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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

12. 11. 2011 - 19:00

FM4 Charts vom 12. November

„Resistenzen und Antikörper“

Es kommt ja nicht oft vor, dass Bundesregierungen auf die aktuellen Erkenntnisse und Forschungsstände dessen achten, was die meisten von uns als „Wissenschaft“ schätzen. Die Wissenschaft hat sich im Zuge der Aufklärung aufgeschwungen, empirisch oder im Experiment, analytisch jeden Aspekt des Lebens zu erforschen und damit die Dogmatik der Religion abgelöst.

Überall?

Nein, nicht überall. Nach wie vor gibt es, gerade wo es um das Zusammenleben und Wirken von Menschen geht, in manchen Bereichen Probleme mit der sogenannten „Wissenschaftlichkeit“. Mit dem Schenkelklopfer „Was willst Du werden? Wirtschaftswissenschaftler? Nun, du musst dich schon entscheiden, beides geht nicht!“ wäre eine der letzten Bastionen von Religion und Aberglauben auch schon umrissen.

So hat erst künstlich Maria Fekter 5 „Experten“ aller „Glaubensrichtungen“ eingeladen über Schuldenbremsen und Sparpakete eine Ökumene abzuhalten. Am Start war für die Markt-Taliban ausgerechnet die FPÖ-Vertreterin Barbara Kolm vom ultra-neoliberalen Hayek-Institut, bei der Gelegenheit durfte die Vertreterin der Partei „des kleinen Mannes“ gleich mal zeigen, was man bei den Markt-Fundis so gerne vertritt: Etwa die Rücknahme des letzten Anti-Teuerungspakets (und damit weniger Familienbeihilfe, höhere Steuern auf Medikamente, empfindlich weniger Spitalsbetten, etc.). Just also lauter Punkte, die die FPÖ (federführend beim damaligen Anti-Teuerungspaket) vor 3 Jahren noch ganz vorne auf ihren Fahnen hatten. Aber natürlich agiert auch die mir nachvollziehbarere Religions-Gemeinschaft der gemäßigten Keynes-Protestanten strikt nach Lehrbuch, so meldete der für die SPÖ verhandelnde AK-Ökonom Markus Marterbauer Bedenken zur Schuldenbremse an, hätten wir so eine Bremse bereits 2008/2009 im Verfassungsrang gehabt, hätte uns damals jegliche Möglichkeit der Rezession antizyklisch zu begegnen gefehlt – und die erste Wirtschaftskrise (ausgelöst von Banken und dem Finanzsektor) uns wesentlich härter getroffen. „In der Krise sparen macht alles nur schlimmer“, schreien die einen, „Nein, niemand kann auf Dauer mehr ausgeben als er hat“, schreien die anderen.

Es geht also bloß darum welche „Richtung“ einem näher ist, als Kind aus 3 Generationen Kommunisten und Sozialdemokraten tickt man natürlich anders, als ein Spross einer Bankdirektoren-Dynastie in den Weinbergen Grinzings. Es geht also auch und vor allem mehr um Interessen denn um Fakten. Mit Wissenschaft hat das, bei aller Liebe zu meiner Disziplin, was aktuell in Sachen Weltwirtschaft passiert leider nur mehr ganz am Rande zu tun.

Aber darum geht´s mir heute ausnahmsweise gar nicht.
Denn auch anderswo regiert der Aberglaube. Oder noch schlimmer: Die als Hausverstand getarnte Geist- und Wissensfeindlichkeit.

Erstes Beispiel: Die Bildungspolitik. Wer einmal mit einem Experten über all die Dinge sprechen durfte, die in unseren Schulen schieflaufen – und nach aktuellem Forschungsstand sofort verbessert werden könnten – möchte eigentlich nur mehr weinen. Aber es geht fast noch schlimmer:

Zweites Beispiel: Die Drogenpolitik
Während quer durch alle politischen Glaubensrichtungen die wissenschaftlich-empirische Erkenntnis, dass der sogenannte „Krieg gegen Drogen“, vor über 30 Jahren von den USA im Kampf gegen „Neger- Mexikaner- und Chinesendrogen“ begonnen, bei dem vor allem unbeteiligte Zivilisten und Suchtkranke auf der Strecke bleiben, mit Vehemenz gescheitert ist, wird von Seiten der meisten Regierungen die Strategie von Kriminalisieren-Dämonisieren-Nicht differenzieren weiter gefahren.

