Erstellt am: 12. 11. 2011 - 13:23 Uhr
Lieder aus dem Heizkörper
Es gibt Filmemacher, Musiker oder Literaten, die einen zwischendurch immer wieder einmal inspirieren. Und es gibt Lebenskünstler, denen man sich auf gewisse Weise verschreibt, die ständige Begleiter bleiben, auch wenn sie sich auf besonders verschlungene Irrwege begeben.
David Lynch ist für mich so ein Fall. Ganz egal etwa, wie sektenhaft der amerikanische Regiegroßmeister in den letzten Jahren in Sachen transzendentaler Meditation unterwegs war und damit sein Image beschädigte, seinem überwältigenden Schaffen kann das meiner Meinung nach gar nichts anhaben.
Lynch hat nicht nur als Filmemacher einen völlig eigenständigen, obsessiven und hochartifiziellen Kosmos geschaffen. Auch als Maler, Zeichner, Fotograf oder Möbeldesigner überschreitet er weiterhin die Grenzen zwischen sämtlichen kreativen Domänen. Die restriktiven und dämlichen Schranken zwischen Hochkultur, Avantgarde, Pop und Trash hat das Multitalent ohnehin immer ignoriert.
PIAS
Musik spielte immer eine ganz zentrale Rolle in Lynchland. Wobei ich nicht nur an die fantastischen Soundtracks denke, die der Regisseur meist seinem kongenialen Kollaborateur Angelo Badalamenti verdankt. Oder an die Songs von Roy Orbison, David Bowie oder Chris Isaak, die an Schlüsselszenen seiner Filme auftauchen.
Sondern auch an Stücke, bei denen David Lynch höchstpersönlich als Textautor oder gar Sänger in Erscheinung getreten ist.
Ganz besonders gespenstisch wirkt dabei bis zum heutigen Tag einer der ersten Tracks, bei denen der Mann textlich und kompositorisch seine Finger im Spiel hatte. Singen tut das gruselig schöne "In Heaven" in Mr. Lynchs Spielfilmdebüt "Eraserhead" aber eine kleine, mit Geschwüren bedeckte Dame, die im Heinzkörper des einsamen Protagonisten wohnt. "Im Himmel", singt die Lady In The Radiator, "da ist alles in Ordnung" und wir glauben ihr kein Wort.
Nach einem durchaus eindringlichen musikalischen Lebenszeichen mit dem Projekt BlueBob in der letzten Dekade, zusammen mit dem Komponisten John Neff, und seiner Mitarbeit an dem Dangermouse-Allstar-Album "The Dark Side Of The Soul", legt Lynch nun sein Albumdebüt vor.
"Crazy Clown Time" heißt das Werk des 65-jährigen Pop-Newcomers. Wer nach der Vorabsingle "Good Day" erwartete, der Spezialist für seelische Abgründe würde jetzt meditativ geschult den Tanzboden beschreiten oder gar ein esoterisches Entspannungsalbum befürchtete, wird eines Besseren belehrt. Diese Musik klingt einhundertprozent nach David Lynch.
Und das vom großartigen Opener an. Wenn die famose Karen O von den Yeah Yeah Yeah's in "Pinkys Dream" zu elektronifiziertem Rockabilly den Mond anheult, dann tauchen schon die ersten Bilder im Kopf auf. Man sieht förmlich die übersteigerten Outlaws aus Filmen wie "Wild At Heart" oder "Blue Velvet" dazu tanzen, in verrauchten Bars am Stadtrand, in enge Schlangenledersakkos gehüllt. Die Farbe Rosa faszinierte den Regisseur schon immer, mal als Stereotyp der kindlichen Idylle, dann in sleazy Nightclub-Szenarios.
Nach dem erwähnten, durchaus optimistischen Dancefloor-Ausflug "Good Day", zu dem in meinem Kopf der nette, alte Herr aus "A Straight Story" mit dem Traktor durch den Sonnenschein tuckert, wird es nachtschwarz. Lynchesk eben, bis zum Anschlag.
Stücke wie "So Glad", "The Night Bell With Lightening" oder das Titelstück "Crazy Clown Time" in denen Mr. Lynch himself via Vocoder und Effektgeräten den (nicht nur) amerikanischen (Alb-)Traum beschwört, bewegen sich mit ihren verhallten Twang-Gitarren im klassischen Terrain des Großmeisters. Hier spürt man förmlich, wie kitschige 50er-Jahre-Familienidyllen zu perversen Horrorszenarien des Begehrens und der Eifersucht mutieren. "I'm so glad you're gone", greint David Lynch im minimalistischen Abschiedsdrama, "please don't come back." Man glaubt ihm jedes Wort.
"Noah's Ark" erweist sich als nocturnes Glanzstück des Grauens, immer wieder repetiert der singende Regisseur zunächst bloß den Satz "I know a song to sing on this dark night" zu verschleppten Beats. Eine Art Trip Hop aus der Hölle, aus dem sich keuchend die Zeile "it's the song of love" schält. Natürlich eignet sich diese geschmeidig produzierte Noir-Musik in ihrer Laszivität auch fürs Schlafzimmer, im Lynch-Universum kuscheln Liebe, Sex und Tod ja ständig unter dem dunkelblauen Samtlaken.
"Stone's Gone Up" ist mit seinen Gänsehaut-Akkordwechseln zu Bumm Bumm-Beats ein weiterer Höhepunkt, schattseitige Romantik, die auch in den wunderbaren Film "Drive" des Lynch-Schülers Nicolas Winding Refn passen würde.
Man wünscht sich dazu eine Bar in den frühen Morgenstunden, in der sich die Spiegelkugel langsam unter sich umklammernden Liebespaaren dreht, überall roter Plüsch, verschmierter Lippenstift, Tränen, ganz große Gefühle, "Crazy Clown Time" tönt aus der neonfarbenen Jukebox. Zuhause, im einsamen Motelzimmer, spielt die Musik dann weiter, im Heizkörper singt eine Frau. "So tired of fearing, send me an angel, save me." Dieser Electro-Blues will sich in dein Herz einnisten.
Fazit: Kein hohles Vanity-Projekt eines gelangweilten, abgetakelten Filmemachers. Und nicht bloß ein Album für unbelehrbare Fans, die jeden Furz ihres Idols abfeiern. "Crazy Clown Time" reiht sich äußerst würdevoll ins Oeuvre des Multitalents David Lynch.
ABC Television