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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

6. 11. 2011 - 20:14

Journal 2011. Eintrag 201.

Die andere Version von "Tree of Life": Lars von Triers "Melancholia" als prätentiöse Pathos-Schleuder.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Heute mit Anmerkungen zu Lars von Triers Melancholia, die nicht ohne Anmerkungen zu Terrence Malicks Tree of Life auskommen können.

Es hat ja wenig Sinn öffentlich über künstlerische Äußerungen, die man so richtig Scheiße findet, herzuziehen. Es sei denn, sie versuchen gezielt zu instrumentalisieren, gesellschaftliche Identitäten zu erschaffen oder riefenstahlerisch-manipulativ zu agieren. Oder man möchte anhand einer Einzelkritik eine Tendenz manifest machen.

Auf Terrence Malicks Film Tree of Life trifft das alles nicht zu: Da hat sich ein solitärer Film-Maniac selber verwirklicht; und man kann das, was dabei herauskam für einen Geniestreich halten oder auch für den größten und prätentiösesten Mist, den man seit langem (und in Relation zur Bedeutungsüberladung vielleicht sogar; jemals) gesehen hat.

Deswegen habe ich auch niemanden mit meinen Tree of Life-Hohn belästigt, es sei denn auf direkte Nachfrage. Und das hat nichts mit so etwas wie Respekt vor religiösen Gefühlen zu tun, mit denen Malick ja ganz gezielt spielt. Auch weil Malick den selber eindeutig nicht einfordert.

Allerdings ist "Tree of Life" das erste und einzige andere Film-Gemälde, das mir angesichts von "Melancholia" von Lars von Trier in den Sinn kommt.

Der ist aktuell im Kino, und endlich kann man sich mit dem tatsächlichen Inhalt dieses Films beschäftigen und darf die Nazi-Groteske von Cannes, die vielleicht etwas mit Von Trier, aber nichts mit Melancholia zu tun hat, aussparen.

Die Tree of Life-Anwandlungen sind nun deutlich stärker als die eigenen Referenzen, die heulenden Mond-Aufnahmen von "Europa", die krude Inszenatorik von Dogville oder die artifizielle Fotostrecken-Ästhetik der letzten Filme. Die kratzen zwar an der formalen Oberfläche - inhaltlich treffen tut sich Melancholia aber eben nur mit Tree of Life.
Und eine kurze Suchanfrage zeigt mir, dass auch der geschätzte Kollege Fuchs diesen Konnex hergestellt hat, im Sommer bereits.

Ich neige im Übrigen durchaus der Interpretations-Schule an, die Fuchs und Kumpane hier vertreten: dass Melancholia neben einer Studie der Depression an sich vor allem ein Film über Sinn und Sinnlosigeit ist.

Und da wird es dann eben besonders eng, was die Parallelen und Unterschiede der beiden Filme betrifft.

Der eine (Malick) erklärt die hinter der Natur stehende Gottheit zum alles vorgebenden Mystiker und setzt das exemplarisch mit seiner Ballade der Suche nach dem "reinen", puren Leben gleich. Das ist so quäkend amish, dass es mich schmerzt. Einerseits.

Der andere (von Trier) erklärt die Gottlosigkeit und Brutalität der Natur zum Richter über die menschlichen Bewegungen, die er als per se sinnlos darstellt, deren einzige Kraft sich im Moment des Untergangs manifestiert. Das ist so protestantisch freudianlos, dass es wehtut. Andererseits.

Beide machen das mit einem Überangebot von Pathos, bemühen die hehrsten musikalischen Entwürfe, ewige Bilder, großes Planetarium, schmale Gesten und eine ebensolche Lippigkeit.

Beides ist auf höchst unangenehme Weise anmaßend.
Beide Künstler präsentieren Entwürfe einer Möglichkeit mit der Geste von Endgültigkeit. Beide dulden kein Weiterdenken und auch keinen Widerspruch.

Der eine lässt die allumfassende Gottheit als unumschränkten Puppenspieler auftreten und den gesichtstretenden Dinosaurier ebenso wie den gesichtstriefenden Sean Penn mit einem einzigen Gesichtsausdruck durch den Film eiern.

Der andere erklärt die allumfassende Sinnentleerung zum Götzen, dessen Nichtanbetung durch Suizid (Kiefer Sutherlands stumme Koppelszene) und durch nerviges Gewinsel (Charlotte Gainsbourgs Flucht) bestraft wird.

Mir ist schon klar, dass es die Aufgabe wirklich unabhängiger Künstler ist genau solch radikale Tableaus hinzustellen um damit Diskussions- und Denkstoff zu publizieren.
Ich möchte als Rezipient aber schon auch die Forderung nach Brüchigkeit erheben dürfen, anstatt mich an zwei derart fixfertigen Entwürfen abarbeiten zu müssen und dabei reine Höflichkeit walten lassen, und deftige Worte zu vermeiden.
Vor allem wenn sie von zwei eindeutigen Eiferern kommen, die vor ihren Göttern (der eine vor seinem realen, der andere vor dem seiner Depression) irgendwie kapituliert haben.

Letztlich ist Melancholia, trotz all seiner Qualitäten, nichts an eine prätentiöse Pathos-Schleuder eines der alle Hoffnung fahren ließ und jetzt den eigenen Furz nicht riecht. Dass die gruselig-fundamentalistische Religiosität des unerträglichen "Tree of Life"-Brüderchens dabei fehlt, ist sehr okay, hilft aber letztlich nichts.