Erstellt am: 20. 11. 2011 - 13:15 Uhr
Zamonien ist ausgebrannt!
- My Fantasy Kingdom I: Das Programm der Fantasywoche auf FM4
- My Fantasy Kingdom II: Alle Stories zur Fantasywoche auf FM4
- Mehr Buchempfehlungen auf FM4
2004 feiert Hildegunst von Mythenmetz mit "Die Stadt der Träumenden Bücher" einen durchschlagenden Erfolg: von Mythenmetz erzählt darin von seinem Besuch in der Stadt Buchhaim, die vom Schattenkönig bedroht wird. Mit "Das Labyrinth der Träumenden Bücher" erscheint jetzt die Fortsetzung jener Geschichte, erneut von Walter Moers gewissenhaft ins Deutsche übersetzt.
Man darf mich getrost für größenwahnsinnig erklären, wenn ich behaupte, dass ich zu jener Zeit, als diese Geschichte begann, schon der größte Dichter Zamoniens war. Wie soll man einen Schriftsteller sonst nennen, dessen Bücher in Fässern in die Buchhandlungen gerollt werden? Dem man vor der Gralsunder Universität für Zamonische Dichtung ein Denkmal aus feuervergoldetem Gusseisen errichtet hat?
Die Rückkehr des Schattenkönigs
Albrecht Knaus Verlag
Hildegunst von Mythenmetz erstickt an seiner Popularität. Zweihundert Jahre nach seinem ersten Besuch in Buchhaim ist der literarische Lindwurm ein Superstar auf Autopilot. Jeder seiner Romane wird zum Bestseller, auch wenn sie schon längst nichts mehr zu erzählen haben. Jeden Tag erhält er hunderte Fanbriefe, und in jedem stehen dieselben sinnlosen Lobhudeleien. In fast jedem: einer irritiert Hildegunst derart, dass er droht, an seinem Sahnekakao zu ersticken. Der Schrieb erzählt eine langatmige, uninteressante, aufgeblähte Geschichte, allerdings bis auf Punkt und Komma in exakt jenem Stil, der von Mythenmetz legendär gemacht hat. Und damit nicht genug: er ist sogar in seiner Handschrift verfasst und mit seinem Namen unterschrieben. Der größte Schock, der findet sich allerdings im Postscriptum ...
... welches in mikroskopisch kleiner Schrift auf den unteren Rand gesetzt war. Es lautete: P.S. Der Schattenkönig ist zurückgekehrt. Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn, und der Brief in meiner Hand begann zu zittern. Vier Worte, zweiunddreißig winzige Zeichen auf Papier genügten, mich derart aus der Fassung zu bringen: Der Schattenkönig ist zurückgekehrt. War das ein gemeiner Scherz? Welcher grausame Witzbold hatte dann diesen Wisch geschickt? Einer meiner zahllosen Neider? Ein missgünstiger Kollege? Ein Kritiker?
Und auf keine dieser Fragen findet man eine Antwort in "Das Labyrinth der Träumenden Bücher". Denn genau genommen ist Walter Moers sechster Zamonien-Roman nur eine Ouvertüre. Soll heißen, man begleitet Hildegunst von Mythenmetz auf seiner zweiten Reise nach Buchhaim, erfährt von ihm, wie sehr sich die Stadt nach dem verheerenden Brand vor zweihundert Jahren verändert hat. Anfänglich sprüht Moers' groteske Fantasie noch Funken, lässt man sich von seinen eigentümlichen Kreaturen und Schauplätzen bezaubern.
http://buchhaim.communityhost.de/info/
Das Ende ist nur der Anfang
Aber ungleich dem Vorgänger "Die Stadt der träumenden Bücher" greift seine Geschichte diesmal nicht: die Eigentümlichkeiten werden vor einem aufgestapelt, bis ein barockes Panoptikum entsteht. Es gibt historische Exkurse und detaillierte Beschreibungen der verschiedenen Stadtviertel; sogar eine Nacherzählung des ersten Teils wird in die Erzählung eingewoben. "Das Labyrinth der träumenden Bücher" selbst, das kommt erst im letzten Kapitel vor, das mit den Worten "Hier fängt die Geschichte an" schließt. Walter Moers selbst liefert im Nachwort eine Erklärung für die ungewöhnliche Struktur seines Werks.
Als ich zu der Erkenntnis gelangt war, dass der Roman, sollte er in einem Stück erscheinen, nicht fristgerecht fertig würde, blieb mir nichts anderes übrig, als den Verlag zu alarmieren. So entstand die Idee, aus der Not eine Tugend und aus einem Buch zwei zu machen. Erstens bekäme ich die nötige Zeit für die sorgfältige Übersetzung des zweiten Teils. Und zweitens würden die Leser so schnell wie möglich in den Genuss eines neuen Zamonien-Romans aus der Feder von Mythenmetz gelangen.
Und damit für eine Geschichte zweimal zahlen. Mit viel Liebe kann man Moers' Roman natürlich als hyperintelligentes Gefäß für den literarischen Absturz seines Alter Ego Hildegunst von Mythenmetz betrachten. Wer an Meta-Spielereien Gefallen findet, könnte sich vielleicht sogar unterhalten fühlen. Für alle anderen bleibt es ein langweiliger, strukturloser, selbstgefälliger Spaziergang durch Buchhaim. Und ein schlechter Roman.
Nazis und Arschlöcher
Das ist insofern schade, als dass Walter Moers' im gesamten deutschen Sprachraum einmalige Prosa gotische Schauerromantik mit mittelalterlichen Fantastereien und grotesken Elementen kreuzt. Seine Zamonienromane, von denen der erste "Die 13 1/2 Leben den Käpt'n Blaubär" noch eindeutiger in den harmloseren Fernsehfantasien des Autors wurzelt, mögen sich vom Antlitz her an Kinder und Jugendliche richten, sind aber eigentlich Erwachsenenliteratur - und gerade deshalb bei Kindern und Jugendlichen sehr beliebt. Das war schon bei seinen Comic-Romanen rund um "Das kleine Arschloch" und "Adolf, die Nazisau" so. Auch "Das Labyrinth der Träumenden Bücher" ist angefüllt mit Unheimlichkeiten und grauenhaften Bildern, die zarten Gemütern durchaus Albträume bescheren dürften.
Ergänzt um die fantastischen Illustrationen von Walter Moers, die sich gerne auch um den Text schlingen bzw. diesen auf einer anderen Darstellungsebene spiegeln, die schlauen Wortspielereien des Autors (allein mit der Anagramm-Suche kann man Wochen verbringen, vorausgesetzt, man verzichtet auf virtuelle Hilfestellungen) und die schon zum Markenzeichen gewordene typografische Vielgestalt, leuchtet einem "Das Labyrinth der träumenden Bücher" immer wieder aus dem Buchregal entgegen. Aber man kommt nicht umhin, festzuhalten, dass die brummende und summende Aufregung, die einen beim Lesen eines früheren Moers-Buchs überkommen hat, diesmal fehlt.
Aber, wie im Nachwort verkündet, sollte es nicht mehr allzu lange dauern, bis diese neue Buchhaimer Geschichte fortgesetzt wird. Und wer weiß, vielleicht erklärt sich dann die Struktur dieses Romans noch rückwirkend. Vielleicht ist uns Hildegunst von Mythenmetz wieder einmal weit voraus. Um mindestens vier Lindwurmschritte.