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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

9. 11. 2011 - 22:00

Journal 2011. Eintrag 203.

Kuratiering und andere Gebote der Stunde.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute: die Zukunft des Journalismus liegt im Kuratieren.

Unlängst, im New York Times-Zusammenhang habe ich auf medialdigital, eine deutsche New-Media-Site verwiesen. Nur um dort dann ein paar Tage später einen Vortrag vorzufinden, den die Seiten-Betreiberin Ulrike Langer kürzlich beim BR hielt. Das ist nicht die erste Langer-Keynote, die ich höre oder lese; und trotzdem erzählt sie nicht dasselbe, sondern entwickelt ihre Thesen kontinuerlich weiter. Das mag ich. Und deshalb bekommen Langers fünf Thesen zur Zukunft des Journalismus hier ihren Raum.

These 3 ist an die Verleger gerichtet und lautet: Webportale müssen offen sein.

Klar: Netz kommt von Vernetzen, wer seine Links nicht nach draußen setzt hat das System nicht kapiert, Netzangebote werden durch Verlinkungen nicht geschwächt, sondern gestärkt.

Da sind die User in ihrem Denken wesentlich weiter. Die haben eher mit These 4 ein Problem: Journalismus ist ein Prozess, kein Produkt.

Im angloamerrikanischen Raum sind die Errata Pflicht. Klasse-Medien posen der nächste Ausgabe gern mit den Verbesserungen der vorigen. Eine solche Irrtums-Kultur gibt es hierzulande kaum, es gilt als Zeichen der Schwäche.
Die fluide Veröffentlichungs-Form im Web schmeißt das auf den Misthaufen der Geschichte: die Weisheit des Nutzer-Schwarms verbessert potentiell jede Geschichte.

Ich nehme in jeder Geschichte nach ihrer Veröffentlichung zahlreiche Korrekturen vor, jeden Tag. Manch Geschichte von Mitte September wird bis heute verbessert: "Journalismus ist ein offener Prozess, der um so mehr von dieser Öffnung profitiert, je mehr Nutzer ermutigt werden, sich konstruktiv daran zu beteiligen." sagt Langer, durchaus im Wissen, dass die alte Web 1.0-Community sich in Destrultivität erschöpft und deshalb gerne so tut als wäre die aktuelle Version der Veröffentlichung final.

These 5 heißt Mehr Mut zu journalistischen Experimenten und ist ein frommer Appell, der die Blogger unter den Journalisten ermutigt. Sie seien Lückenfüller im besten Sinn. Das führt uns dann wieder zu der kürzlich besprochenen neuen Rolle des Journalisten was unternehmerisches Denken betrifft.

Die interessantesten Punkte sind die Thesen 1 und (vor allem) 2:

These 1: Journalisten sind keine Hohepriester am Altar der Wahrheiten und des Weltgeschehens.

Das waren sie, vor allem im 20. Jahrhundert, per selbstdekretierter Innensicht, per Selbstüberschätzung
Seit sich der vierten Gewalt, den Medien, eine kritische Netzgemeinde als fünfte Gewalt hinzugefügt hat, ist das vorbei.
Das ist per Akklamation, also durch schiere Selbstermächtigung passiert, und wird wohl deshalb vom Journalismus so bekämpft - da will ein Stand ein (virtuelles) Alleinstellungsmerkmal nicht teilen.
Deshalb auch der oft kindische Unterton in den einschlägigen Debatten.

Jemand, der einen wichtigen Wikipedia-Eintrag redigiert oder per Twitter ein Ereignis erstvermeldet, ist wesentlich bedeutender als jeder Journalist.

Deshalb wird eine der bisher zu kurz gekommenen Aufgaben des Journalismus immer wichtiger: die Informationsflut zu kanalisieren. Und zwar nicht unter Ausschließung von Social Media, auch nicht durch Überbetonung von gefühligen Nicht-Nachrichten - Langer fordert "das Beste herausfiltern, den Wahrheitsgehalt überprüfen, und die Inhalte für andere Nutzer verständlich aufbereiten".

Denn These 2 sagt: Kuratieren ist das Gebot der Stunde.

Das ist ein Vergleich, der klassische Journalisten zusammenzucken lässt. Ein Kurator zu sein, da sträubt sich was, da fließt zu viel Interpretation, zu viel Richtungsweiserei zu viel Meinungs-Vorgabe mit.

Mag sein.
Trotzdem sind komplexe Sachverhalte da deutlich besser aufgehoben als bei reinen Transporteuren.

FM4-Redakteure und Moderatoren etwa sind es gewohnt ihre Bereiche und Genres zu kuratieren. Weil Musik, Kunst, und die vielen anderen Bereiche in denen Innovation eine Rolle spielt, immer schon deutlich mehr an Erklärung bedurften; und weil man das eben leisten muss, als Medium, das diese Themen zuerst hat.

Mittlerweile sind auch die scheinbar simplen Nachrichten aus Politik, Ökonomie, Gesellschaft oder Sport so vertrackt, verschachtelt und in ihrer Komplexität nur mit der Herangehensweise eines Kurators sinnvoll darstellbar.

Der Kurator sammelt was das Thema an interessantem hergibt, stellt verschiedene Gesichtspunkte und Sichtweise zusammen und gibt im besten Fall noch einen kritischen Input dazu. Und verschafft so seinem User/Leser/Hörer/Seher einen Wissensvorsprung.

Durch die neue Macht des Netzes und seiner vielfältigen Informationsdichte braucht es vor allem diesen neuen Typus des Journalisten: den kuratierenden Zusammendenker.

Zum Schluß noch eine Social-Media-Beratung in Gag-Form

Witzige Social-Media-Graphik

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