Erstellt am: 14. 11. 2011 - 15:55 Uhr
Sprech-Therapie
Christian: Da sitzen wir rund um den virtuellen Kamin und schwärmen: Sebastian Selig, Gini Brenner und meine Wenigkeit. Drei Filmbesessene, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen, lassen ihren Assoziationen zu einem auserwählten Streifen freien Lauf und driften dabei schon mal ins fantechnische Delirium. Alles mit voller Absicht natürlich. Herr Selig, ich bitte sie um einführende Worte zu David Cronenbergs Psycho (-Analyse-) Drama "A Dangerous Method".
Sebastian: Prachtvoll rausgeputzte Jahrhundertwende-Idylle über dem Zürichsee. Doch zwischen blühenden Apfelhainen schiebt sich eine dunkle Kutsche den Berg hinauf, in deren engem, plüsch-bespanntem Innenraum sich bereits ekstatisch ein dünner Frauenkörper windet. Keira Knightley, das Kinn in einer verzerrten Grimasse theatralisch weit nach vorne schiebend, durch ihre krampfhaft zusammengebissenen Zähne brüllend, befindet sich dem Weg in Behandlung. Carl Jung (mit stählernem blauen Blick: Michael Fassbender) wird sich mit ihr erstmalig in der Psychoanalyse versuchen. Angeregt durch Sigmund Freud, der hier als Alpha-Tier im Wiener Salon dicke Zigarrenstumpen pafft. Ganz bestechend graumeliert von Viggo Mortensen verkörpert.
Christian: "Eine Dunkle Begierde", wie der deutsche Verleihtitel lautet, erzählt vom Verhältnis dieser drei historischen Figuren zueinander, zeigt therapeutische Experimente und wie die fleischliche Realität die wissenschaftlichen Protagonisten einholt und stellenweise überwältigt...
GINI BRENNER ist Popkulturjournalistin, u. a. für Österreichs größtes Kinomagazin SKIP, und liebt das stabile Spannungsfeld zwischen Splatter-Porno, Hollywood-Blockbuster und Experimentalfilm. Prägendste Cronenbergs: „eXistenZ“ und „Crash“.
Gini: ... und vermag ganz nebenbei darzulegen, wie sehr sich unsere Welt, unsere Lebensrealität in den letzten 100 Jahren verändert und in vieler Hinsicht verbessert hat. Nicht, dass ich daran gezweifelt hätten, aber Cronenberg kriegt die Quadratur des Kreises des Kostümfilms (Welcher Zeitebene bleib ich treu: der erzählten oder der erzählenden?) mühelos hin, und präsentiert nicht „Charaktere“, sondern richtige Leute, die im Kontext des damals für sie gültigen Wertekatalogs so agieren, dass man sich nicht alle drei Minuten fragt „wtf?“
Sebastian: Körper, Sex und krampfhafteste Psychosen. Mit David Cronenberg an der Regie, könnte man fasst erwarten, es dauert nicht lange bis sich hier schleimig, raupenartige Fremdkörper aus dem Unterleib, der hier wieder adrett hochgeschlossenen Kneightly zwängen. Aber es kommt dann doch alles anders.
Christian: Ja, weil David Cronenberg einen Film vorlegt, der in eleganten, aber bewusst zurückhaltenden Bildern, diese Geschichte von Kontrolle und Kontrollverlust erzählt.
SEBASTIAN SELIG lebt im Kino und schreibt darüber in Magazinen wie Splatting Image oder Deadline. Mit Cronenberg fühlt er sich in der Herzgegend am engsten dank "Videodrome" und "A History of Violence" verwachsen.
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Sebastian: Gini, Christian, wart ihr enttäuscht hier Freud und Jung nur im angeregten Briefwechsel, nicht aber über eine blutige Nabelschnur verbunden zu sehen?
Gini: Nein. Erstmal war ich erleichtert, dass mir nicht fad war. Davor habe ich bei jedem Film nämlich am meisten Angst: Dass er es nicht zulässt, dass ich mich auf ihn einlasse, und die erzwungene Distanz sich in Langeweile auflöst. "A Dangerous Method" hat mich aber auf immer wieder überraschend verlässliche Cronenberg-Art reingesaugt und nachher bereichert wieder ausgespuckt. Und einen wohlgesetzten Blutstropfen gabs ja wenigstens.
