Erstellt am: 17. 11. 2011 - 16:40 Uhr
Was, wenn man alles erreicht hat?
Die Zeiten, als Bergsteiger Superstars waren, sind vorbei. Einerseits, weil Bergsteigen zum Glück nicht mehr so nationalistisch vereinnahmt wird wie früher - der Wettlauf, wer die erste Frau auf allen 8.000ern sein werde war hoffentlich der letzte Ausläufer davon. Andererseits wird es auch immer schwerer, einem breiten Publikum besondere Leistungen im alpinen Sport nahezubringen. Es ist einfacher zu vermitteln jemand habe den höchsten Berg der Welt bestiegen, als jemand habe eine tausende Meter hohe Fels-/Eiswand in der Schwierigkeit M5 X, 5.9, WI4 durchklettert.
Solche Leistungen bleiben meist in der Bergsport-Community, die dafür eine eigene Auszeichnung eingeführt hat. Die beste alpinistische Leistung jedes Jahres wird mit dem Piolet d'or, dem Goldenen Eispickel ausgezeichnet. Steve House wurde diese Ehre 2005 zuteil, gemeinsam mit seinem Kletterpartner Vince Anderson. In sechs Tagen haben sie damals die Rupal-Wand am Nanga Parbat durchstiegen, mit 4.500m Höhe die höchste Felswand der Welt. Die beiden haben die Wand aber nicht irgendwie durchstiegen, sondern im Alpinstil, in einem Zug, mit minimaler Ausrüstung, ohne künstlichen Sauerstoff, ohne Träger, ohne fix verlegte Seile.
Steve House
Detaillierte Vorbereitung
Jahrelang hat sich Steve House auf diese Leistung vorbereitet, stets an seiner Technik gefeilt und ständig probiert, seine Ausrüstung auf ein Minimum zu reduzieren. Beim Durchstieg wog sein Rucksack nur mehr zwölf Kilo. Darin waren ein winziges Zelt von nur einem Kilo Gewicht, ein Schlafsack, den er sich mit seinem Kletterpartner teilte, ein Benzinkocher mit Brennstoff für sieben Tage, um Schnee schmelzen zu können und eine minimale Menge an Nahrungsmitteln, gerade genug zum Überleben. Steve House hat in acht Tagen sieben Kilo abgenommen.
Diese Tour war eine Gratwanderung, die nachher ihren Tribut gefordert hat. Über lange Zeit war Steve House von Erschöpfungszuständen und verschiedenen Krankheiten geplagt. Erst nach etwa einem Jahr sind seine Kraft und die Motivation wieder zurückgekommen und er hat sich wieder in schwere Klettertouren gewagt. Während dieser Zeit hat sich aber die Erwartungshaltung des Publikums massiv geändert.
Steve House
Die Gefahr, an den Ansprüchen zu zerbrechen
"We were doing some other good climbs, but it wasn't as big, so people said: Well, that's cool, but that's easy for him, because he already did the Rupal Face - when is he going to do something bigger than that? Lot of people had that attitude."
Diese gesteigerte Erwartungshaltung wurde für Steve House bald zu einem Problem, weil sie im Hochrisikosport Klettern großen Druck für ihn erzeugt hat. Steve war der Überzeugung, er müsste noch etwas Größeres, Schwereres, Schnelleres oder Gefährlicheres leisten, um sein Publikum zufriedenzustellen, denn immer wieder kam die Frage "What's next?"
Verweigerung konventioneller Vermarktungsstrategien
Von Steves Sponsoren kam kaum Druck, größere Projekte zu starten, denn er hat stets auf konventionelle Vermarktungsstrategien verzichtet. Bei seinen Erstbegehungen waren keine Kamerateams dabei, allein schon aus praktischen Gründen: "My experience with film projects and climbing is, you can either do good filmmaking, or good climbing, but you can never do both." Denn Filmen verträgt sich nicht mit Klettern, zumindest nicht auf diesem Niveau. Licht- und Kamerapositionen, Anweisungen des Regisseurs, das alles geht zu Lasten der Konzentration. Bei schweren Touren schließt Steve auch das Selber-Filmen aus: "There's no room for one more kilo, and there's certainly no more room for another person." Und wenn er es doch macht, sind die Videos trocken und unspektakulär, im Gegenteil zu den meisten aktuellen Filmproduktionen.
Jahrelang hat sich Steve House an der Erwartungshaltung des Kletterpublikums messen wollen und sich dadurch selbst den größten Druck gemacht. Er wollte sein Klettern immer in weitere Extreme treiben, bis er zur Einsicht gekommen ist, dass er sich dadurch selbst in Gefahr bringt. Er hat aufgehört, dieses Now, what's next?" beantworten zu wollen. "I've stopped thinking about it that way. If just think about it that way as a climber, it turns into a suicide machine frankly."
malik verlag
Steve House hat über seine Erlebnisse auch ein Buch geschrieben.. "Jenseits des Berges", übersetzt von Hans Freundl und Karina Of und erschienen im Malik Verlag
Inzwischen ist sich Steve bewusst geworden, dass er nur mehr für sich klettern kann und nicht für jemand anderen. Vielleicht hat auch der Kletterunfall mitgespielt, den er 2010 am Mount Temple in den kanadischen Rockies hatte. 25 Meter ist er damals abgestürzt. Durch den Aufprall hat er sich das Becken und sechs Rippen gebrochen, sein rechter Lungenflügel ist kollabiert und seine Wirbelsäule an fünf Stellen angerissen. Nur durch die rasche Bergung durch einen Hubschrauber konnte er überleben.
Sieben Tage ist er auf der Intensivstation gelegen, doch im selben Jahr war er wieder auf dem Berg unterwegs.
Seitdem ist auch sein Leben, wie er selbst sagt "facettenreicher und bunter" geworden. Er hat ein alpines Mentorenprogramm gestartet, mit dem er versucht seine Erfahrungen an junge Alpinisten weiterzugeben, er betreibt er ein Schulprogramm in Pakistan und außerdem hat er zum zweiten Mal geheiratet.
Wer nun mehr über den Ausnahmealpinisten erfahren möchte, lässt sich das am besten von ihm selbst erzählen, am 18. November um 19:30 in Lienz, im Saal der Wirtschaftskammer, oder am 25. November beim Bergfilmfestival in Salzburg.