Erstellt am: 5. 11. 2011 - 19:00 Uhr
Die FM4 Charts vom 5. November
- Die FM4 Charts vom 5.11.2011
- Brand New – Die Neuvorstellungen der Woche
Obwohl das Thema zugegeben langsam beginnt, an den Nerven zu zehren (und bei vielen Menschen realen Stress und reale Ängste zu induzieren), kann ich nicht anders, als dieses Forum heute dafür zu nützen eine Debatte zu skizzieren, die ähnlich mit Scheuklappen bewehrt daherkommt wie der Streit um die verschollenen Evangelien.
Und tatsächlich erinnern so manche Aspekte der Ökonomie und der Wirtschafts-Lehre eher an dogmatische Koran-Schulen denn an empirisch-falsifizierbare Wissenschaft. Natürlich tut man sich als Sozialwissenschaft schwerer, aber der Umstand, dass man aktuell beim Befragen von 5 Ökonomen in etwa 10 Antworten erhält, lässt den Laien doch skeptisch werden.
Sind am Ende alles bloße Glaubenssätze und ideologische Wertvorstellungen?
Denn von einigen Lippenbekenntnissen der G20 abgesehen (erinnert sich noch jemand an die Forderung nach der Finanztransaktionssteuer?) hat sich selbst nun, am Beginn der zweiten massiven Bankenkrise seit 2008, nur wenig getan. Vor allem die Hardliner in London und Washington sorgen dafür, dass die Prinzipien des Marktliberalismus nach wie vor das gängige Credo sind – trotz Widerlegung durch die Geschichte (Vgl. z.B. Atlas der Globalisierung von Le Monde diplomatique, 2011).
„Es ist ein bisschen so, als würde jemand, um gegen seinen erlahmenden Glauben anzukommen, sich mechanisch immer wieder die alten Gebete vorsagen. Von nun an lautet die Frage nicht mehr nur, ob das System in der Lage ist, sich selbst zu korrigieren, sondern wie lange es sich noch halten kann, zu welchem Preis und auf welche Kosten. Die Antwort wird zugleich eine politische und eine soziale sein: Da die Linke keine Alternativen zu bieten hat, steht außer Zweifel, dass die enormen Defizite, die seit dem Ende 2008 angehäuft worden sind, um die Banken zu retten und die Finanzindustrie wieder in Gang zu bringen, den Vorwand liefern für starke Einschnitte bei den Sozialausgaben.“ (Ebendort)
Jene, die also den Nachtwächterstaat predigen und deren Kurs der sogenannten „Chicagoer Schule“ so an die Wand gekracht ist, sind nun drauf und dran, nachdem der so verhasste Staat ihre Verluste sozialisierte, eben jenen Staat für die gesamte Krise verantwortlich zu machen. Indem man den Gärtner zum Bock macht, verlangt man nach noch weniger regulierter Marktwirtschaft und meint, nur so die dringlichen Probleme der Welt in den Griff zu bekommen.
Eine andere Gruppe versucht indes mit wachsendem Echo, vor allem unser Geldsystem für die aktuellen Krisen verantwortlich machen und spricht davon, dass die momentanen Ereignisse eine logische Folge desselben sind – sie sprechen von einem unvermeidlichen Crash alle 70-80 Jahre. Da diese Debatte auf einer breiteren Basis aber lange ignoriert wurde und tatsächlich auch einiges dagegen spricht, konnten sich beiläufig die wildesten Verschwörungstheorien bilden. Dabei wäre es ganz einfach, die Unklarheit durch eine gezielte Beschäftigung mit diesen Vorwürfen zu beseitigen.
Was ist deren Argument?
Vor allem jenes, dass unser Geld nur als Schuld(schein) erzeugt wird, also beispielsweise jedes Mal Geld entsteht, wenn wir mit einer Kreditkarte auf Pump konsumieren. Da diese Schulden (wie gegengleich aber auch die entstehenden Vermögen) durch Zinsen, die ihrerseits auch wieder verzinst werden, exponentiell wachsen, meinen die Geldkritiker, dass so irgendwann der Endpunkt erreicht wird. Also ein Punkt, an dem diese Schulden nicht mehr bedienbar sind und das System einen „Reset“ braucht, etwa durch Inflation, Währungsreform oder im schlimmsten Fall Krieg – jedenfalls immer durch eine harte Umverteilung nach unten, die die jahrzehntelange Umverteilung nach oben wieder glättet. Einer dieser Endzeitprediger ist der deutsche Börsenanalyst Dirk Müller, der seine Thesen nicht nur bei Beckmann sondern aktuell auch im Handelsblatt vertritt.
Auf der anderen Seite gibt es an dieser Position auch viel Kritik, von unterschiedlichen Seiten. Die klassisch marxistische Gegenposition lautet, dass die Konzentration auf das Geldsystem die Kapitalismuskritik unzulässig verkürzt – denn das Problem mit der Mehrwertausbeutung ist nicht alleine von Geld abhängig. Ein Punkt, der einleuchtet. Die Firma Novartis, die in diesem Jahr trotz hoher Gewinne 2.000 Mitarbeiter entlässt, würde dies wohl auch tun, würden wir statt Euro Muscheln oder elektronische Gutscheine verwenden.
Wieder andere behaupten, Zinsen wären ein Naturgesetz, besonders schwierig wird die Diskussion angesichts der Tatsache, dass sich auch einst die Nazis mit dieser Kritik schmückten. Das Aufbegehren des „deutschen Volks gegen den jüdischen Wucher“ war eine beliebte Propaganda der NS-Zeit.
Auch deshalb ist es so schwer, diese Fragen nüchtern-sachlich und mathematisch zu erörtern ohne in eine der vielen ideologischen Fallen zu treten – so traue ich mir etwa nach über einem Jahr massiver Beschäftigung mit dem Thema nicht zu, hier eine eindeutige Position zu vertreten. Sicher bin ich mir aber, dass die Debatte geführt gehört – und wenn es nur gemacht wird, um diese Auseinandersetzung aus einem verschwörerischen Youtube/Facebook Kontext heraus zu lösen. Denn das Internet würde bereits einige gute Quellen, auch was Kritik an den Geld-Abschaffern betrifft, bieten – etwa diesen recht seriösen Artikel.
Vielleicht könnten sich ja zu allererst mal die geneigten Journalistinnen in die Materie einlesen, um den massiven Vorwurf, die Architektur unseres Geldes trägt den Keim des Crash bereits in sich, entweder vollends zu entkräften oder die richtigen Schlüsse draus zu ziehen. Dann würden sich wohl auch viele der Mainstream-Media Verschwörungsvorwürfe in Luft auflösen.
Die Bevölkerung hat aber wohl zumindest das Recht, all diese Informationen von kompetenten Medienarbeitern seriös aufbereitet zu bekommen. Das könnte natürlich ein wenig anstrengend sein, keine Frage...
Und nun zu den heutigen Charts
Da schafft es die Nummer 16 der Vorwoche, Kasabians neue Single „Velociraptor“ bereits auf Platz 3. Rang 2 geht heute an die Nummer 1 der Vorwoche, die zweite Single aus dem hoch umstrittenen Justice-Album, „Audio Video Disco“. Und die neue Nummer 1 von FM4 kommt diesmal von den supercoolen Death In Vegas, die sich für „Your Loft“ die tolle Stimme von Austra geborgt haben.
Ein Spitzen Wochenende wünsch ich Euch!