Erstellt am: 11. 11. 2011 - 13:06 Uhr
"Kaum Gründe, die Dinge zu belassen, wie sie sind."
Donnerstag Abend endete die Einschreibfrist für das "Volksbegehren Bildungsinitiative", das seit schon seiner Ankündigung unter großer medialer Beobachtung stand. Knapp 400.000 Unterschriften bedeuten, dass sich der Nationalrat nun mit den Forderungen des Volksbegehrens beschäftigen muss.

APA/ROBERT JAEGER
Joanna Bostock hat mit Michael Tölle, einem Bildungsexperten der Arbeiterkammer, über seine Einschätzungen zum Ergebnis und die Folgen des Volksbegehrens gesprochen.
Joanna Bostock: Die Arbeiterkammer hat sich genau angesehen, wo das Bildungsvolksbegehren wie viele Unterschriften bekommen hat. Es gibt da ja auch regional große Unterschiede. Warum scheint Ihnen das wichtig?
Michael Tölle: Wir haben gesehen, dass die Beteiligung in Wien mit fast 9% doch deutlich über dem Schnitt liegt. Allein hier haben also über 100.000 Menschen unterschrieben. Einer der Gründe ist sicher, dass viele Eltern hier spüren, man sollte im Bereich Schule etwas ändern. Wir wissen aus Untersuchungen, dass gerade in Wien sehr viel Geld für Nachhilfe aufgewendet wird. Und die Eltern fragen sich natürlich, warum muss ich nach einem anstrengenden Arbeitstag noch die Hausaufgaben mit meinem Kind machen, für Schularbeiten lernen oder jemanden bezahlen, der das übernimmt. Wofür wir als Arbeiterkammer eintreten, ist eine Schule, wo alle Kinder die gleichen Chancen haben, egal ob die Eltern jetzt viel oder wenig verdienen. Das darf nicht daran scheitern, dass man die finanziellen Mittel nicht hat, um die Nachhilfe zu bezahlen.
Bei Volksbegehren gibt es immer viel Diskussion über die genaue Zahl der Unterschriften und wie man das beurteilen kann. Das Bildungsvolksbegehren ist mit seinen knapp 380.000 Unterstützern - verglichen mit früheren - sozusagen im Mittelfeld gelandet. Die einen sagen jetzt, das ist ein Erfolg, die Gegner des Volksbegehrens bezeichnen es als Bauchfleck. Geht es jetzt wirklich so um diese Zahlen?
Man sollte nicht die Zahl allein in den Vordergrund stellen. Man muss schon sagen: an die 400.000 Unterschriften sind schon ein herzeigbares Ergebnis. Hätte jeder unterschrieben, der irgendwie mit Bildung zu tun hat, wären das aber natürlich noch viel mehr gewesen. Es ist aber das vom Ergebnis her erfolgreichste Volksbegehren zum Thema Bildung in der Zweiten Republik. Das Volksbegehren hat aber vor allem auch eines bewirkt - und das war der Grund, warum die Arbeiterkammer es auch offiziell unterstützt hat - es hat "Bildung" zu einem sehr starken Thema gemacht. Die Diskussion in den letzten Monaten, dieses Aufzeigen, wo braucht es Reformen, wo müssen wir ansetzen, wo können wir unser System optimieren und verbessern, das hat sehr viel an öffentlichem Bewusstsein geschaffen. Und natürlich müssen wir jetzt sehr darauf achten, dass diese fast 400.000 Stimmen auch einen Effekt haben, und dass das Bildungsvolksbegehren mit all seinen Punkten auch ausführlich im Parlament behandelt wird. Das werden wir als AK auch tun.
Sie haben gerade von der Diskussion gesprochen, die von diesem Volksbegehren ausgelöst wurde. Davon sprach auch Hannes Androsch, einer der Initiatoren, in der "Zeit im Bild" gestern, dass damit dieses Thema ins Zentrum gerückt worden wäre. Auf der anderen Seite wurde kritisiert, dass die Forderungen schon sehr vage und sehr breit waren. Wird dieser Schwung der Diskussion, jetzt wo das Volksbegehren abgeschlossen ist, anhalten?
Ich würde sagen, es war ein sehr anspruchsvolles Volksbegehren. Es hatte auch für sich selbst den Anspruch, möglichst viele Themen abzubilden und möglichst viele Punkte anzusprechen. Das ist aber jetzt auch ein Auftrag. Es wurde von fast 400.000 Österreicherinnen und Österreichern unterschrieben, und der Nationalrat muss sich jetzt damit auseinandersetzen. Eben nicht mit ein, zwei, drei Punkten, sondern mit allen zwölf. Was wir seitens der Arbeiterkammer hier jetzt wollen, ist, dass es einen eigenen Ausschuss gibt, der sich ausschließlich diesem Bildungsvolksbegehren widmet. So dass jeder dieser Punkte intensiv diskutiert wird. Wir wollen dort ein Experten-Hearing und dass das auch öffentlich gemacht wird, dass der ORF diese Sitzungen zum Beispiel live überträgt.
Wäre das nicht etwas neues, ein eigener Parlaments-Ausschuss als Reaktion auf ein Volksbegehren?
Es gibt zu jedem Thema im Parlament Ausschüsse, zum Beispiel auch einen für Unterricht. Aber wir denken, dass wir speziell dafür einen eigenen Ausschuss brauchen. Aufgrund der Bedeutung des Themas Bildung und wegen des Rückenwindes, den das Thema durch das Volksbegehren gewonnen hat.
Wäre das dann eine Möglichkeit, die einzelnen Punkte detaillierter zu behandeln? Das reicht ja thematisch von den Arbeitsbedingungen von Kindergartenpädagogen bis hin zur Universitätsfinanzierung?
Absolut. Ein Punkt des Volksbegehrens war ja auch, dass man die Kindergärtner und Kindergärtnerinnen auf einem anderen Niveau ausbildet. Das bedeutet ja auch, dass sie nachher mehr verdienen müssen. Und das sind natürlich Fragen die zu klären sind: Woher nimmt man dieses Geld? Wer finanziert das? Das Volksbegehren muss im Detail behandelt und diskutiert werden. Und all diese Fragen, wie Dienstrecht, Besoldungsrecht, werden natürlich schwierige Fragen sein. Aber die Sache ist eben schwierig, und dem muss man sich stellen.
Sie haben die Forderungen der Arbeiterkammer ja bereits umrissen. Wie zuversichtlich sind Sie denn ganz persönlich, dass es zu bedeutsamen Reformen kommen wird?
Reformen brauchen ihre Zeit. Natürlich muss man schauen, dass die, die entscheiden, auch mitmachen und diese Reformen vorantreiben. Ich bin optimistisch, dass das Volksbegehren hier einen ganz wichtigen Beitrag leistet und wir in absehbarer Zeit auch die Bildungsreformen voranbringen, die uns als Arbeiterkammer wichtig sind. Wenn ich da einige Punkte herausgreifen darf, dann wären das der Ausbau der ganztägigen Schulen, eine gemeinsame Schule bis zum Ende der Schulpflicht, mehr öffentliche Mittel für die Erwachsenenbildung und mehr Mittel für die Universitäten und Hochschulen. Das sind zentrale Punkte, wo wir sehr schnell handeln müssen, damit wir die Missstände die es momentan gibt, beheben. Und Österreich ist eines der wohlhabendsten Länder dieser Welt, also es gibt kaum Gründe, die Dinge so zu belassen, wie sie jetzt sind.