Erstellt am: 17. 11. 2011 - 12:05 Uhr
Bremser und Blender auf der Schulden-Autobahn
Banken, Fonds und Versicherungen verleihen in den letzten Monaten ihr Geld immer zögerlicher an Staaten im Euroraum bzw. fordern dafür immer höhere Zinsen als Risikoprämie. Standen anfangs die krisengeschüttelten Staaten der EU-Peripherie (Griechenland, Irland, Portugal) im Fokus, arbeitet sich das Misstrauen nun langsam in Richtung Kerneuropa vor: Nach Italien sind nun auch Österreich, Niederlande, Belgien und Frankreich mit steigenden Kosten für die Aufnahme neuer Staatsschulden konfrontiert.
Unbeliebte Ösi-Anleihen - warum?
Das hat vor allem zwei Gründe: Erstens die Unsicherheit der AnlegerInnen, wie es mit der Krise weitergeht: Kommen weitere Schuldenschnitte, oder wird sich die EU auf neue Stabilisierungsaktionen einigen? Solange das nicht klar ist, hängt eine Wolke des Zweifels über der Geldanlage in Staatsanleihen. Zweitens die Einschätzung, dass Staaten wie Österreich für Banken mit enorm aufgeblähten Auslandsrisiken (Stichwort Osteuropa) geradestehen, was schnell zu unbewältigbaren Budgetbelastungen führen könnte, wenn die Banken unter die Räder der Krise geraten und erneut zu Kandidatinnen für Staatshilfe werden.
Schmerzhafte Alternativen
Um diese Ängste zu beruhigen, gäbe es eine Reihe von Lösungsmöglichkeiten, die aber alle politisch unangenehm sind:
Entweder müssten die wirtschaftlich starken Staaten viel mehr bereit sein, die Risiken gemeinsam zu tragen und viel mehr Geld auf den gemeinsamen europäischen Tisch zu legen, um zu signalisieren, dass notfalls mit allen Mitteln gegen die Krise gekämpft wird: Damit würde der "Rettungsschirm" weiter aufgeblasen, um Kredite an Länder zu vergeben, die bei der derzeitigen Marktlage keine mehr kriegen.
Oder es müsste die Europäische Zentralbank angewiesen werden, notfalls die Notenpresse anzuwerfen, um alle Staatsanleihen zu kaufen, denen die privaten GläubigerInnen derzeit misstrauen, und so die Lage zu beruhigen.
Oder es könnte der Entschluss gefasst werden, dass in allen Staaten, die das brauchen, mit einem Schlag ein Schuldenschnitt durchgeführt wird. Auf die Gefahr hin, dass dann einige Gläubigerbanken und -versicherungen, die um ihr Geld umfallen, in die Pleite schlittern, und dadurch großflächig weitere Geschäftspartner mitreißen. Wobei unsicher ist, ob am Ende noch irgendjemand steht, der die Finanzierung für das Weiterlaufen des Wirtschaftsprozesses bereitstellen kann.
Oder die Staaten greifen auf Methoden aus historischen Krisenzeiten zurück und greifen ungeniert auf Privatvermögen zu, um die Staatsfinanzierung zu sichern: Einführung hoher Vermögensteuern, Zwangsanleihen zur Finanzierung der Staatsschuld etc.
Bremsen aus Bequemlichkeit
Weil all diese Möglichkeiten sehr konfliktträchtig und deshalb unbequem sind (und auch weil sie eigentlich alle nicht wirklich gut im nationalen Alleingang durchgeführt werden können, also eine Einigung auf Euroraum-Ebene bräuchten), versuchen die unter Druck geratenen staatlichen Schuldner ihre privaten GläubigerInnen mit Spar-Gelöbnissen zu beruhigen. Die nationale Verankerung von "Schuldenbremsen" - also Verfassungsgesetze, die den Verschuldungsspielraum durch Regeln eingrenzen - ist dafür die Lieblingsidee der deutschen Bundesregierung. Diese Regierung ist gleichzeitig in Europa die lauteste „Nein“-Stimme gegen die oben genannten anderen Möglichkeiten. Während die Kosten für Staatsschulden bei den anderen Ländern in den Himmel wachsen, profitiert Deutschland von der eskalierenden Lage und kann sich einmalig günstig verschulden - so gierig sind die AnlegerInnen auf Papiere im sicheren Hafen Deutschland. Bis vor kurzem hat Österreichs Regierung die Deutschen in ihrer bremsenden Haltung gegen einen weiteren Ausbau europäischer Stabilisierungsaktionen fest unterstützt. Angesichts der Tatsache, dass Österreichs Staatsanleihen nun offenbar auf den Märkten nicht mehr so gut ankommen, werden die österreichischen Regierungsvertreter in Brüssel in Zukunft vielleicht ein bisschen verhaltener agieren.
Die Krise ausbremsen?
Nationale "Schuldenbremsen" als Lösung ins Spiel zu bringen, bedeutet so zu tun, als ob unverantwortliches planloses Schuldenmachen, ein kurzsichtiges Leben auf Pump durch Regierungen das Hauptproblem sei, und versucht, den Spielraum für gewählte Regierungen kleiner zu machen.
Dass die Kosten der Krise (Ausgaben für Bankenrettung und Steuerausfälle) hauptverantwortlich für den Schuldenanstieg der letzten Jahre sind, und die jüngst intensivierte Angst auf den Finanzmärkten nichts mit plötzlich aufflammenden Defizitlüsten von Regierungen, sondern mit der Ausbreitung des Unsicherheitsvirus zu tun hat, scheint vergessen. Stattdessen werden Staatsschulden dämonisiert und mit der zweifelhaften Maßnahme einer "Schuldenbremse" versucht, etwas vom Glanz der deutschen Sonne abzubekommen. Das geht an den Ursachen vorbei und wird deshalb sehr wahrscheinlich nicht dazu führen, dass Vertrauen der AnlegerInnen wiederzugewinnen. Und nebenbei verbaut es aber für alle Zeiten Handlungsspielraum im Budget, der sich schon bei der nächsten Krisenetappe als bitter notwendig erweisen könnte.