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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

19. 11. 2011 - 12:52

Militainment

Warum sind Military-Shooter wie "Battlefield" oder "Call of Duty: Modern Warfare 3" so erfolgreich?

Es ist schwierig, als Spielkulturinteressierter kritische Worte zu den alle Verkaufsrekorde brechenden Blockbuster-Spielen "Modern Warfare 3" oder "Battlefield 3" zu äußern. Zu oft bekommt man Beifall von denen, die auch ohne eigene Argumente oder Erfahrung a priori gegen die angeblich amok-induzierenden "Killerspiele" wettern. Von Spielerseite selbst wiederum wird Kritik reflexhaft mit dem Lieblingsargument "Ist doch nur ein Spiel" abgeblockt.

Drum eins vorweg: Nein, es geht hier nicht darum, der Frage auf den Grund zu gehen, ob das Spielen von Military-Shootern die Spieler gewalttätiger macht - alle Untersuchungen sagen bisher das Gegenteil. Es geht nicht um die Frage, ob das Klicken der Maus mit dem großen Wort "Töten" überhaupt in Verbindung gebracht werden sollte - einen Gegner im Spiel zu "töten", ist moralisch definitiv unverfänglicher, als Eier aus Käfighaltung zu kaufen. Es geht nicht um die Frage, ob Kinder negativ beeinflusst werden - denn diese Spiele sind, wie etwa Pornografie, ohnedies zu Recht meist erst ab 18 Jahren erhältlich.

Battlefield 3

EA/DICE

"Battlefield 3": Optisch maximaler Konfliktrealismus, "realistic squad tactics" - aber vorsichtshalber ohne potentiell verstörende tote Zivilisten.

Ein Kritikpunkt, der von all diesen bekannten und stets aufs Neue stattfindenden Diskussionen unberührt bleibt, ist vielmehr ein gesellschaftlich-kultureller. Es ist die Tatsache, dass Popkultur - und somit auch Spiele - als Werbezweig der globalen, großteils US-amerikanischen Rüstungsindustrie genutzt wird. Und die Verkaufsrekorde zeigen: Militainment rules.

Bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg kooperierte das US-Militär mit der Traumfabrik Hollywood, um die Bevölkerung patriotisch auf den Krieg einzustimmen. Erst zu Zeiten des Vietnamkriegs kühlte das Verhältnis wieder ab, doch unter Ronald Reagan, zu Zeiten des kalten Krieges und des "Reichs des Bösen", kehrte mit Filmen wie "Top Gun" oder "Rambo 2" fast reine Militärpropaganda auf die Leinwände zurück. Aktuell nutzt das Pentagon Blockbuster wie die "Transformers"-Reihe, um Militär und Rüstungsindustrie zu bewerben.
Die interaktive Animation "Operation Hollywood" gibt einen sehenswerten Überblick.

Militarisierung der Zivilkultur

Die "Einbettung" von Reportern in kämpfende Truppenverbände, die konstante Flut an (kontrollierten) Bildern soll seit den Kriegen des 21. Jahrhunderts den "guten", präzisen Hochtechnologiekrieg populär machen - der von George W. Bush ausgerufene "War on Terror" hat dabei für die nach dem Ende des Kalten Krieges verzweifelt nach neuen Absatzmärkten suchende Rüstungsindustrie den entscheidenden Vorteil, dass er wohl kaum zu Ende gehen kann. In der medialen Dauerkriegsberichterstattung sowie in der Populärkultur ist Krieg alltäglich und allgegenwärtig, wird die meist männliche Faszination für Waffen und - eben - die "Modern Warfare" gezielt geschürt.

Modernste Militärtechnologie wird in Blockbustern wie "Transformers" ebenso unhinterfragt glorifiziert wie andere, zivile Konsumprodukte, etwa Autos oder Lifestyle-Gadgets. Interaktive Medien bieten hier lediglich weiterreichende Möglichkeiten: "America's Army", der vom Pentagon produzierte und äußerst populäre Team-Shooter, wird dezidiert als Werbemittel und Rekrutierungsinstrument genutzt, "Kuma War" lässt seine Spieler reale Ereignisse aus den Nachrichten im Egoshootersetting nachspielen - aktuell "Gaddafi's Last Stand". "Warco" wiederum soll als Kriegsreportersimulation die Entstehung realer Fernsehbilder aus Konfliktregionen darstellen.

Modern Warfare 2

Infinity Ward/Activision

Kriegsästhetik wie aus den TV-Nachrichten, Realismus der Technik: Drohnenkrieg in "Modern Warfare"

Postmodern Warfare

Besondere Faszination gilt stets der Authentizität, dem "Realismusgrad" der dargestellten Konflikte - allerdings nur in Bezug auf die Technologie, die militärische "Hardware", die atmosphärische Erfahrung des High-Tech-Kriegers des 21. Jahrhunderts. In anderen Bereichen ist's mit dem Realitätsanspruch nicht weit her: Zivilisten fehlen traditionell auf den digitalen Schlachtfeldern. Jüngst erst argumentierte Patrick Bach, Produzent von "Battlefield 3", dass durch das Leeren der Kriegsschauplätze von Zivilisten den Spielern die Möglichkeit genommen werden sollte, diese zu massakrieren - was nur zu medialer Aufregung führen würde. Somit "simuliert" das ambivalente Genre der virtuellen Soldatengeschichte trotz aller Realitätsbeteuerung nur ein zensiertes, steriles Bild realer Konflikte. Da diese Konflikte zusätzlich vorwiegend in weniger entwickelten Erdteilen stattfinden, sitzt die sarkastische Bemerkung Gus Mastrapas in seiner Satire "The Future History of Games Journalism" umso besser, wenn er ein "Call of Duty: Shooting Brown People III" herbeifantasiert.

