Erstellt am: 4. 11. 2011 - 23:21 Uhr
Journal 2011. Eintrag 199.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Das heißt: Ein täglicher Eintrag, der als Anregungs- und Denkfutter dienen soll, Fußball-Journal '11 inklusive.
Hier finden sich täglich Geschichten und/oder Analysen, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo (oder nur unzureichend) finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit ein paar Gedanken zu Hybrid-Medien, aus Anlass eines Preises, einer Neugründung und eines Viennale-Films.
Wenn ein Branchenpreis wie der "Medienmanager des Jahres", den in einem eitelkeitsgetriebenen Zwergenmarkt wie Österreich normalerweise der Typ mit der dicksten Hose und der spendabelsten Anzeigen-Kasse bekommt, an eine uneitle Frau geht, die noch dazu ein riskantes Unternehmen führt, dann ist das schon mehr als ein Augenbrauen-Heben wert.
Aber natürlich ist die Kür von Gerlinde Hinterleitner ein klares Zeichen, eine Ansage an die Branche - es ist ein Pfeifen im Walde. Hinterleitners Projekt, derstandard.at ist das einzige Online-Medium, das sich selber erhalten könnte (orf.on könnte das auch, obwohl es vielen Werbebeschränkungen unterliegt, spielt aber in der anderen, der öffentlich-rechtlichen Liga). Und damit schafft diese Site etwas, was von der Branche händeringend ver- und gesucht wird: den Stein der Weisen, das Geschäftsmodell für Online-Medien.
Dass es mit spiegel.de im gesamten deutschsprachigen Raum nur ein anderes Beispiel gibt, dem ansatzweise Erfolg beschieden ist, macht die Hysterie nur noch größer.
Wird das Hybrid neue Aufschlüsse bringen?
Da kommt dann das sprichwörtliche Pfeifen im Wald zum Einsatz - vor lauter Unsicherheit, was hinter dem nächsten Baum, dem nächsten Busch, der nächsten Böschung lauert, muss sich die Branche diese Panik durch schieres Getöse wegzaubern. Da hilft so ein (lauter) Preis natürlich mit.
In der Schweiz ist letzte Woche ein neues Medium entstanden, dass auf die Markt-Mechanismen deutlich besser reagieren kann als der alte Holz-Mainstream. Aus Verzweiflung über die Übernahme der Basler Zeitung durch neoliberale SVP-Schergen hat sich der liberale Teil der dortigen Redaktion abgespalten und die TagesWoche begründet. Die erscheint täglich im Netz und einmal wöchentlich in print.
Finanzieren will man sich über ein Abo- bzw Beteiligungs-System, letztlich setzt man auf einen städtischen Community-Gedanken, auf die kritische Masse des Basler Bürgertums. Außerdem ist man für drei Jahre ausfinanziert: Beatrice Oeri, eine der Erbinnen der Roche-Milliarden, steht für die TagesWoche gerade - nicht als Verlegerin samt politischer Agenda, sondern als Mäzen ohne Willen zur Einmischung.
Löst der mäzenatische Feudalimus die Verleger-Ära ab?
Das Konzept scheint zu funktionieren - in der demokratiepolitisch gefestigten Schweiz geht das eher. In Österreich kann man vergleichbare Modelle schon aufgrund des inexistenten Bürgertums sparen.
Aber darum geht es jetzt nicht: die interessante Frage bei diesem Schweizer Versuch ist die: welches Medium zieht welche Leser/User mit welchem/wie großem Willen, für Information zu zahlen? Denn gerade weil hier ein Produkt völlig neu auf der grünen Wiese entstanden ist, weil es keine gewachsenen Strukturen gibt, werden die vorhersehbaren Muster (zuerst ein Print-Produkt, dann ein Online-Angebot) durchbrochen.
Die TagesWoche kann also (in den nächsten Monaten und Jahren) implizit Auskunft geben über die Beschaffenheit des aktuellen bewussten Medienkonsumenten, seine Vorlieben und sein Rezeptions/Konsum-Verhalten. Und zwar gerade weil sie nicht unter dem Druck steht innerhalb kurzer Zeit Gewinn machen (und deshalb Kompromisse eingehen) zu müssen.
Noch eines zeigt diese Entwicklung: dass sich die Mainstream-Medien strukturell zurückentwickeln, recht regressiv sogar. Die Verleger des letzten Jahrtausends, die sich einerseits auf die Deals (Inserate, wohlwollende Berichterstattung) mit der Wirtschaft und der von ihr kontrollierten Politik und andererseits auf den Verkauf an die Massen stützen, werden wieder von klassischen Mäzenen abgelöst, die in den Jahrhunderten davor die Medien kontrolliert hatten. Rücksturz in den Feudalismus.
Was hält die New York Times im Innersten zusammen?
Die Ausnahmen sind an wenigen Fingern zusammenzählen. Und auch diese Bollwerke wanken, klar.
Wie sehr die beste Zeitung der Welt an diesen Problemen knabbert, hat die wunderbare Doku Page One - Inside the New York Times gezeigt, die bei der eben abgelaufenen Viennale zu sehen war. Die Kamera begleitete die Mitarbeiter des vergleichsweise recht frischen Media-Ressorts durch ein paar spannende Monate (Wikileaks, Tribune Company-Affäre...), bei ihren unendlich anstrengenden, dreifachnachcheckenden Recherchen, bei vielen New-Media-Debatten und bei ihren Begegnungen mit aggressiven Aggregatoren oder durchgeknallten Vice-Schackln.
David Carr, dem ehemalige Crack-Junkie oder Brian Stelter, dem ehemalige dicke Whizz-Kid, dabei zuzusehen, das hat soviel Charme wie Woodward/Bernstein (bzw Redford/Hoffmann) in All the President's Men zu verfolgen.
Dabei geht es dem Feature nicht wirklich um die Zukunft des Geschäftsmodells der New York Times, sondern immer um die Zukunft dessen, was diese Zeitung, dieses Flugzeugträgers unter den Medien an Wirkungsmächtigkeit entfachen kann und auch künftig muss.
Diese Zukunft ist ungewiss, in hohem Maß.
Und die Experimentiertphase was die abgestuften Bezahl-Modell für Online betrifft, ist noch nicht beendet.
Ein Pfeifen im Wald hab' ich in dieser Doku von keinem der NYT-Redakteure gehört. Vielleicht weil sie sich über die Inhalte und die Bedeutung ihrer Arbeit (ein paar Tage nach Carrs Artikel über die Tribune Comp. kam es dort zu Rücktritten...) definieren und nicht über die künftig dominierenden Verkaufs-Modelle. Weil die mit Joiurnalismus einfach nichts mehr zu tun haben werden.
PS:
In der Szene, in der Carr seinem Ressortleiter sagt, dass er für die große Story noch zwei Wochen recherchieren muss und dann eine Woche zu Schreiben braucht, weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Auch weil ich erst unlängst einen österreichischen Journalisten, der für die eben ausgezeichnete Publikation schreibt, öffentlich über seine Arbeitsbedingungen erzählen hörte; und weil ich ja weiß, wie wenig mittlerweile im eigenen Betrieb möglich ist.