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Michael Fiedler

Politik und Spiele, Kultur und Gegenöffentlichkeit.

8. 11. 2011 - 17:42

Trotzdem unterschreiben?

Das Bildungsvolksbegehren ist im Endspurt. Der Lehrer und Autor Nikolaus Glattauer zu Gast bei FM4. Sein Buch mehr als eine Kritik am Bildungssystem.

Bei diesem Glattauer tut man sich beim Lesen erstmal schwer. Irgendwie ist lange nicht klar, wo er eigentlich steht – das ist zuerst ungewohnt und dann erfrischend. Einerseits nennt er sich selbst und alle Lehrkräfte in seinem Buch "Die Pisa-Lüge" Lehrerin, einfach weil drei Viertel aller Lehrer in Österreich Lehrerinnen sind. Andererseits spricht er eines der großen Probleme des Schulsystems sehr offensiv an: Dass sich SchülerInnen mit anderen Muttersprachen als Deutsch in der Schule überproportional schwer tun. Weil sie überproportional oft aus sogenannten bildungsfernen und sozial schwachen Schichten kommen. Aus denen natürlich auch jede Menge autochthoner SchülerInnen kommen. Dass das meist diejenigen sind, die nach neun Jahren Schule weder sinnerfassend Lesen, noch grammatikalisch korrekt Schreiben können oder die Grundrechnungsarten beherrschen. Dass sie genau deswegen nie den Weg aus diesen Schichten finden.

Buchcover: "Die Pisa Lüge"

Ueberreuter

Ich war letzthin auf einer Bildungsdiskussion, bei der ein Unternehmer aus dem Publikum solche SchulabgängerInnen als „Ausschussware“ bezeichnet hat, wofür er sich vorauseilend mit der Ausrede auf seinen technischen Hintergrund entschuldigt hat. Und Christian Zeitz, 2010 aus der ÖVP ausgeschlossen, hat dort ein ganz ähnliches Bild verwendet, um gegen die Gesamtschule zu argumentieren: Man lege die faulen Äpfel auch nicht in eine Kiste mit den gesunden, sie würden sie nur anstecken. Es ist ein menschenverachtendes Bild, was noch schlimmer ist, es ist ein fatalistisches. Lassen wir besser alles so, wie es ist, dann kann es nicht noch schlimmer werden.

Glattauer gehört nicht zu dieser Spezies. Zum Glück, sonst wäre er als Lehrerin am völlig falschen Platz. Aber er beschönigt die Probleme nicht: Dass Eltern vermehrt kein Interesse an ihren Kindern haben, weder mit ihnen lernen noch mit ihnen reden würden. Dass die Schulen solch gravierende Defizite nicht abfangen und ändern können, nicht mit 30 Kindern pro Lehrerin und auch nicht mit 25. Und dass sich diese Situation mit diesem Bildungssystem nicht verbessern wird.

Nikolaus Glattauer

Residenz Verlag

Nikolaus Glattauer

Glattauer schreibt, dass man Eltern kaum dazu zwingen kann, ihre Kinder vor Schuleintritt mit ausreichenden mutter- und heimatsprachlichen Fähigkeiten zu versorgen. Also plädiert er dafür, die Bildung den Eltern aus den Händen zu nehmen. Er tritt für eine Gesamtschule ein. Und er kann das gut begründen. Nur: Ich habe in den vergangenen Wochen so viele Argumente, Zahlen und Fakten für und wider gehört, dass ich immer noch unschlüssig bin. Für Nikolaus Glattauer gehen die Forderungen des Volksbegehrens nicht weit genug. Er will es aber trotzdem unterschreiben.

Zu Gast bei FM4

Nikolaus Glattauer war am Mittwoch, 09.11. ab 15 Uhr zu Gast in Connected und stand Rede und Antwort zu seinen Vorstellungen von Gesamtschule, Bildung und Lehrerinnen.

Im Interview mit Esther Csapo in steht Nikolaus Glattauer zu den Kernforderungen seines Buches: Eine alternativlose Schule für alle bis 14, kleinere Klassen, bessere Ausstattung, mehr Lehrerinnen und sozialpädagogisches Personal. Glattauer sieht dabei wie viele UnterstützerInnen des Volksbegehrens Finnland als Vorbild: „Es gibt Untersuchungen die zeigen, dass in Österreich 70 Prozent aller familiären Streitigkeiten auf das Thema Schule zurückzuführen sind. In Finnland sind es nicht einmal zehn Prozent. Das sagt alles.“ Diese Statistik finde ich jetzt nicht, dem ist aber das Argument der GesamtschulgegnerInnen entgegenzusetzen, dass Finnland hat eine höhere Selbstmordrate hat. Wobei: Abgesehen davon, dass der Bezug zwischen Schule und Selbstmord fehlt, so viel höher ist sie gar nicht.

Nikolaus Glattauer im Interview mit Esther Csapo:

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