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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

13. 11. 2011 - 23:15

Journal 2011. Eintrag 205.

Schwall und Rausch. Ein Schwunder.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute: Schwunder.

Wie schon gestern erwähnt: es drängt mich.
Und dieses innere Drängen ist der einzige zuverlässige Parameter für die Bedeutung von Musik, so individuell zugeschnitten das auch sein mag.

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Es drängt mich seit dem ersten Vorab-Hören im Mai, als sich das, was der Nino aus Wien mit seiner Band da präsentierte gemeinsam mit dem damals ganz frisch anstehenden Ja Panik-Album "DMD KIU LIDT" im Licht einer kleinen Dylan-Forschung zu einem neuen Ganzen verband.

Es drängt mich einen Deut mehr als damals zu "Ja, Panik". Das hat damit zu tun, dass wohl schon "The Angst And The Money" diese grandiose Band definiert hatte, und das nachfolgende Album nur mehr für eine verstrebende Verstärkung sorgen konnte.

2

Beim Nino aus Wien verlief die Kurve anders.
Der in seiner scheinbaren Verschrobenheit so schlau versteckte junge Mann war in den letzten Jahren zwar als Gesamtkunstwerk auffällig geworden - das Opus Magnum war trotz aufnahmewütiger Rastlosigkeit aber nicht zu erkennen.
Ja, die zahllosen, sich in ihrer Differenz anschillerndern Einzelstücke, die vielen Singles, Spezial-Auftritte, Kollaborationen und Verästelungen hatten einen Mythos geschaffen, in dessen Schatten sich gut wirken lässt. Sowohl die "Ocelot Show" als auch "Down in Albern" waren/sind Skizzenbücher eines Jahrgangs.

3

Schwunder würde die Explosion sein, das war angesichts der beim Live-Spielen herausdrängenden Stücke klar. Dass sich hier einer, der seine Kunst gern hinter Kasperliaden verschleiert, als habe er die Biografie des jungen Dylan eintrainiert, als wolle er ein Gegenmodell zum jungen Heller abliefern, endlich entäußern wird. Als großer Wortschmied, als Poet, als mächtiges Schwert.

Wobei eines dabei sehr hilfreich war: die mittlerweile zur besten Band des Landes zusammengeschmolzene Einheit, die Supergroup "Nino aus Wien", Wukitsevits-David, Schreier-Paut-Paul und Sas-Rafael, allesamt selber Bandleader anderer Projekte. Und die Produktion von Patrick Sischka. Auf ihre Rolle komme ich noch zurück.

4

In dieser Sicherheit des Produktions-Prozesses schaffte es der Nino Mandl hinter der 'Nino aus Wien'-Figur erstmals nicht nur lose Stücke aneinanderzureihen und mit dem dauernden Auf und Ab zwischen hirnrissigem Spaß und unfassbarer Wahrhaftigkeit zu verstören.

Schwunder ist das erste komplett runde Nino aus Wien Ding, ein perfekter Kreis, mit leichter Hand hingezeichnet, mit wuchtiger Verve ausgefüllt und mit herbem Geist beseelt. Diese innere Dichte erinnert mich an einzelne Alben von Blumfeld oder Tocotronic, die besten, die die einen durchgehenden Subtext haben.

5

Über den verfügt Schwunder, weil Mandl sich selber die Ernsthaftigkeit zugestanden hat, die seine Texterei verdient. Das macht diejenigen, die nicht über den Oasch, den Johnny Ramone oder den Schlagoberskoch hinaus belästigt werden wollen, durchaus nervös - sich aber über genau diese fesselnden Erwartungshaltungen hinwegzusetzen, ist die erste Pflicht des Künstlers.

Und natürlich ist es auch in der Haberer-Szene im Haberer-Land unendlich gefährlich, zugewiesene Rollen zu verlassen, und sich womöglich auf neues Terrain vorzuwagen, das zusätzliche Beachtung ermöglicht.

6

Dass der Nino aus Wien der Bequemlichkeit dieser Szene-Forderung nach Redundanz widerstanden hat, ist schon grandios. Dass er und seine Band sich dann aber so weit in Bereiche vorgewagt haben, die einerseits Poetry Slammern, Lyrikern und Spoken Word-Künstlern und andererseits Retro-Rockern und Studiofexen vorbehalten sind, das zeugt von unerhörtem Mut und Selbstbewusstsein.

Der Sound, den Producer Sischka, Drummer Wukitsevits, Orgler und Gitarrist Sas und Bass- & Klarinetten-Mann Schreier für Schwunder hingelegt haben, ist weder sonderlich indie noch sonderlich experimentell, er sucht keine noch nie erlebten Reizpunkte, sondern den optimalen Transportriemen für die Texte. Es ist die Suche nach dem perfekten Rockklang.

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Die Geschichten, die der Nino aus Wien erzählt, sind nicht nur deshalb, weil sie eng an James Joyce orientiert sind, deutlich literarischer als vieles was unter Literatur firmiert, aber eigentlich bloß gut geschriebene Kolportage ist. Und wie bei allen großen Texten sind es bei den zwei, nein drei, nein vier, nein fünf, nein sechs, nein sieben Meisterwerken auf diesem Album so, dass fast jede einzelne Zeile bereits wieder der Nucleus eines neuen Stückes sein könnte, dass in jedem dieser Songs eigentlich zehn andere drinstecken.

8

Diese innere Ruhe und sichere Kraft macht aus Schwunder eine Wunderwaffe, ein erstauneneinflößendes Schwallwerk aus Schall und Rausch.
Dass es just von einem kleinen, gern vorgebeugt dastehenden Burschen mit Sportlatschen kommt, der am Rande der Sprachfehlerei banalanciert, macht die Bullies und die Profs fertig, aber den Bauch der Klasse glücklich. Dort, wo man weiß, dass es immer und immer wieder nur Originalität, Eigen- und Widerständigkeit, Freidenkertum und der ganz eigene Ansatz sein werden, die etwas Unerhörtes erzeugen, entzündet dieses Schwunder ein Licht in der Ödnis der Gleichförmigkeit. Und drängt mich.