Christian: Ich war auch alles andere als enttäuscht. Ich bin Cronenberg ja über die Jahre auf seinen Wegen gefolgt und habe selber eine ähnliche Entwicklung durchlaufen, von wüstem Genrekino und grellen Schocks hin zu Filmen, die das Genre nur mehr als Ausgangsposition für künstlerische Experimente benutzen. Und in diesem Sinn ist er für mich einer der spannendsten Regisseure geblieben. Sein Alterswerk, von "A History of Violence" über "Eastern Promises" bis jetzt zu "A Dangerous Method", ist fantastisch, da kommt keiner seiner Generation ran. Es geht noch immer um sein Schlüsselthema des Körpers, der über den Geist regiert, aber eben mit ganz anderen, weniger plakativen Mitteln. Für manche Fans sicher zu wenig plakativ.
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Sebastian: So glatt die Oberfläche, so mitunter oft zu klar und selbsterklärend was gesagt wurde, ich sah da ständig Körper kurz vor dem Aufbrechen. Selbst im Grunde ja einfache Bilder, wie das mit dem in Jungfrauenblut getauchten Segel-Boot, in welches sich Freud förmlich reinzwängen muss, gelingen unaufgeregt groß. Kino, als Versuchsanordnung. Ganz streng, dabei den mit weißem Kreidestift festgehaltenen Ausschlag eines altertümlichen Seismographen stets im Auge. Zu streng? Zu kalt? Zu beherrscht?
Gini: Kein Seismograph war das übrigens, sondern ein „Galvanometer“, eine Art Vorläufer des Lügendetektors. Eine dieser Maschinen gabs damals wirklich in Jungs Praxis, es ist aber keine erhalten geblieben - und so hat Cronenberg den ganzen riesigen hochkomplizierten Apparatus nach endlosen Recherchen schließlich neu bauen lassen. Dem Ding allein könnt ich schon stundenlang zusehen. So „cronenbergisch“.
Christian: Absolut. Und mir hat diese Zurückhaltung in diesem Fall auch sehr getaugt, ich habe die Strenge echt genossen.
Sebastian: In der Strenge liegt ja auch viel Kraft. Auch wenn ich mir manchmal schon gewünscht hätte, Cronenberg würde sich noch etwas mehr von der Geschichtsschreibung lösen und Dinge derart verdichten, dass auch mal was aufreißt. Tut es ja dann auch. Fast wäre ich sonst versucht gewesen vorzuschlagen, der Kamin bleibt dieses Mal kalt, lasst uns im Anbetracht dieses Films wohl besser einen Briefverkehr beginnen, doch dann glühte es ja doch noch groß unter den adrett aufgeschichteten Holzscheiten. Vincent Cassel kommt über die Mauer geklettert und ruft zu Unvernunft und Chaos auf. Seit ihr ihm gefolgt?
Gini: Ach, das mit der freien Liebe ist ja auch nicht mehr das, was es zu Otto Gross' Zeiten gewesen zu sein scheint. Keine weißen Flecken mehr auf der seelischen Landkarte, da hat der Freud ganze Arbeit geleistet ... Und Cassell - hm, gut ist der ja fast immer, wie gekonnt der sein Inneres für die Kamera nach außen kehrt und auf bad boy macht. Aber wenn ich an dem Film was bekritteln will, dann dies Typecasting.
Sebastian: Mir gefällt sehr, wie ruhig und traurig Cassel seinen Exzess angeht. Ein großer Auftritt, der letztlich selbst Fassbenders beherrscht nüchtern Blick knackt. Toll.
Christian: Ich liebte den Cassel-Auftritt natürlich auch. Seine größte Stärke entfaltet der Film für mich ja, wenn man sich auf ihn ganz persönlich als ernsthaften Diskurs über Liebe, Sex und dazugehörige Neurosen einlässt. Wer dazu eine gefestigte Meinung hat, wird vielleicht schnell eine eindeutige Position ergreifen. Wer aber, wie es mir eben geht, zwischen konträren Standpunkten pendelt, wird alle beteiligten Figuren verstehen. Und wenn in diesen Diskurs über Treue, Eifersucht und Moral dann Cassel alias Otto Gross als amoralischer Einflüsterer reinkommt, beginnt alles zu schwanken.
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Sebastian: Alleine drei große Filmförder-Institutionen in den Anfangscredits, herrschaftlich herrliche Landschaften, rausgeputzter Auststattungs-Bombast - man könnte also meinen: erhöhte Fernsehfilmkitsch-Gefahr. Gelingen da Cronenberg trotzdem große Bilder, Bilder, die richtig wie Kino und gar nicht wie Fernsehen aussehen?
Christian: Ich denke, der Film funktioniert vor allem auf der großen Leinwand. Wenn man ihn nur auf dem Bildschirm sieht, wirkt vielleicht wirklich manches zäh und einen Hauch bildungsbürgerlich, was es gar nicht ist.
