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9. 11. 2011 - 15:37

Ein kluges Delirium

Justin ist nicht Justin, genauso wenig wie Britney die Britney ist, und dieser Serge Gainsbourg da schaut dem großen Franzosen auch nur zum Verwechseln ähnlich. Lauter Doubles hier – eben: lookalikes – in Thomas Meineckes gleichnamigen neuen Roman.

von Fritz Ostermayer

Justin ist nicht Justin, genauso wenig wie Britney die Britney ist, und dieser Serge Gainsbourg da schaut dem großen Franzosen auch nur zum Verwechseln ähnlich. Lauter Doubles hier – eben: lookalikes – in Thomas Meineckes gleichnamigen neuen Roman.

Der Mann namens Britney jobbt wie seine Doppelgänger-KollegInnen in einer Modelagentur, die sich auf Stardoubles spezialisiert. Da er wie auch Shakira, Greta Garbo, Elivs, Marlon Brando über viel Tagesfreizeit zu verfügen scheint, stecken diese 2nd-Hand-Celebrities andauernd ihre weltbekannten Köpfe zusammen und verstricken sich dabei in Theorie-Gespinste, die jedem Philosophieseminar zur Ehre gereichten.

Thomas Meinecke

Wolfgang Lückel

Thomas Meinecke

Die falsche Greta liest natürlich den als extrem schwierig geltenden Philosophen Jaques Lacan, nichts darunter bei Meinecke. Freundin Shakira ist hingegen eher vom berühmten Foto Lacans im luxuriösen Pelz fasziniert. Und so schnell kann man nicht schauen/lesen, da hyperventiliert der Diskurs auch schon über geschlechtliche Machtfragen anhand von Echt- und Kunstpelz, Ike & Tina Turner, Amanda Lear und schwarzer Panther auf Roxy Music-Plattencover, Erika Badus nubischer Noblesse und Leni Riefenstahls Faszination für das Volk der Nuber usw. usf. ad libitum. Es ist ein großes Sitz- und Redetheater, das da abgeht, bevölkert von – wenn schon nicht – Sprechpuppen, so zumindest Denkfiguren, immer aber Stellvertretern.

Verhandeln statt handeln

Die Bezeichnung Roman für dieses dekonstruktivistische Spiel der Gedanken ist leicht irreführend, würde man herkömmliche Romankriterien wie einen narrativen Strang oder das allmähliche Entwickeln von Figuren einfordern. Muss man aber nicht: statt gehandelt wird halt verhandelt, und zwar – wie immer bei Meinecke: Fragen von Sex, Race, Gender und überhaupt Identität, die als Subjekteingrenzung, also als das, was wir einmal „Ich“ genannt haben, angeblich eh längst nicht mehr existiert. Also Doppelgänger hin oder her: Ich ist in Lookalikes nicht einmal mehr ein anderer, „Ich“ hat sich im schier endlosen Hirnschwurbel poststrukturalistischer Diskurse einfach in heiße Luft aufgelöst.

Doch dieser Verlust ist gar nicht so schlimm, eher schon komisch: „Man ist verleitet, Britney heute Abend Güther zu rufen, der Name, auf den sie von ihren Eltern, de facto von ihrem Onkel, Pastor im Thüringischen, getauft wurde.“
Das System Pop und dessen Ausweidungswut von Allem ist die Folie, auf die sich sämtliche Protagonisten/Wortspender einigen können. Darüber und darunter blubbern unzählige Subsysteme, deren Namen selbst wieder neue Stil- und Denkschubladen aufmachen. Namen wie Le Corbusier, Architektur-Ikone, Alexander McQueen, Mode-Ikone oder Jaques Lacan, die Psychoanalytiker-Ikone als Totalverweigerer jeder praktischen Vernunft und des Alles-verstehen-Müssens.

Auf Seite 182 des Buches finde ich ein herrliches Zitat Lacans, das auch mich davon befreit, alles in und an Lookalikes verstehen zu müssen. „Jaques Lacan bekommt am 29. Oktober 1974 eine Frage gestellt.
Ihre Écrits sind sehr dunkel, sehr schwierig. Jemand, der seine eigenen Probleme verstehen will, wenn er sie liest, ist zutiefst verwirrt, fühlt sich unwohl. …
Meine Éctrits, ich habe sie nicht geschrieben, damit man sie versteht, ich habe sie geschrieben, damit man sie liest. Das ist ganz und gar nicht dasselbe.“ Bingo!

Suhrkamp

Und als wäre das noch nicht genug Futter für Denkschaffe und Spekulation, taucht im Roman auch noch eine Schriftstellerfigur namens Thomas Meinecke auf, die sich als Goethe-Institut-Stipendat im brasilianischen Bundesstaat Bahia auf die ethnographischen Spuren des 1986 verstorbenen Dichters Hubert Fichte macht. Jetzt prasseln zum Namedropping-Gewitter auch noch Voodoo-Magie, afrokatholische Geheimriten und unaussprechliche Orte auf uns ein, und eine Referenzhölle tut sich auf, die alles verschlingt: Durchblick,

Reflexion und die sieben Zwetschken, von denen ich dachte, dass ich sie eben noch beisammen hat. Lookalikes wird zu einem Ocean Of Words, zu einem gedruckten Pendant des von Meinecke so geschätzten Ocean Of Sound ohne Anfang und Ende, wird uferlos und nicht mehr von einem zum anderen Ende durchschwimmbar.

Der Autor liest im Rahmen der Lesefestwoche/Buch Wien am Donnerstag (20h) im Wiener Phil. Fritz O. wird ihn dabei mit Fragen nerven, und Herr Tex Rubinowitz legt dazu Schätze aus seiner geliebten Doo-Woop-Singlesammlung auf. Runde Sache das.

Sprudelprosa

Das Tolle an Meineckes obsessiver Sprudelprosa ist aber genau das: dass hier einer in Fragen des Begehrens auf ozeanisches Denken und Fühlen setzt, auf einen prinzipiellen Endlos-Mix von Reflexion und den die Reflexion stets begleitenden Grooves. Übel meinend könnte man das auch postmoderne Beliebigkeit schimpfen, aber da übersähe man doch die Poesie einer solch additiven Auflistungs-, Vernetzungs- und Algorithmus-Prosa, die sich zurecht hier auch auf Hubert Fichte beruft und dessen literarischen Vorliebe zur reinen Benennung.

Irgendwann habe ich mich aber trotzdem ergeben und nur noch ziellos im Buch treiben lassen - einmal mich dem Techno/House-Strudel überlassend, dann wieder auf der Queerness-Welle reitend - und aufgegeben, alles mit allem in Verbindung bringen zu wollen. Das macht eh Thomas Meinecke - ziemlich einzigartig sogar: weil sowohl manisch, wie es einem obsessiven Fan zusteht, als auch analytisch, wie es sich für einen diskursiven … ähmn … Popmodernen gehört.

Nennen wir "Lookalikes" einfach ein kluges Delirium. Und ein Delirium muss man ja nicht unbedingt verstehen ... oder doch, Monsieur Lacan?