Die global agierende Drogenmafia kann mit Gewinnspannen von an die 1000% (!) jährliche Zig-Milliardengewinne einfahren, ganze Terrorgruppen finanzieren sich mit Drogengeld, die Mafia hat eine nie gekannte Stärke und Arbeitsteilung erreicht. Auch Wien spielt dabei seine Rolle. Währenddessen sind die US-Gefängnisse voll mit Konsumenten, ganze Landstriche werden in Südamerika mit Pestiziden vergiftet, Privatarmeen haben nach Kolumbien nun Mexiko in den Bürgerkrieg gerissen und Bürgerrechte werden außer Kraft gesetzt.

Zu lösen wäre diese Spirale aus Geld, Gewalt und noch mehr Geld und Gewalt, auf dem Rücken von Zivilbevölkerung und Suchtkranken, nur mit einem Paradigmenwechsel. Also der Straffreiheit von „weichen Drogen“ wie Cannabis (die de facto auch in Österreich längst eine Volksdroge sind und mit der tatsächlich harten Droge Alkohol bei keiner Gefährdung mithalten können) – damit der Trennung der Märkte – und, als letzten Schritt, der kontrollierten Abgabe ALLER Drogen an Süchtige.

So gut wie alle namhaften Wissenschaftler, von bürgerlich bis links-fortschrittlich, sind sicher, dass nur so ein Ausweg aus der Misere zu finden ist.

Und dennoch ignoriert die Politik all diese wissenschaftlichen Standards.

Und während die USA Cannabis-Konsumenten künftig nun auch dann einsperren kann, wenn sie etwa in Holland einen durchziehen, oder BM Mikl-Leitner wider des Common Sense erklärt „Cannabis sei ein gefährliches Suchtgift und eine Einstiegsdroge“ – demaskiert sich in Deutschland die komplette Idiotie der Debatte: Als die Linke kürzlich, mehr oder weniger ungeschickt, die „Freigabe aller Drogen, also auch Kokain und Heroin“ ins Parteiprogramm malte, brach in allen anderen Fraktion das Ende des Abendlandes aus. Sogar die hochseriöse Tageschau konnte nicht umhin, die Partei somit als „nicht ministrabel“ zu bezeichnen – als Meldung, nicht als ausgewiesener Kommentar.

Dabei meinten Gysi und Co allerdings ziemlich genau, was etwa auch der in Sachen linkslink unverdächtige Peter Michael Lingens in seinem aktuellen Buch „Drogenkrieg ohne Ausweg“ fordert – nämlich die kontrollierte Abgabe an Süchtige, nicht die völlige Freigabe.

Durchaus also ein zukunftsweisender Paradigmenwechsel.
Doch aktuell hat noch der Hausverstand das Sagen.
Mit dem Schielen auf Boulevard und Stammtisch müssen wohl noch etliche Opiatkranke auf den Straßen verrecken, sich prostituieren, stehlen, ihren Arbeitsplatz verlieren, unter schrecklichsten Schmerzen „krachen“, sich Hepatitis C holen und sich als Abschaum der Gesellschaft bezeichnen lassen.
Nicht etwa weil sie krank sind – sondern weil sie vermeintlich schwach sind.

Und auf Schwache steht eine Gesellschaft und ihre Politik, die sich als Anwalt der „Leistungsträger“ bezeichnet nun mal nicht so besonders.

Im Übrigen glaube ich, dass es hilfreich wäre, wenn alle Innenminister künftig verpflichtet würden, sich bei Amtsantritt zumindest die erste Staffel „The Wire“ komplett anzusehen.
Damit die Resistenz endlich besiegt wird – wo immer sie noch steckt.

Und damit noch „shortly“ zu den Charts:

Da ist oben – fast – alles neu, die Drums schaffen es diesmal mit „How It Ended“ auf Rang 3.
Platz 2 geht in dieser Wertungswoche an die Neon Indians und „Polish Girl“.
Und doch keine Veränderung gibt es an der Spitze: Die neue, alte Nummer 1 von FM4 heißt „Your Loft“ und kommt von Death In Vegas feat. Austra!

Eines feines Wochenende und Toi toi toi!