Gini: Grad der Anfang. Wie sich eine Landschaftssilhouette plötzlich als Großaufnahme von mit Tinte auf rauem Papier geschriebene Worten zu erkennen gibt. So elegant und zurückhaltend und groß. Mit der Idee hätten andere einen halben Film gemacht. Und dann gleich volle Action mit der rasenden Kutsche.
Christian: Und er ist ja nicht nur streng. Eben diese Anfangsszene mit der Kutsche hat auch etwas leicht Schundiges, erinnerte mich an Klassiker der Hammer-Studios oder von Roger Corman.
Gini: Die Gretchenfrage dieses Films: Waren Keira Knightleys Anfälle wirklich gut gespielt oder ganz und gar nicht? Galt bei euch das Fremdschämen der Figur oder der Darstellerin?
Sebastian: Zu Beginn des Films habe ich mich schon bei der Frage ertappt, was hätte hier wohl Lars von Trier mit der guten Knightley angestellt? Wie sie sich da in krampfhafter Verzückung durch den Film windet, da sprudelte viel aus ihr raus, aber so richtig echt hat sich das für mich noch nicht angefühlt. Mit zunehmenden Verlauf wusste ich ihre kalten Ausbrüche dann aber immer mehr zu schätzen. Wuchs sie mir regelrecht ans Herz. Eine hagere Dronenkönigin, die sich mit großen dunklen Augen aus ihrem Kokon windet, bereit im ersten Hunger gleich mal das Männchen zu verspeisen. Schön.
Christian: Ich gehöre wohl zu den wenigen, die das vermeintliche Overacting nicht störte. Ich habe viele Dokumente ähnlicher Krankheitsbilder gesehen, für mich war das eine durchaus glaubwürdige Form der Hysterie. Wenn ich gemein sein darf, dann hat Cronenberg Keira Knightley wohl auch aus ganz physischen Gründen gecastet. Für mich hat sie, noch klischeehafter formuliert, auch schon in früheren Rollen gewisse Züge durchblitzen lassen, die sie für die manische Sabina Spielrein prädestinierten.
Gini: Das Lustige ist ja, dass dieser Film auf einem Theaterstück basiert, das wiederum auf einem Drehbuch basiert, das Peter Hampton ursprünglich für – no shit – Julia Roberts geschrieben hat. Die hat das dann aber abgelehnt. Komisch eigentlich ;-)
Christian: Julia Roberts, das muss ich jetzt erstmal verdauen.
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Sebastian: Wenn ihr jetzt abschließend den Blick noch einmal über den prachtvoll in der Sonne glitzernden Zürichsee schweifen lasst, wie bewertet ihr die knapp zwei Stunden auf der Couch? Was nehmt ihr mit?
Christian: Wie bereits erwähnt, abgesehen von den tollen Schauspielern und der erfrischenden stilistischen Reduktion, kippte ich vor allem in den Inhalt der ganzen Wortgefechte hinein. Hat Freud recht mit seinem Vernunftdiktat? Oder liegt der wesentlich zeitgemäßigere Jung mit seinem ganzheitlichen Ansatz, inklusive Esoterik und Grenzbereichen, nicht doch richtig? Würde man(n) nicht selber so verlogen wie Michael Fassbender agieren, auch 2011? Lässt sich die hemmungslose Leidenschaft, die Cassel progagiert, einfach ausleben oder ist nicht dieses Konzept auch längst gescheitert? Mir hat gefallen, wie der Körper die klugen Figuren dann doch beherrscht. Und wie sich, als Konsequenz dessen, gegen Ende dann auch ein Melodram aus der Strenge schält. Die Schlusssätze von Jung haben mich wirklich gerührt.
Sebastian: Von mir aus hätte die Begierde, diese dunkle, da ruhig noch sehr viel ungehemmter aus den Körpern bersten können. Gerade aus dem Jungs. Einen wahren Triumphzug hätte ich ihr da gegönnt. Ansteckend. Romantisch. Aber versteht mich nicht falsch, ich war durch die Bank fasziniert, sie hier immer wieder dank wundervoll gefährlicher Methoden überhaupt ganz nachdrücklich aus all den starren Körpern durchschimmern zu sehen. Keine Sekunde hat mich das gelangweilt.
Gini: Was ich vor allem mitnehme, außer der großen Freude darüber, dass mich manche Filmemacher nie enttäuschen, ist die Erkenntnis, warum es Cronenberg wichtig war, diesen Film zu machen. Warum er diese Geschichte so erzählenswert fand: Weil sie spannend ist und bis heute relevant. Und ich finde, er kriegt es großartig hin, den Geist einer Zeit zu vermitteln, in der eine erfüllte Sexualität kein selbstverständliches persönliches Ziel für Mann und Frau war, sondern eine fast absurde Vorstellung.
Christian: Ich danke euch für diese Plauderei!
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