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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

18. 11. 2011 - 15:00

How To Find Your Blue Bird

Meine Empfehlungen für das Blue Bird Festival 2011: Von L/O/N/G bis Tunng.

Bei den großen Sommerfestivals können einem die Singer-Songwriter so richtig leid tun. Sie spielen irgendwann kurz nach Mittag, wenn viele Besucher noch ihren Rausch ausschlafen. Und wenn die, die sich vor die Bühne geschleppt haben, zu tuscheln beginnen, geht das meist zarte Spiel auf der Bühne völlig unter. Außerdem ist es noch hell und auch das drückt die Stimmung. Oftist es verlorene Zeit für alle Beteiligten.

Es gibt nur drei Tage im Jahr, an dem das alles etwas anders ist.

Blue Bird Kick Off:

23. September
mit Ezra Furman und Annakin, Haus der Musik

Vom 24. bis 26. November 2011 findet im Wiener Porgy & Bess das von der Vienna Songwriting Association liebevoll kuratierte Blue Bird Festival statt. Drei Tage, an denen die stille Musik dieser Welt eine Stimme bekommt, an denen Charts und Airplay keine Rolle spielen und das Erdige, Echte, Gefühlsbetonte, Leidenschaftliche im Rampenlicht steht.

Hier sind meine Empfehlungen für das beste Festival des Landes.

24. November: L/O/N/G (Ö/US)

Weitere Highlights am 24.11.:

Erland & The Carnival, Pascal Pinon, Budam und Mika Vember

"American Primitive" heißt das Debütalbum des spannenden Projektes L/O/N/G, das so etwas wie das Highlight des ersten Tages darstellt. Die Band besteht aus dem heimischen Beat-Bastler Rupert Huber, bekannt von Tosca-Ehren, und dem Walkabouts-Frontmann Chris Eckman. Eckman ist ein gern gesehener Gast beim Blue Bird, vor zwei Jahren war er bereits solo vor Ort. Dieses Jahr hätte es eigentlich mit den Walkabouts klappen sollen, aber deren Tourplan gestattet ein Wien-Gastspiel erst im Jänner.

Bis dahin ist L/O/N/G ein mehr als würdiger Ersatz: Bereits im September trafen sich Eckman und Huber in Wien, um für den Auftritt zu proben. Ein Work-in-Progress ist das Ganze: Huber ist bekannt für düstere Klangteppiche, zart eingesetze Piano-Passagen und knackende Beats - Eckmans Stimme wiederum ist wie ein schwarzes Teerloch, eine einzige Narbe, die Hubers Soundcollagen optimal ergänzt. Besonders Eckman fällt hier auf: Wer ihn von dem teils dreckigen Wüstensound der Walkabouts kennt, wird live einen im Anzug auftretenden Gentleman sehen - stilvoll, auf einem Barhocker sitzend, mit den Augen ins gleißende Licht blickend. Dahinter Visuals von Rupert Huber und Kurt Mayer. Ein düsterer Beginn, der uns da erwartet. Eine subtile Spannung aus Gegensätzen.

25. November: Dear Reader (ZA)

Weitere Highlights am 25. November:

Carla Bozulich's Evangelista, Rykarda Parasol, Wendy McNeill und Norman Palm

Cherylin MacNeil alias Dear Reader kann man recht schnell verfallen. Sie ist ähnlich zuckersüß wie ihre Songs und ihr neues, bisher bestes Album "Idealistic Animals" beinhaltet ein altes, aber immer noch bewährtes Konzept, das man bereits aus Fabeln kennt. Maulwurf, Fuchs, Giraffe und Kamel: Bei Cherylin MacNeil sind das nicht einfach nur Tiere, sondern Stellvertreter für menschliche Abgründe.

Die Songs von Dear Reader sind ungewöhnliche und melancholische Pop-Perlen. Musikalisch sind sie in Zuckerwatte eingebettet, unterlegt von engelsgleichen Chören, textlich erzählen sie von Tod, Trauer und philosophischen Fragen. Die Südafrikanerin MacNeil lebt seit einiger Zeit in Berlin, dort, wo man mit wenig Geld auch glücklich sein kann. Oder wie sie einmal formuliert hat: "Es gibt zwei Sorten von Menschen. Die eine ist immer mit allem zufrieden, die schlagen sich immer irgendwie durch. Und dann gibt es die andere Sorte, die immer nur jammert und sich fragt, warum alles schief geht. Natürlich gehöre ich zu dieser Gruppe, mit dem Rest meiner Freunde." Also bieten wir ihr doch auch die Freundschaft an.

