Erstellt am: 11. 11. 2011 - 23:38 Uhr
Fußball-Journal '11-125.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet wie 2010 auch das heurige Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit einem Blick auf das Euro-Barrage-Match zwischen der Türkei und Kroatien (0:3).
Ist es vermessen den österreichischen Fußball-Blick auf ein Spiel zu lenken, das bei der letzten EM für einen Viertelfinal-Krimi sorgte? Nein. Und das nicht nur deshalb, weil das damalige Match im Wiener Happelstadion, der Heimat des ÖFB stattgefunden hat, sondern weil es sich hier um zwei Gruppen-Zweite der letzten Quali-Campaign handelt. Und genau dort will man hin: zumindest Zweiter will man werden, am besten schon in der WM-Gruppe für 2014.
Interessanterweise ist Kroatien in der Tabelle der Gruppenzweiten ganz vorne dabei, die Türkei hingegen letzter.
Gegen die Türken hatte Österreich (unter Wettkampfbedingungen) einmal nicht die geringste Chance und fand das anderemal überhaupt kein Mittel. Kroatien probte im Mai 2010 in Klagenfurt gegen Österreich einiges aus, legte dabei keinerlei Wert auf ein Resultat und gewann trotzdem, knapp aber klar.
Die beiden Teams sind also weit weg.
Die Türken natürlich auch, weil sie Guus Hiddink haben, einen der weltbesten Trainer überhaupt, einen echten Aufbauer und Erschaffer, der den komplex organisierten, in viele Stämme zerfallenden türkischen Fußball erst einmal dazu bringen musste an einem Strang zu ziehen. Dort leidet man nämlich unter der Krankheit, die Spanien früher hatte: es reichte den meisten im Viertel (also beim Verein) der King zu sein.
Kroatien hat aus anderen Gründen einen riesenhaften Vorsprung: wegen der langen Tradition, was Spieltechnik, gezieltes Coaching und auch teaminternen Zusammenhalt betrifft. Der hat wiederum mit der langen Legionärs-Geschichte der Ex-Yugo-Kicker zu tun; und wenn man weiß, dass man sich über die Nationalmannschaft quasi automatisch fürs Ausland empfiehlt, dann pflegt man diese Möglichkeit.
Jetzt zum heutigen Match:
Für die Play-Off-Matches hat Hiddink, der ruhige Sir, wieder einmal einiges verändert in seinem Kader: er schöpft ja seit jeher aus einem 35er-Pool, lässt kaum jemals einen Stein auf dem anderen.
Slaven Bilic, der immer noch bubenhaft wirkende Rocker, der am heutigen Abend mit einem schicken Hauberl Charme versprühte, hat auch viel experimentiert, verfügt aber über einen harten Kern: Pletikosa (der auch spielt, wenn er nicht in Form ist), Šimunić, Ćorluka, Srna, Dujmović, Modrić, Mandžukić, Rakitić, Olić...
Das Spiel startet quasi mit einem 0:1 - Corluka und Olic überraschen eine zögerliche Abwehr.
Das spielt Bilic' heutigen System natürlich in die Karten: eer lässt ein engmaschiges 4-5-1 spielen, Mandzukic ist hinter Olic, der vordersten Spitze, zurückgezogen, stößt aber ebenso wie Modric immer wieder blitzartig vor, rechts bohrt Srna den Gegner (den gefährlichen Hakan Balta) mürbe, links sind Corluka und Rakitic sehr präsent.
Und so kontert Kroatien die Türkei recht gefällig aus - blitzartiges Umschalten bei jeder Balleroberung, schnelles Spiel in die Spitzen, die - wegen der hohen Beweglichkeit - immer andere sind.
Der erstaunliche Zerfall in alle Einzelteile
Das erinnert den geübten Beobachter massiv an das U21-EM-Qualispiel von gestern, an die bulgarische Leistung gegen überforderte Österreicher. Wobei die Rolle der ÖFB-Junioren Hiddinks Türken zufällt.
Erstaunlicherweise klappt da das ziemlich ähnliche 4-5-1 nämölich gar nicht. Hamit Altintop, der hinter der echten Spitze Burak Ylmaz hängt, hat nämlich im Gegensatz zu Mandzukic überhaupt keinen sinnhaften Zug nach vorne. Die sonst starke linke Seite mit Hakan Balta und Arda Turan ist zwar oft am Ball, wird aber von Srna wundgespielt, die rechte (mit Sabri und Gökhan Gönül) existiert einfach nicht.
Das Zentrum können weder Emre noch Selcuk Inan ordnen und die Abwehrzentrale (Ociray und Egemen) steht viel zu eng zusammen, die außen drängen immer beide vor - so ist man stetig offen für wildes Konterspiel.
Dass es nicht schon zur Halbzeit 0:3 steht, ist verwunderlich.
Hiddink hat sich bei seinem Marschbefehl offensichtlich etwas gedacht, allerdings findet sich am heutigen Abend kein einziger Akteur der etwas davon umsetzen kann.
Wie immer, wenn in einem noch nicht allzu lang gefestigtem System (und Hiddink ist erst seit August 2010 da) eine kleine Katastrophe eintritt, fällt man in alte, verheerende Muster zurück. Im Fall der Türkei ist das die Grüppchenbildung nach Vereinen, unterstützt wird das durch die Zuschauer, die im Ali-Sami-Yen-Stadionvonm Galatasaray den Fener-Tormann Volkan Demirel niederpfeifen, der sich daraufhin nur mit höhnischer Gestik zu helfen weiß. Worauf die Hölle losbricht. Und man die Hoffnung fahren- und das Aufbäumen vermissen lässt.
Rückfall in die innere Emigration der Lahmlackeligkeit
Genau daraus lässt sich für Österreich eine Menge lernen.
Zum einen sollten sich alle genau anschauen, wie das Team, das selber zweimal ohne Chance hinterliess, gegen einen nur leicht stärkeren Gegner einbricht.
Zum anderen ist der Einbruch und der Rückfall in älteste Muster ein Warnsignal für eigene Tendenzen in dieser Hinsicht. Auch im österreichischen Spiel gibt es so einen Moment: wenn eine gegnerische Mannschaft Dominanz erzielt und die Österreicher von jeglicher Torgefahr freihält, dann gibt das ÖFB-Team innerhalb von fünf Minuten klein bei und zieht sich in eine innere Emigration zurück, die sich wie ein beleidigter Andreas Herzog anfühlt: lahmlackelig.
Das ist ein seit mehr als einem Jahrzehnt existierendes Muster, ein Erbe der Polster-Generation, das diese - aufgrund der Tatsache, dass man eine mittelalte, recht gute Legionärstruppe mit Routine war - noch überspielen konnte; weil man aus diesem Loch dann irgendwie doch rauskam. Ihre Nachfolger dann nicht mehr.
Die brechen regelmäßig weg - wie heute abend die Türken, die wieder in ihre schlimme Zeit, ihre 80/90er zurückfiel.
Um das zu verhindern, bedarf es einer Toolbox, die Marcel Koller jetzt systematisch auffüllen muss; weil seine Vorgänger da genau nichts hineingegeben haben.
Dass selbst ein Genie wie Hiddink in einem entscheidenden Spiel trotz richtiger Strategie an einer weniger gelungenen Personal-Auswahl (und auch seiner heute erstaunlich schwachen Reaktionsfähigkeit) scheitern kann, sollte ein Warnzeichen sein: jetzt alles an Koller allein abzuladen, wie das von jenen, die bislang nichts unternommen haben, eingefordert wird, reicht nicht.