Erstellt am: 12. 11. 2011 - 20:57 Uhr
Journal 2011. Eintrag 204.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute: ein paar Nachforschungen zum Status des Musikjournalismus.
Da es mich diese Woche dazu gedrängt hat einen Text über ein einzelnes musikalisches Werk zu verfassen, musste ich mir die Frage gestatten, wann das denn zuletzt der Fall gewesen wäre.
Musik ist im Journal kein großes wiederkehrendes Thema, sie taucht da und dort in clubkulturellen, ökonomischen, gesellschaftspolitischen oder medientechnischen Zusammenhängen auf.
Seit Juni sind das ganze drei Geschichten.
Im Mai kamen einige Dylanologien dazu. Davor war es der Niedergang einer ehemaligen Leitkultur.
Trotzdem: Bildmedien-Themen sind weitaus häufiger.
Das ist für jemanden wie mich, der zwei Jahrzehnte seines beruflichen Lebens hauptsächlich mit der Aufbereitung avancierten Popmusik verbracht hat, erstaunlich.
Das hat nicht nur mit einer privaten oder gesellschaftlichen Fokus-Vergrößerung zu tun, sondern vor allem mit der Bedeutung des Musikjournalismus.
Wikipedia-Wissen als unübertretene Grenzlinie
In der prädigitalen Zeit musste der seriöse Musikjournalist über ein breit gefächertes Detail- und Geheim-Wissen verfügen, das heute in allen zugänglichen Wikipedia-Einträgen abgedeckt wird. Erst auf dieser Basis war dann weitere Forschung (mittels Interviews. Querverbindungen, Quellenanalyse) überhaupt möglich.
Heute wird dieses Basis-Wissen kaum jemals überschritten, weil Zeit und Ressourcen fehlen - und die sehr wenigen seriösen Kuratoren einzelner Felder bearbeiten ziemlich monokulturelle Äcker.
Diese Spezialisten sprechen ein bereits diversifiziertes Publikum an und erhalten ihre ökonomische Aufmerksamkeits-Währung durch weitere Spezifizierung.
Die Popkultur, auch die avancierte, ist so stark in den Mainstream gesckert, dass dort das reine Wikipedia-Wissen ausreicht.
Ein sich-für-alles-mit-Novelty-Feeling-zuständig-fühlen gibt es nicht mehr; kann es gar nicht mehr geben. Die wenigen Ausnahmen (vor allem innerhalb dieses Senders) bestätuigen die Regel. Und erst dieser Genre-Generalismus schafft ja eine Vertrauensbasis zwischen Kurator und Publikum.
Die zutiefst eingeschränkte Bedeutungsmächtigkeit
Die Bedeutungsmächtigkeit von Popmusik ist also nicht nur die die geänderten Produktions-Bedingungen, sondern auch durch gänzlich andere Rezeptionsbedingungen massiv eingeschränkt worden.
Pop ist Alltag, und deshalb achtloser Behandlung ausgesetzt.
Popmusik ist gratis und deshalb wertlos.
Die einzige Welt, in der die Bedeutung ungebrochen ist, ist die der Heranwachsenden, der frühen Teenager. Die bekommen auch weiterhin ihre zentralen Botschaften, egal ob von der Industrie oder der (womöglich aus Indie-Quellen gespeisten) Peer-Group: "Halte durch, alles wird besser!" lautet die eine, "Leb den Irrsinn, den du spürst, ruhig aus - später lassen sie dich das eh nicht mehr!", die zweite.
Das verbindet und verbündet sich dann mit Stücken, Sounds und Interpreten, die noch Verzückung hervorrufen, für Eruptivität sorgen. Im erwachsenenere Mainstream aber auch im erwachsenerem Alternative-Bereich (und der setzt heute schon bei zumindest 17 an) passiert das kaum noch.
Eruptivität und Verzückung als Äußerungs-Zwang
Für jemanden wie mich, der seit den 70ern bis tief in die 90er hinein sehr oft, in guten Zeiten mehrmals wöchentlich, von so einer Eruption erschüttert wurde - die ein Fundstück, dessen journalistische Bearbeitung dann eine notwendige, der Leidenschaft geschuldete Pflicht war, verursacht hatte - ist das eigentlich ein nicht hinnehmbarer Zustand.
Schätzungsweise gibt es heute deutlich mehr, und sicher auch nicht die schlechtere Musik als in den 80ern oder 90ern - allein die in dieser Ära deutlich erhöhte Wirkungsmacht macht den Unterschied.
Die mit ihrer Feenhaftigkeit auffallende Sängerin der Sugarcubes, der trotz seiner Verwirrtheit talentstrotzdende Voract der Subpop-Band TAD, der schlangenhafte Junkie-Frontman der Birthday Party - solche Figuren mehr oder weniger sprachraumexklusiv an ein interessiertes Publikum heranführen zu können war Schmiermittel für weitere Leidenschafts-Diskurse.
Das, was sich heute jenseits der Retro-Sounds zu entdecken lohnt, verfängt sich zunehmend im Dickicht der Sub-Genres.
Sinnstifter Regionalismus - und die Kuratierungs-Pflicht
Ich glaube dass darin auch der Grund für die gestiegene Bedeutung des Regionalen zu finden ist.
Wenn die großen globalen Sinnstifter wegbröseln oder zu Lachnummern verkommen, wenn die erfolgreichen Newcomer sich meist über ironische Formalspiele (Lady G.) definieren, dann kommt die Musik, die dich packt und dir das Gefühl gibt Geschichten die du gern erzählen würdest auch ausdrücken zu können, zunehmend aus dem engeren Kulturraum. Um das aktuell schwelende Grundgefühl in Österreich künstlerisch zu artikulieren braucht es die entsprechende kulturelle Erfahrung. Und die macht schon der Münchner Act nicht mehr.
Bis auf ein paar erratische Ausnahmen sind es deshalb wohl, bereits seit Jahren, hauptsächlich österreichische Acts, deren Musik mich packt und durchschüttelt und dazu bringt sie zu würdigen, wie ich das früher bei den Meat Pupperts, den Undertones oder Caspar Brötzmann tun musste, durch deren Musik quasi gezwungen wurde sie in meiner Ausstellungshalle zu kuratieren. Es ist kein Zufall, dass es mir meine österreichische Musik-Jahrzehntliste leichter fiel als die internationale.
Dass die umfassende, emotionale und freie Behandlung dessen, was von Menschen, denen man (es ist ein kleines Land) in der freien Wildbahn leicht begegnen kann, kommt, den rudimentären Resten des heimischen Musikjournalismus so schwer fällt, hat ähnlich (dämliche) Gründe wie dasselbe Phänomen im Film-Bereich und sagt wenig über die Musik und mehr über die Menschen des Landes und ihre Ängste vor ihrer eigenen Eruptivität aus.
PS: Morgen vielleicht dann doch etwas zum Anlass dieses kleinen öffentlichen Nachdenkens, zu "Schwunder" vom Nino aus Wien und seiner Band. Andreas Gstettner hat eh schon eine Menge erzählt dazu.