Während es im Medium Film den Sinnspruch gibt, dass jeder Film, der realistisch vom Krieg erzählt, ein Antikriegsfilm sei, ist eine solche Differenzierung zumindest in Bezug auf die aktuelle Generation von Shootern hinfällig. Die kontroversiellen und mäßig erfolgreichen Ansätze, die Infinity Wards "Call of Duty"-Reihe in diese Richtung zumindest in der Kampagne zeigte, sind auch schon wieder lange her. Als 2009 Atomic Games mit "Six Days in Fallujah" tatsächlich ein Spiel ankündigte, das realistisch von den Kämpfen im irakischen Fallujah im Jahr 2004 handeln sollte, machte Publisher Konami nach ersten kritischen Medienreaktionen einen Rückzieher - anscheinend traute man sogar im eigenen Haus dem jungen Medium einfach nicht zu, auch differenziertere Sichtweisen zu ermöglichen.

Mit "Battlefield 3" und "Call of Duty: Modern Warfare 3" sind auch heuer wieder zwei Military-Shooter ganz oben im Rennen um das Weihnachtsgeschäft. Bei beiden zählt für Millionen Fans hauptsächlich der Multiplayer-Modus, beide sind mit Millionenaufwand produzierte, auf Hochglanz polierte und mit gewaltigem PR-Aufwand beworbene Triple-A-Titel. Technisch perfekt und spielerisch ausgewogen, bieten sie, grob vereinfacht, letztlich mehr oder weniger taktische, virtuelle Versionen des bei Kindern allen Alters beliebten "Räuber und Gendarm" - im Gegensatz zu eher anspruchsvolleren Militärsimulationen wie "ARMA" oder "Operation Flashpoint". Sie sollen Spaß machen, aufregend sein, und das gelingt ihnen auch. In Verbindung mit dem eigenen Anspruch auf möglichst großen "Konfliktrealismus" ist allerdings genau das auch problematisch.

Six Days in Fallujah

Atomic Games

Angekündigt, dann eingestellt: "Six Days in Fallujah". Zu realistisch für Markt und Spieler?

Und vor allem: Laaaangweilig!

Dass ausgerechnet Military-Shooter ihre Fans zu Militaristen machen würden, wird niemand ernsthaft behaupten. Vielmehr sind sie ein Mosaikstein in einer von Kriegsbildern ohnedies überfluteten Populärkultur, von TV-Nachrichten mit ausführlichen Kriegsreportagen über Hollywood-Produktionen bis hin zu Kinder- und Erwachsenenspielzeug. Beide Titel sind wohl nicht direkt von "der Rüstungsindstrie" finanziert, doch sie schwimmen mit auf der Welle des allgemeinen Militainments. Dass ein riesiger miltärisch-popindustrieller Komplex mit Filmen und Spielen, mit seiner Ästhetik und Sprache, mit seinem Behaupten eines immer größeren "Realismus" letztlich den realen Krieg als Pop-Konsumprodukt verharmlost, ist ein Faktum, das hin und wieder durchaus auch von Spielern selbst hinterfragt werden sollte.

Die US-Dokumentation "Militainment Inc." beleuchtet auch die Verknüpfungen zwischen Militär und Games-Industrie; Kollege Glashüttner hat sich letztes Jahr anlässlich der wiederkehrenden weihnachtlichen Military-Schwemme ebenfalls Gedanken zum Thema gemacht...

"Battlefield 3" und "Call of Duty: Modern Warfare 3" sind für PC sowie PS3 und Xbox360 erschienen.

Denn die Verkaufszahlen zeigen: Die Werbemillionen, die die Faszination am virtuellen Krieg auf Leinwand und Konsole am Leben erhalten, verfehlen ihre Wirkung nicht. Das ist aus den oben genannten Gründen bedenklich, aber auch aus banal spielerischen: Inhaltlich und spielmechanisch beschränken sich die Topseller trotz ihrer Qualität nämlich seit Jahren darauf, durch Grafikpracht ("Battlefield 3") und immer aufwendigere Inszenierung (Modern Warfare 3") von der spielerischen und ästhetischen Innovationsarmut abzulenken. Inhaltlich ist sowieso sogar maximal C-Movie-Niveau angesagt; das ganz harte Macho-Gehabe der Hauptfiguren in der Kampagne von "Modern Warfare 3" nimmt Charlie Brooker im Guardian dann auch gemeinerweise zum Anlass, den Titel spöttisch "the most homoerotic tale ever created in any medium, including Frankie Goes to Hollywood videos" zu nennen.

Modern Warfare 3

Infinity Ward/Activision

"Call of Duty: Modern Warfare 3": Wenig spielerische Innovation, dafür umso mehr Michael Bay und Tom Clancy.

Natürlich ist auch im Shooterbereich anderes möglich: Große Multiplayer-Spielelegenden wie "Unreal Tournament" oder "Team Fortress" kamen ohne Military-Realismus aus; First-Person-Spiele wie "Portal" oder "Amnesia" verzichten ganz auf militärisches Beiwerk; Shooter wie "Bioshock" und "S.T.A.L.K.E.R." verpacken ihre Action in fantasievolle und originelle Settings fernab der vorgeblich realitätsnahen Schauplätze in Afghanistan oder im Irak.

Realer Krieg, so weit sind sich Spieler und Nichtspieler garantiert einig, ist furchtbar. Das virtuelle Militainment, mit seinem ewig gleichen militärischen Hightech-Zauber, mit seinen eindimensionalen, pubertären Tom-Clancy-Fiktionen von harten Männern und harten Entscheidungen, mit seiner ästhetischen und inhaltlichen Ideenarmut ist es nur bedingt wert, gegen Nichtspieler auf Dauer verteidigt zu werden.