Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Keep Walking!"

Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

9. 11. 2011 - 11:36

Keep Walking!

Wien bekommt einen Fußgängerbeauftragten. Ich finde das gut.

Letzte Woche hatte ich schreckliche Zahnschmerzen. Ich habe alles versucht, um sie zu bekämpfen. Ich nahm Schmerzmittel. Ich presste einen Eisbeutel an meine Backe. Nach alter bulgarischer Tradition wickelte ich eine in Traubenschnaps eingeweichte Watte um den kranken Zahn. Nichts hat mir geholfen. Der einzige Weg, um den Schmerz zu vergessen, war ein langer Spaziergang. Wien ist eine Stadt, die sich sehr gut zum Spazierengehen eignet.

Falls ihr meine Kolumnen verfolgt, dann wisst ihr, dass ich ein leidenschaftlicher Fußgänger bin. Das Spazierengehen ist die einzige Möglichkeit, auf die ich alleine mit mir selbst bleiben kann. Da können wir beide, Ich und Ich, miteinader in Ruhe reden. Denn in meiner Wohnung ist es zu eng. Ich wohne mit zu vielen Leuten zusammen und jeder hat immer seine eigenen Probleme. Es stellte sich außerdem heraus, dass das Spazierengehen einen heilenden Effekt hat. Während des Gehens wurde der Schmerz langsam vom Gehsteig aufgesaugt. Das, was ich an Wien am meisten mag, sind seine wundervollen Gehsteige.

Paar geht im Prater spazieren, Weg ist überschwemmt

APA/ Georg Hochmuth

Während ich wie verzaubert durch die Gegend ging, prallte ich mit dem Kopf gegen einen Baum. Das ist jetzt gar nicht lustig. Dieser Baum stand irgendwie unnatürlich mitten auf dem Gehsteig. Wien ist eine Stadt aus Stein und Bäume sind selten zu sehen. Wie ich gerade auf diesen verflixten Baum gestoßen bin, bleibt mir ein Geheimniss. Die Ergebniss war, dass ich zu meinem schmerzenden Zahn ein schmerzender Kopf dazukam.

Und jetzt komme ich zu dem Hauptpunkt meiner Kolumne. Wien soll bald einen Fußgängerbeauftragten bekommen. Ich lese die Meinungen über diesen Posten in verschiedenen Internetforen, wo alle dagegen sind. Er würde nichts bringen, das sei eine reine Geldverschwendung. Das stimmt gar nicht. Wien und ich brauchen einen Fußgängerbeauftragten! Ich bin ein so verantwortungsloser Fußgänger, dass ich einen Chef brauche. Nicht, dass ich Vorgesetzte mag, ich habe stets versucht, sie zu vermeiden. Aber ich brauche jemand, der über mich wacht. Jemand, der alles im Vorhinein genau einschätzt, der statt mir denkt. Das Zufußgehen, mag auf dem ersten Blick einfach erscheinen, ist es aber nicht!

Schneefall in Wien

APA

Meine Mutter sagt ständig zu mir: “Mit acht Monaten bist du zum ersten mal gegangen, ganz gelernt hast du es aber nie!“ Mit acht Monaten die ersten Schritte zu machen, ist sehr früh für die meisten Babys, erzählt sie weiter. Ich habe wenig Ahnung von Babys, aber meine Mutter hat Recht. Es passiert mir oft, dass ich immer den längsten, oder den hügeligsten Weg nehme. Ich komme immer zu spät und ende oft in Sackgassen. Als ich erfuhr, dass es einen Fußgängerbeauftragten geben wird, wurde mein ganzes Dasein von Hoffnung ergriffen! Endlich jemand, der mir beibringen kann , wie ich am besten mein Ziel erreiche. Und meine Mutter wird endlich zufrieden mit mir sein.

Ich hoffe, dass der neue Fußgängerbeauftragte mir genau sagen kann, wie ich in Wien spazierengehen soll. Wie einer, der stolz ist, dass er Wien erreicht hat? Oder wie einer, dem es leid tut, dass er hier steckengeblieben ist? Denn das Selbstbewusssein bestimmt den Gang.

All diese Fragen werde ich stellen, wenn der Fußgängerbeauftragte seinen Posten aufnimmt. Bis dahin – keep walking.