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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

16. 11. 2011 - 20:47

„So sinnvoll wie ein Gesetz gegen schlechtes Wetter“

Warum eine Schuldenbremse im Verfassungsrang nutzlos ist, solange weiter Banken gerettet werden und die Finanzindustrie an der langen Leine bleibt. Ein Gespräch mit David Walch von ATTAC Österreich.

Die Österreichische Regierung plant die Schuldenbremse, einen budgetären Ausgabedeckel, in Verfassungsrang zu heben. Die NGO ATTAC kritisiert diesen Plan mit einer Presseaussendung mit folgendem Titel: „Ohne strikte Finanzmarkt- und Bankenregulierung ist eine verfassungsrechtliche Schuldenbremse so sinnvoll wie ein Gesetz gegen schlechtes Wetter“.

Im Radio
Alexandra Strickner von ATTAC Österreich ist morgen auch zum Thema Schuldenbremse zu Gast in Reality Check

Die Opposition äußerte heute teilweise Einwände gegen den Mechanismus, der die österreichische Staatsverschuldung bis 2020 auf 60% des BIPs relativ senken will. Außerhalb des Parlaments formiert sich erster Widerstand gegen das Vorhaben, zum Beispiel von ATTAC. Vor allem das angebotsorientierte Spar-Credo irritiert viele Verfechter des Sozialstaates, denn oft liest man, dass der "überbordende" Sozialstaat nicht mehr finanzierbar sei und deshalb Sozialausgaben gekürzt werden müssen.

David Walch, Pressesprecher von Attac

Paul Sturm

David Walch

Dagegen hält man bei ATTAC eine nackte Zahl: Von der Gründung der Eurozone bis zum Ausbruch der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 sank ihre Verschuldung von 72,8% auf 66,1% des BIPs – erst durch das massive Auffangen und Verstaatlichen von Bad Banks und sonstigen Rettungsaktionen für die Verursacher dieser Krise hat sich die Budgetsituation dramatisch verschlechtert.
Ich habe David Walch, den Pressesprecher von ATTAC Österreich, per Telefon zum Interview gebeten:

Robert Zikmund: Was sind denn Eure hauptsächlichen Einwände gegen diese Schuldenbremse?

David Walch: Grundsätzlich bedeutet eine Schuldenbremse ja nichts anderes als Sparpakete für die Zukunft. Bei den vorgeschlagenen Einsparungen rechnet man bis 2017 mit etwa 9 Milliarden Euro. Entscheidend für die Zukunft ist aber nicht das Einführen von Sparpaketen, sondern das Bekämpfen der Ursachen dieser Krise. Auf der einen Seite wäre dies die überfällige Regulierung der Banken und Finanzmärkte und auf der anderen Seite muss man schauen, dass wir nicht durch Ausgabenkürzungen im Sozial- und Bildungsbereich die Krise weiter verschärfen und damit die Konjunktur ganz abwürgen. Vielmehr sollten neue, sozial gerechte Einnahmequellen hier den nötigen Spielraum schaffen.

Die neokonservative Seite behauptet, dass nicht die Bankenkrise die Ursache der Schuldenexplosion ist, sondern vielmehr der Umstand, dass die Politiker zu lange auf die Befindlichkeiten ihrer WählerInnen gestarrt haben. Und so Geschenke verteilt hätten, wo es keine Geschenke zu verteilen gab. Was sagt ihr zu diesem Argument, man hätte über die Verhältnissen gelebt?

Ich denke, das ist einfach eine ganz klare Interessenspolitik, die solche Argumente vorbringt. Bis zur ersten Krise sind die Schulden gesunken und tatsächlich ist es so, dass man vom Verschuldungsgrad alleine ja gar nicht sagen kann, welche Staaten nun in Bedrängnis kommen und welche nicht. Irland hatte etwa vor der Immobilienkrise 2007 eine sehr geringe Verschuldung, war dann aber sehr stark betroffen und wurde dann auch von den Finanzmärkten herabgestuft. Es ist naiv zu glauben, dass die Verschuldungsquote bestimmen würde, wie die Finanzmärkte ihre Spekulationen ansetzen. Und es gibt natürlich auch massiven Widerstand der Finanzlobbys, was man jetzt wieder bei der Finanztransaktionssteuer sieht. Und auch bei der Vermögenssteuer werden ja immer wieder Märchen bemüht, etwa, dass dies den Mittelstand treffen würde. Das sind natürlich alle interessensgesteuerte Argumente.

Der deutsche Börsenanalyst und Geldkritiker Dirk Müller behauptet, stellvertretend für etliche andere, dass es im aktuellen Schuldgeldsystem überhaupt keine Möglichkeit gibt, aus der Nummer rauszukommen. Er meint, da Geld nur durch Schuld entsteht, müssen sich, wenn der Staat weniger Schulden macht, Private und Unternehmen mehr verschulden - zahlen wird am Ende aber immer der Steuerzahler. Glaubt ihr, dass es möglich ist im System mit Korrekturen voran zu kommen, oder bedarf es tatsächlich eines Paradigmenwechsels?

Die Frage nach dem Geldsystem ist eine sehr schwierige Diskussion. Letztendlich glaube ich aber, dass es viele Wege braucht um der Lage Herr zu werden und es keine monokausale Lösung geben kann. Ich glaube nicht, dass das nur die Schraube Geldsystem sein kann. Etwa kann man mit einer besseren Verteilung von Vermögen und Einkommen dazu beitragen, künftige Krisen zu vermeiden. Auch weil ja gerade die konzentrierten Vermögen diese Blasenbildungen hervorrufen. Gleiches gilt für die Verteilung der Unternehmensprofite. An monokausale Erklärungen glaube ich nicht.

Wissenschaftler, etwa Markus Marterbauer von der Arbeiterkammer, sprechen davon, dass gerade das Stagnieren der Reallöhne in den letzten 1-3 Jahrzehnten dazu führte, dass auch immer mehr auf Kredit konsumiert wurde. Wie wichtig wäre denn hinsichtlich der Verschuldung, dass endlich auch die Reallöhne einen fairen Anteil am Produktivitätswachstum haben?

Das ist sicher ein ganz entscheidender Faktor. Diese Dynamik wird von vielen Studien ganz klar belegt. Und natürlich hat das auch wieder Rückwirkungen auf die Konjunktur. Denn gerade eine Erhöhung von niedrigen Einkommen führt zu einer Belebung des Konsums und damit zu Wirtschaftswachstum. Es ist also ganz wichtig zu sehen, dass es hier ein massives Verteilungsproblem gibt, das auf vielen Ebenen wirkt.