Schnarchen, selbst angedeutetes, unschuldiges, süßes, leises, seliges Schnarchen, raubt mir nicht nur den Schlaf und den letzten Nerv, sondern macht mich ausufernd aggressiv, ich könnte den Schnarchenden bei lebendigem Leibe häuten. Leider bin ich aber selbst im Zustand größtmöglicher Unausgeglichenheit vernünftig, lasse etwaige Mitschläfer weitersägen und stopfe mir ganze Polster in die Gehörgänge. Scheiß Höflichkeit.
■ Der Film Shrek besteht aus 5220 Shrek-Sekunden.