Erstellt am: 16. 11. 2011 - 11:25 Uhr
Fürchte dich Wien, meine Oma kommt!
Als meine Großmutter in Berlin war, fuhr sie so lange mit einer einzigen Buslinie, dass der Fahrer glaubte, sie sei eine Terroristin, die gerade einen Anschlag plant. Er stand auf und kontrollierte ihren Fahrschein. Sie hatte aber eine Monatskarte und der Fahrer konnte nichts mehr sagen. Meine Oma wollte keinen Anschlag planen, sondern nur ein bisschen in den Plattenbausiedlungen auf und ab fahren, die sie an ihre eigene Heimat erinnerten und sie in der hektischen Großstadt ein bisschen zur Ruhe kommen ließen.
Auch in Istanbul hatte man mit meiner Oma nicht mehr Freude. Am Bazar verhandelte sie so lange mit den Händlern, dass sie sich irgendwann nur mehr die Haare rauften. Um das im Land des Feilschens zu schaffen, braucht man sehr viel Talent!
Es gibt sogar gewisse Reisebüros, die plötzlich vollkommen ausreserviert sind, wenn meine Oma etwas buchen will. Sie kennen die etwas mühsame Dame schon, die es schafft, dass ganze Busse machen müssen, was sie sich in den Kopf gesetzt hat. So musste einmal eine ganze 50-köpfige Gruppe einen eintägigen Ausflug zum Arzt machen und meine Oma begleiten, die sich einbildete, sie hätte einen geschwollenen Fuß.
Wie meine Oma Städte bewertet, ist auch interessant: Sie benotet sie nach ihrer Dreckigkeit! Hauptkriterium in ihrem Wertesystem ist, ob sich die Leute die Schuhe putzen oder nicht. Jene Städte, wo man öfters Sandalen trägt, haben schon verloren. Venedig steht darum in ihrer Liste der schrecklichen Städte ganz oben! Meine Oma interessiert sich nicht für historische Gebäude und Museen. „Es ist mir egal, an was für einem Tisch Napoleon gesessen hat, ich will sehen, wo die Franzosen heute sitzen!“, sagt meine Oma. Sie starrt darum in Paris jedem ganz ungeniert auf Tisch und Teller, als ob sie den Gästen gleich die Froschschenkel klauen möchte. In Wirklichkeit ist sie einfach nur ein neugieriger Mensch.
In Moskau fühlte sich meine Oma ganz gut, bis sie feststellte, dass die Minibar im Hotel zugesperrt war. Sie verlangte vom Hotelpersonal, dass sie die Minibar sofort wieder aufgesperren. Das Zimmermädchen tat, was ihr befohlen. „Sie können die Minibar wieder zusperren“, sagte meine Oma danach, „Jetzt weiß ich, was drinsteht!“
Meine Oma plant zu Weihnachten eine Reise nach Wien. Ich plane, zur gleichen Zeit in Sofia zu sein. Mein Bruder auch. Wenn ihr in der U6 eine ältere Dame seht, die ganz vorsichtig auf ihre Schuhe schaut, dann nehmt euch in Acht! Ihr seid schon auf der Liste!