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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

14. 11. 2011 - 11:08

Böser Gangsta, braver Gangsta

Der Integrations-Bambi für Bushido ist grotesk und genial zugleich. Und das deutsche Feuilleton entblößt in seiner reflexartigen Empörung die eigenen rassistischen Vorurteile.

Wie kann man nur?! Linkes wie rechtes Feuilleton in Deutschland sind sich ausnahmsweise einig: wie kann man nur jemandem wie dem AggroBerlin Gangsta Bushido einen Bambi verleihen – noch dazu einen für Integration. Hat er nicht gerade mit seinen Texten bewiesen, wie unintegriert er ist? Frauenfeindlich, homphob, kriminell, gewaltverherrlichend – ein "Ausländer", wie ihn sich Thilo Sarrazin nicht symptomatischer ausdenken hätte können? Und so einer bekommt einen Bambi – für Integration?

Grotesk

Es ist tatsächlich grotesk, aber ganz anders grotesk als sich das das Feuilleton zurechtempört. Zunächst einmal: was sind eigentlich die Bambis? Die Bambis sehen sich als die deutschen Unterhaltungs-Oscars, gestiftet und verliehen vom bürgerlich-konservativen bis -reaktionären Burda-Verlag (Bunte, Focus, Super-Illu), ausgerichtet vom staatstragenden öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD. Natürlich lechzen Veranstalter eines solchen Preises auch im Jahr 63 seines Bestehens nach Relevanz, und dazu braucht es nicht nur eine Hollywoodschauspielerin, die ausgezeichnet wird (heuer hatte Gwyneth Paltrow Zeit), sondern auch was Fetziges für die Jugend. Wie weit die Phantasie von Burda Verlag und ARD beim Thema Jugend reicht, zeigten sie mit der Einladung Justin Biebers und Lady Gagas, und auch Bushido sollte wohl irgendwie eine Zielgruppe abdecken, außerdem hat er wohl gerade ein neues Album zu vermarkten. Welcher Preis wäre also der Richtige für jemanden wie Bushido? Natürlich: ein Integrations-Bambi.

Gut gemeint

Jetzt sind Integrationspreise sicher irgendwie gut gemeint, sozusagen die positivistische Kehrseite des Sarrazinismus: anstatt wie Sarrazin über die verachteten Ausländer zu sprechen, die es nicht schaffen, unseren Vorstellungen von "Integration" zu entsprechen, sprechen wir lieber über die, die das hinbekommen. Die Vorbilder. Die Guten. Insofern zeugt es schon von einer gewissen Chuzpe, die man den Chefredakteuren des Burda-Verlages, die die Bambi-Jury bilden, aufs Erste gar nicht so zugetraut hätte. Denn mit Bushido zeichnet man jemanden aus, der damit berühmt geworden ist, das Bild vom Ausländer genau so zu bedienen, wie es den Sarrazinisten gefällt. Mit dem, was man sich landläufig unter dem Gegenteil von Integration vorstellt.

Geläutert

Nun, Bushido hat den Preis natürlich dafür bekommen, dass er in den letzten Monaten überall, wo er auftaucht, den Geläuterten mimt, den ehemals bösen Ausländer, der sich, auf dem Rücken seines Erfolges, jetzt dann doch zu integrieren gedenkt in die Bambi-Gesellschaft. Das muss man ihm nicht abnehmen. Und vielleicht war die Juryentscheidung ja wirklich genau so gedankenlos, wie das die Empörten von Rosenstolz bis Heino annehmen.

Es wäre aber auch interessant, der Entscheidung der Bambi-Jury einen Hintersinn zu unterstellen. Dann wären die Empörten nämlich der ausgelegten Bananenschale aka ihren eigenen rassistischen Klischees auf den Leim gegangen: denn sollte es sich im 21. Jahrhundert nicht langsam herumgesprochen haben, dass Künstler und Werk auch in der Popmusik zwei verschiedene Paar Schuhe sein können?

Gangsta-Bambi, Bambi-Gangsta

Man muss Anis Ferchichi nicht zutrauen, dass die böse Pose als reflektiert und gezielt in Szene gesetztes Kunstwerk gemeint war. Trotzdem kann man die Figur Bushido auch als jemanden sehen, in dem sich die Klischees der Mehrheitsgesellschaft als künstlerische Pose materialisieren, und damit Anis Ferchichi als jemanden, der es geschafft hat, auf den Rassismen seiner Landsleute eine veritable Musikkarriere aufzubauen.

Seiner Landseute, ganz recht, denn Bushido – und das ist der Treppenwitz der ganzen Geschichte – ist gar kein Ausländer: er ist in Bonn geboren und bei seiner allein erziehenden deutschen Mutter in Berlin aufgewachsen. Seinen tunesischen Vater hat er nie kennen gelernt. Aber wenn jemand aussieht wie er eben aussieht und Anis Mohamed Youssef Ferchichi heißt, dann presst ihn die Mainstreamgesellschaft eben in ihr Ausländer-Bild. Und wenn der dann das ihm aufgezwungene Bild gewinnbringend vermarktet, dann hat er für die Einen eben einen Integrations-Bambi verdient, und für die anderen sein Recht, als Künstler und vollwertiges Mitglied der Bambi-Gesellschaft angesehen zu werden, auf Lebenszeit verwirkt.