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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

5. 11. 2011 - 23:00

Journal 2011. Eintrag 200.

Medial Digital und die feinen Unterschiede im neuen journalistischen Unternehmertum.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.

Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einer unabsichtlichen Fortsetzung des gestrigen Journals Pfeifen im Walde. Über Hybrid-Medien, die Suche nach dem Geschäftsmodell und die Beharrlichkeit der New York Times.

Im sehr empfehlenswerten Medien-Blog Medial Digital (den ich im Sommer quasi aus Hamburg mitgebracht habe) habe ich heute einige Geschichten vorgefunden, die nach einer New-York-Exkursion zustandekamen - nach meinem gestrigen Exkurs ein willkommener Anlass zur Vertiefung.

Das ist deshalb besonders lesenswert, weil/wenn die auf medialdigital.de betriebene Berichterstattung über die New York Times meinen (aufgrund übergroßer Zuneigung) allzu positivem Zugang diesem Medium gegenüber nicht teilt.

In den dortigen Verlinkungen war dann auch ein vorjähriges Interview mit dem amerikanischen Medien-Guru Jeff Jarvis über "The future of journalism" zu finden, wo - gleich vorneweg - dessen Credo angeführt wird: "Journalists must learn and understand the business side of journalism, even if they don’t want become entrepreneurs."

Über genau das habe ich in den letzten Tagen mit einem szenekundigen aber branchenfremden Bekannten herumdiskutiert.
Denn so sehr das Jarvis-Wort stimmt, so wenig ist es praktisch anwendbar; außerhalb der kulturellen Rahmenbedingungen, von denen Jarvis ausgeht.

Jarvis These, dass flexible journalistische Start-Ups den zunehmend unbeweglicher werdenden Medienhäusern das Wasser abgraben werden, was praktische Anwendungen betrifft, bestreitet eh niemand. Dass hier unternehmerisches Denken gefragt ist - sei der Markt, wie in Österreich - noch so klein, auch nicht.

Der entscheidende Unterschied zwischen der world according to Jarvis und, sagen wir, Österreich (oder gleich: Europa) ist die völlig differente Kulturgeschichte. Sowohl was den Begriff des Unternehmertums als auch was die Wertigkeit von Medien betrifft.

In den USA gelten gescheiterte Versuche sich "ein Business" auszubauen soviel wie Orden, in Österreich ist es nach der ersten verhauten Chance meist schon vorbei; in den USA gibt es nach der FDR-Administration weder Tradition noch Kultur von staatlichen oder öffentlich-rechtlichen Medien. im angloamerikanischen Raum verstehen sich Verlage (zumindest bisher) mehr als demokratiepolitische Regulative denn als Player, im alten Europa war das immer andersrum. Dafür hat sich hier praktisch die gesamte öffentliche Kunst/Kultur aus/über den öffentlich-rechtlichen Anstalten entwickeln können - wo in den USA immer private Unterstützer einspringen mussten.

Seltsamerweise sind selbst Menschen, die das als selbstverständliche Binse abtun, dann nicht imstande die Denk-Konsequenzen zu ziehen; und vernachlässigen so die Unterschiedlichkeit der Startvorraussetzungen.

In der Praxis heißt das: eine Mediengesellschaft, die europäisch strukturiert ist und dann auch noch in einem kleinen Markt operiert, ermöglicht einfach kein klassisch-amerikanisches Entrepreneurtum. Nicht aus Bösartigkeit, sondern aus Gründen der kulturellen Unterschiedlichkeit.
In den USA wären (private) Medien, die - wie in Österreich - um staatliche Unterstützung buhlen, ein Witz. Hierzulande ist es ein wesentliches finanzielles Standbein.

Und weil die Realität das Denken und Handeln prägt, ist das Jarvis-Axiom in Österreich auch nicht 1:1-umsetzbar. Oder besser: noch nicht.
Letztlich wird niemand drumherumkommen sich mit der geschäftlichen Seite auseinanderzusetzen.
Da ist es in der Medien-Branche auch nicht anders als in der Musik-Branche. Auch da hatten Musiker (eh nicht alle, aber die Spitze) die letzten etwa 50 Jahre das Glück sich nicht primär mit der Business-Seite auseinandersetzen zu müssen. Etwas, was sich mit der Digitalisierung und der daraus folgernden Produktentwertung drastisch geändert hat: heute ist jeder Musiker auch sein eigener Finanzchef und Kalkulator.

Den Journalisten blüht für die nächsten Jahre ähnliches. Künftige Gehalts-Verhandlungen werden informell weniger über Kollektiv-Verträge, sondern darüber geführt werden, wieviel der Journalist mit seinem speziellen Können in Eigenständigkeit generieren könnte (Business-Modell-Wissen vorausgesetzt).

Dass sich das "Selbstständig-Machen" im klassischen US-Sinn des großzügigen try&error-Systems hierzulande noch nicht so schnell breitmachen wird, hat mit der nur langsam aufbrechenden grundsätzlichen Risiko-Armut der gesellschaftlichen Mitte zu tun. Etwa solange Eltern ihren Kindern die "sichere Anstellung" als zentrale Vorgabe mitgeben. Und da hat sich, wenn man sich unter jüngeren Journalisten umhört, in den letzten Jahren nichts gebessert, im Gegenteil. Die wirtschaftliche Dauer-Krise behindert eine artgerechte Entwicklung hin zum unternehmerischen Denken noch zusätzlich.

Ich darf also alle, die angloamerikanische (manchmal auch bundesdeutsche) Entwicklungen auf österreichische Verhältnisse umrechnen, auffordern diesen kulturellen und soziodemographischen Filter einzubauen, wenn man sich nicht drastisch verrechnen will.