26. November: Woodpigeon (CAN)

Ich verdanke der VSA ja einige Hörtipps, die ohne das Blue Bird nie zu mir gelangt wären, da diese Artists schlichtweg nirgends vorkommen. Letztes Jahr waren es die großartigen James Vincent McMorrow und John Smith. Letzterer bekam vom Publikum Standing Ovations. Und auch dieses Jahr kommt da eine Gruppe, die mich mitten ins Herz getroffen hat und sowas wie mein geheimer Favorit dieses Jahr ist. Erinnert auch daran: Es handelt sich um die kanadische Truppe Woodpigeon.

Woodpigeon

Woodpigeon

Kenner von Iron & Wine oder Belle and Sebastian werden sich freuen, denn die Gruppe aus Calgary macht unglaublich zarte, und dabei intensive, epische Songs, die gerne mal Titel tragen, die über zwei Zeilen reichen. Mit dem wirklich schönen Konzeptalbum "Songbook" gab die aus acht Leuten bestehende Combo ihr Debüt, von Album zu Album konnte sie sich steigern. Woodpigeon werden als die "Arcade Fire des Folk" bezeichnet, spätestens seit ihrem Meisterwerk "Die Stadt Muzikanten" ist ihnen dieser Titel auch sicher. Das Besondere ist hier der dramatische Aufbau, das Steigern und Pulsieren der Noten, die hymnenhafte Annäherung an die Vocals von Elliott Smith oder Nick Drake. Als Vorgeschmack der schöne Titel: "And as the Ship Went Down, You'd Never Looked Finer."

26. November: Asaf Avidan (IL)

Wer in diesem Jahr den nicht einfachen, aber durchaus berührenden Film "The Tree" mit Charlotte Gainsbourg in der Hauptrolle gesehen hat, dem wird der Soundtrack aufgefallen sein. Eine fragile Falsett-Stimme, androgyn, etwas gebrochen, schallte da aus dem Hintergrund der traurigen Mutter-Tochter-Geschichte über den Verlust des Vaters. Es handelte sich um den israelischen Songwriter Asaf Avidan, der mit seiner Gruppe The Mojos und seinem Album "The Reckoning" auch international auf sich aufmerksam machen konnte.

Besonders auffallend bei ihm ist die Stimme: Sie hat eine gewisse Unschuld, die man gerade im Folk-Genre nur selten hört: Sind es doch meist die gebrochenen Männer mit den kratzigen Stimmen, die ihr Seelenleid beichten. Hier ist alles flockig-leicht und doch schwer verdaulich. Ist man einmal reingekippt, gibt es kein Entrinnen mehr. Wie bei einem guten Film eben.

26. November: Tunng (UK)

Weitere Highlights am 26. November:

Flotation Toy Warning und Rae Spoon

Die Londoner sind so etwas wie der Headliner dieses großartigen Festivals: Tunng. In journalistischen Kreisen geistert für diese Musiksorte der Begriff "Folktronica" herum. Man sollte sich bei der Elektronikbastelei von Tunng allerdings nicht von Bezeichnungen ablenken lassen, hier sind nämlich wahre Könner am Werk. Mit ihrem Drittling "Good Arrows" gelang es Tunng in ihrem Keller Pop, Folk und Elektronik zu einem organischen Ganzen zu formen. Auch das Album "And Then We Saw Land" aus dem letzten Jahr enthielt allerlei melodische Experimente, etwa mit herrlichen Songs wie "Hustle". Das ist beschwingt, voller Leben. Überhaupt ist die Band ein wahres Gesamtkunstwerk: Cover, Booklet und Videoclips sind alle sehenswert, ihre Songs ohnehin ware Perlen in diesen früh zu dunklen Tagen. Ein würdiger Abschluss, i can't wait.

In diesem Sinne: Hope you'll find your Blue Bird somehow.