Erstellt am: 14. 11. 2011 - 14:23 Uhr
Global Wasteland
Sitzenbleiben! Ich sage es ja immer: Abspann abwarten lohnt sich. Die Dokumentation "Taste The Waste" ist die aktuellste, die das Ende unserer Nahrungskette ins Kino bringt. Erwin Wagenhofer hat hierzulande mit seiner Doku "We feed the World" 2005 massive Bildungsarbeit geleistet, und Nikolaus Geyrhalter hat die Bilder gebracht, nach denen man alles satt hat. Was also kann und will uns der deutsche Regisseur Valentin Thurn nun mit seinem Film "Taste The Waste" berichten?
Eine kurze Videosequenz im Abspann bringt die gesamte Problematik in "Taste The Waste" auf ihre zwei neuralgischen Punkte: Armut und Mäßigung. "They are not homeless", erklärt eine Stimme aus dem Off, während junge Leute des nächtens bei Supermärkten nach weggeworfenen Lebensmitteln suchen. "It is a lifestyle solution they have made". Und es folgt die Dumpster-Regel: "Never take more than you need.".
Zwischen den amerikanischen Dumpsterern und nächtlichen Radausfahrten ihrer österreichischen Kollegen zu Beginn von "Taste The Waste" liegen Schauplätze rund um den Globus: Mülldeponien, Lagerhallen und Container. Es ist ein weltweites Wasteland, in das Regisseur Valentin Thurn führt. Man hat davon gehört. Doch man sollte es vor allem besuchen. Das geht mit "Taste The Waste" in eineinhalb Kinostunden ziemlich leicht.
W-film Distribution
Weg damit
Es ist eine systematische Entwertung von Lebensmitteln, die Supermärkte betreiben. Das hört man doch gerne. Aber der Handel ist nicht allein: Wenn der französische Supermarktmitarbeiter reihenweise unangetastete Joghurt-Multipacks aus den Kühlregalen räumt, muss man sich selbst an der Nase nehmen. Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist noch eine Woche entfernt und schon greifen KonsumentInnenhände nach den noch frischeren Packungen. Alt werden sie im Kühlschrank, dem "Familiengrab für Lebensmittel", sagt der Präsident der Slow Food-Vereinigung.
90 Millionen Tonnen Lebensmittel werfen die EuropäerInnen im Jahr in den Müll. Ähnlich gestaltet sich die Haushaltsführung in den USA und die Nahrungsversorgung in Japan, wie "Taste The Waste" zeigt. Das Auge bestimmt, was gegessen wird, weit seltener der Gaumen. Von der krummen Gurke in der Europäischen Union zur Banane aus Kamerun, vom frischen Ciabatta-Brötchen zum japanischen Hama Pork. "Der Handel hat keine Ahnung von Landwirtschaft", sagt Timothy Jones. Der amerikanische Anthropologe interessiert sich seit den siebziger Jahren dafür, was seine Landsleute wegwerfen, und was sie essen.
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Timothy Jones ist einer der Protagonisten in "Taste The Waste", die alle auf ihre Art und Weise nach Korrekturen des Systems Lebensmittelindustrie streben, das Tomaten auf den richtigen Rot-Ton scannt. Hier präsentiert "Taste The Waste" tatsächlich Neues: Die Dokumentation belässt es nicht im Aufzeigen all dessen, was im Argen liegt. Regisseur Valentin Thurn verzichtet in seinem jüngsten Film auf Erklärungen aus dem Off. Er zeigt Initiativen Einzelner, die greifen.
Inwieweit diese Aktivitäten Sinn machen, bleibt der Wertung des Zuschauers überlassen. Der Leiter der französischen Supermarktfiliale hat als eigene Konsequenz die "Zwei zum Preis von einem"-Angebote aus seinen Regalreihen verbannt. Und der deutsche Bäcker Roland M. Schüren macht aus Brotabfällen Pellets und heizt damit seine Bäckerei. Schüren schmerzt nicht allein die Vernichtung von Lebensmitteln: Zugleich schmeißt man auch Arbeitskraft weg. Zwanzig Prozent der Produktion unangetastet wieder aus den Läden zu holen und LKW weise auf den Müllplatz zu fahren - aus Sicht der Betriebswirtschaft eigentlich ein unerträglicher Zustand.
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Abgebrüht?
In Nikolaus Geyrhalters "Unser täglich Brot" wurden Küken am Fließband aussortiert. So viel Einblick mutet oder traut Valentin Thurn dem Publikum nicht zu. Valentin Thurn ist Regisseur vieler Fernsehdokumentationen. Ab der ersten Einstellung bestimmt eine Bildsprache, die einem vertraut ist und die nicht einmal den Versuch unternimmt, das Format einer Kinoleinwand für sich zu nützen. Den Mut, den Kamerablick darauf zu richten, wo die Lebensmittelindustrie Lebewesen systematisch züchtet und vernichtet, vermisse ich in "Taste The Waste". Dieses Ausklammern macht den Film erträglich. Man sieht zu bis zum Ende, wenn die Slow-Food-Teller leergegessen sein werden und ein Huhn im Dachgarten eines Brooklyner Hauses ein Ei gelegt haben wird.
"Ohne erhobenen Zeigefinger" berichte Valentin Thurn, verlautbart der Verleih. Das stimmt, denn Thurn ist ein mitteleuropäischer Konsument wie du und ich. Wenn eine junge Amerikanerin am Famers' Market in Tucson aufgeregt erzählt, dass sie zuvor noch nie "Greens" gegessen hat und erst lange nach einem Kochbuch suchen musste und eines aus den sechziger Jahren brauchbar fand, ist "Taste The Waste" am Kern angelangt: Menschen haben sich von ihren Nahrungsmitteln im Lauf der Zivilisation entfremdet. An dieser Stelle möchte ich zum Bücherregal greifen und wieder einmal den deutschen Soziologen Norbert Elias lesen, der diese Prozesse schon 1939 beschrieben hat.
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Vom Ferkel, das Sushi samt Plastikverpackung isst
Die ganz normale Pervertierung gipfelt in Japan. Nicht die Bilder schockieren, sondern die Argumentation. Lebensmittelabfälle werden in Japan zu Tierfutter verarbeitet und kommen als Endprodukt wieder auf dem Teller in Restaurants. "Hama Pork" hätte eine sehr gute Qualität, sagt ein Koch. Plastikteile und Bambusspieße fischt eine Arbeiterin in einer Verwertungsanlage in Yokohama aus den zerkleinerten Speiseresten, angereichert wird das Mischmasch mit Zusätzen, um die Bakterien im Zaum zu halten. Auf Augenhöhe begegnet man als ZuschauerIn dann kurz den Ferkeln, die das vorgesetzt bekommen.
"Fünf Millionen Tonnen Getreide weltweit werden angebaut, weil Speisereste in der EU nicht verfüttert werden dürfen", so eines der zentralen, wenigen Inserts. Die Schlussfolgerung spart der Regisseur und Autor Valentin Thurn aus. Fünf Millionen Tonnen, das entspreche der österreichischen Jahresernte. Wie viel ist noch mal eine Tonne?
Der Film zum Buch
"Taste The Waste" läuft seit 11. November in den österreichischen Kinos.
Die Hoch- und Aufrechnungen, die Thurn im Film anstellt, sind eine gründliche (Nach-)Betrachtung wert. Dafür gibt es das Buch "Die Essensvernichter: Taste the Waste - Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist". Geschrieben haben es Valentin Thurn und Stefan Kreutzberger, und Thurns Film ist der beste Teaser für den Lesestoff.