Erstellt am: 6. 11. 2011 - 09:33 Uhr
Kellermusik zwischen USA und Wiener Altbau
Zum Nachhören
Die Soundparksendung gibt es für sieben Tage im Stream:
Es steht schon seit meiner späten Schulzeit im Bücherregal. Sten Nadolnys "Die Entdeckung der Langsamkeit". Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich es noch immer nicht gelesen habe. Und trotzdem schießt mir der Titel in kurzen Abständen immer wieder in den Kopf. Speziell dann, wenn bestimmte Platten mein recht schnell laufendes Hamsterrad bremsen. Deshalb vorab gleich ein großes Dankeschön an all die Musiker, die in dieser Sendung zu Gast sein werden. Alle haben zu einer wundervollen Entschleunigung beigetragen und so ein Stück mehr Magie und Zauber in den Alltag geschleust.
Die rote Kammer
Manche Musiker müssen sich stilmäßig immer wieder neu erfinden und ausprobieren. Andere finden in der Perfektion ihres bereits gefundenen Sounds die Erfüllung. Georg Altziebler a.k.a. Son Of The Velvet Rat gehört zu jenen, die ihren Weg schon gefunden haben und deren Entwicklung sich zwischen den Tönen und Worten abspielt.
Son Of The Velvet Rat
In einem roten Keller in Graz ist "Red Chamber Music" entstanden, das wohl in sich stimmigste und gereifteste Album des Singer/Songwriters. Gleich zu Beginn gesellt sich in "Prayers (you're not bold enough to say)" zu Georgs gefühlvoll gespielter, akustischer Gitarre Geige und Mundharmonika und versetzten einen sofort in die amerikanische Steppe. Das dezente und trotzdem essentielle Schlagwerk von Ken Coomer gibt dieser schönen Eröffnungsballade zeitweise einen Schubs nach vorne, eine Vorfreude auf die wohl fröhlichste Son Of The Velvet Rat Nummer, die darauf folgt. "The Vampire Song" schielt mit seinen großartigen Bläsersätzen in Richtung mexikanische Grenze, auch wenn sie von mazedonischen Musikern in Österreich eingespielt wurden. Mit schelmischem Augenzwinkern erzählt Georg Altziebler darin von zwei Blutsaugern, die sich statt nach Fleisch nach Liebe verzehren. Ein witziger und zugleich weiser Text, der sich aus den recht fröhlichen Harmonien herausschält.
Son Of The Velvet Rat Live:
- 10.11. Postgarage, Graz
- 11.11. Szene, Wien
Weiteres Highlight der Platte ist "White Patch Of Canvas", das Duett mit dem amerikanischen Country Star Lucinda Williams. Gerade ihre energische und eindringliche Stimme erzeugt ein frisches Spannungsfeld zu dem warmen Vibrato von Georg Altziebler, unterstützt von Trompete, Alt-Saxophon, Flügelhorn und Ukulele. Das ist aber auch schon as epic as it gets, schließlich bleibt Son Of The Velvet Rat in seinem "kammermusikalischen" Universum. Dass er dieses bis in den letzten Winkel zu beherrschen weiß, kann man in "Little Flower" hören. Gemeinsam mit dem Singer/Songwriter Richard McGraw schafft Georg Altziebler nur mit Gitarre, Violine, Bass und Klavier eine Stimmung zu erzeugen, die einem großartigen Tom Waits Song (wie beispielsweise "Your Innocent When You Dream") um nichts nachsteht.
© Gert Kragol
"Red Chamber Music" wirkt wie aus einem Guss. Georg Altziebler scheint jedes Lied mit dem vorhergehenden und nachfolgenden lyrisch und musikalisch verzahnt zu haben und hinterlässt uns mit dem Schlusssong "Silence Is A Crown (The Jealous Song)" ein vollendetes Stück Musik, das die Sehnsucht nach mehr weckt. Was es alles gebraucht hat, um solch ein Album zu machen, was sich bei Georg und seiner treuen Mitstreiterin und Sängerin Heike Binder in den letzten Jahren getan hat und warum ein Musiker manchmal wie ein Löschblatt sein muss, das erzählen uns Son Of The Velvet Rat in einer ausführlichen Listening Session zu ihrem neuen Album.
Der weiße Altbau
Es passiert nicht oft, dass einem sowohl die Luft als auch die Worte wegbleiben, wenn man eine Platte zum ersten Mal hört. Während sich manche Scheiben als grower erst nach und nach ins Herz schleichen, trifft "Evasion" gleich beim ersten Mal mit voller Wucht.
Werner Kitzmüller
Und das, obwohl Werner Kitzmüllers Lieder derart filigran sind, dass ihre Schallwellen vom Austritt aus den Boxen bis zum gespannten Ohr des Hörers fast zu zerfallen drohen. Es sind pure Emotionen, die mit den ungewöhnlichsten "Instrumenten" transportiert werden. Die eigentlich klassischen Songs, die mit Gitarre oder Klavier entstehen, werden sukzessive dekonstruiert und mit vielen kleinen Geräuschen und Feldaufnahmen zu schillernden Pop-Mosaiken. Dafür verwendet der smarte Musiker neben Glockenspiel und einem kaputten Toy-Piano auch Kleiderhacken, ein Plastikrohr, Zigarettenpackungen und sogar Glasscherben. Solange es dem Song dient, kann jedes Geräusch seiner Wiener Altbauwohnung seinen Weg auf die Platte finden. In dem umwerfend berührenden Stück "Purple" hört man sogar den Verkehr vor dem Straßenfenster sanft rauschen, durchzogen von Pferdehufgeklapper, wenn der Fiaker um die Ecke biegt.
Werner Kitzmüllers Songs funktionieren auch nur mit Klavier und Stimme. Hier der eindrucksvolle Beweis: "Purple", das Stück von "Evasion" in einer Art Live-Version.
Über all den zehn eindringlichen Stücken schwebt erhaben Werner Kitzmüllers sonore Stimme, die nie aufdringlich, sondern immer eine ganz besondere Intimität vermittelt. Fast so, als ob man tief in die Seele dieses Künstlers blickt. Zum Beispiel, wenn zu zarten Glöckchen, die teils rückwärts abgespielt sich wie kleine Nadelstiche anfühlen, wenn der niederösterreichische Sänger sich mit zerbrechlicher Kopfstimme fragt, "Where's My Love". Oder wenn das eher beschwingt anmutende Gitarrenstück "One Step" sich zum heimlichen Pop-Hit des Albums aufschwingt, um fortan nicht mehr aus der Erinnerung verschwinden zu wollen. "Remission" und "Salz" runden dieses intensive Hörerlebnis ab, wobei Werner Kitzmüller es schafft, in jeder Minute eine unglaubliche Spannung aufrecht zu erhalten. Immer wieder überrascht er uns von Neuem und haucht seinen sehr reduzierten Stücken eine gewisse Komplexität ein, sodass sie auch nach mehrmaligem Hören nie langweilig werden.
mimu merz
Die Schwere, die manche Songs vermitteln, wird durch die spezielle Art der Produktion gebrochen, die Wert auf den Raum zwischen den Tönen und Geräuschen legt. Passenderweise ist dieses Album auf dem elektro-akustisch angehauchten Label Valeot Records. erschienen, der Heimat von Werner Kitzmüllers Trio und den großartigen Julia Stix